Noah Wunsch sieht Malen als Vorgang höchster Anstrengung. Und wenn er fertig ist, schmettert er schon mal eine Opernarie. Alexandra Maschewski über ein Multitalent, das neben Farben auch die Menschen liebt

Ganz ruhig sitzt er da, den Blick ein wenig nach unten gerichtet. Eins mit sich und der Umgebung, doch gleichzeitig auch ein wenig entrückt. Noah Wunsch kommt gern zurück in das Hotel Vier Jahreszeiten. Dann nimmt er Platz in der gemütlichen Wohnhalle, deren Atmosphäre es ermöglicht, allen innerstädtischen Trubel sofort auszublenden. Weil sie auf wunderbare Weise aus der Zeit gefallen scheint. Ein bisschen wie der Mann, der sich gern daran erinnert, dass seine Karriere als professioneller Maler hier begann, im Herzen seiner Heimatstadt.

„Im Gobelinsaal fand 1996 meine erste Ausstellung statt“, sagt Noah Wunsch. „Zwischen den Kontinenten“ war damals der Titel. 18 Jahre später sagt der Künstler von sich: „Ich war damals ein Reisender, und ich bin es geblieben.“

Tatsächlich ist er gerade erst wieder nach Hause zurückgekehrt. Viele Monate war er unterwegs, in den USA, in Frankreich, ist quer durch die Welt seinen Bildern gefolgt. Hat Menschen getroffen, sich inspirieren lassen. „Ich gehe wie ein Kind durch die Welt, für meine Arbeit benutze ich Farbe und Liebe“, sagt der 44-Jährige mit sanfter Stimme und tiefem Ernst. Malen, das ist für ihn etwas Hochemotionales. Ein nicht planbarer Prozess, den Noah Wunsch gern mit einer Geburt vergleicht. „Man spürt einfach, dass da eine Idee ist, die rausmuss. Es handelt sich um einen sehr körperlichen Vorgang“, sagt der Künstler. Die Entstehung seiner Werke nehme immer mehrere Monate in Anspruch. Intensive Phasen, in denen er sogar mehr essen müsse als sonst. „Weil man so viel gibt.“ Und eben so, wie er irgendwann spüre, dass er zu Pinsel und Farben greifen müsse, empfinde er auch, wenn ein Bild fertig sei. Hetzen lassen kann er sich nicht – wer einen Wunsch möchte, muss Geduld haben.

Noah Wunsch weiß nicht nur vom ersten Bild, das er verkauft hat und das gleich neben einem Chagall landete, sondern von all seinen Werken, wo sie sich heute befinden. Meist abstrakte, leuchtende Farbkompositionen, immer wieder andere Mischtechniken in Öl und Acryl, mehrere Farbschichten auch, die den Blick sofort bannen und den Betrachter hineinziehen in die großformatigen Bilder. Es ist nicht selten ein tiefes Leuchten, das hinter all der Farbenpracht verborgen liegt.

In der Toskana traf er zwei Mönche und zog prompt für Monate ins Kloster ein

„Ich bin jemand, der Harmonie mag, ein Mensch, der sich am Leben erfreuen kann“, sagt der Maler von sich selbst. „Glücklich, wenn ich male, und sehr glücklich, wenn ein Bild fertig ist. Dann schmettere ich auch schon einmal eine Opernarie.“ Auch das Singen ist eines von Wunschs Talenten. An der Stella Academy in Hamburg studierte er Musik, Regie, Schauspiel und Tanz, später besuchte er noch das Max-Reinhardt-Seminar in Wien. In Österreichs Hauptstadt studierte er überdies Kunst. „Musik, Gedichte, die Natur – das alles sind Grundelemente meiner Schaffenskraft.“ Manchmal verbindet er auch Malerei und Musik, tritt im Rahmen einer Ausstellung als Sänger auf.

Es ist der Gesang, der mit einem ganz besonderen Ereignis in seinem Leben zusammenhängt. Vor zwölf Jahren war er für einen Kunden aus Wien mit einer Auftragsarbeit in dessen Villa in den Hügeln der Toskana beschäftigt. Danach habe er sich ein paar Tage in Florenz „gegönnt“ und vor dem Kloster von Ognissanti zwei Priester getroffen. „Wir kamen ins Gespräch, sie luden mich zum Mittagessen ein, und ein bisschen war es, als sei ich schon immer dort gewesen“, erzählt Noah Wunsch, der sich selbst als gläubigen Menschen sieht, „weil Glaube Hoffnung ist“. In dem Kloster, in dem auch der Maler Botticelli begraben liegt, gab er vor rund 50 Mönchen und Nonnen einen Gospel-Song zum Besten. „Später bat man mich, ein Altarbild zu malen. Und ich blieb viele Monate im Kloster.“ Ohne Wenn und Aber, einfach, weil er seinem Gefühl vertraute. „Ich gehe immer diesen Weg des Vertrauens. Auch wenn es manchmal einem Weg auf dem Drahtseil gleicht. Ich glaube, dass sich dann Tore öffnen. Selbst wenn man jedes Mal wieder nackt davorsteht.“

Auf das Altarbild in Italien folgten später drei weitere in Mexiko, gerade gibt es einen neuen Auftrag aus den USA. Diese Arbeiten seien eine absolute Herzensangelegenheit, deshalb nehme er auch kein Geld dafür. „Das ist ein Geschenk, das ich nur zurückgebe.“ Er ist niemand, der gern prahlt. Viel zu sehr scheint er fortwährend auf die Befindlichkeiten seines Gegenübers zu achten. Aufmerksam studiert er dessen Blick, als suche er in den Augen nach einer Antwort. Und so erlebt man ihn als einen unglaublich höflichen Menschen.

Nach seinem Klosterleben entstand auch ein Werk, das allein durch seine Dimension besonders spektakulär ist: 200 Meter lang ist das Altarbild, das 2009 im Museum der Königlichen Saline in Arc-et-Senans (in der Nähe von Besançon) gezeigt wurde. 100 Meter abstrakte, 100 Meter gegenständliche Malerei, ausgestellt in der ehemaligen Salzwerkstatt, von der Teile im Zweiten Weltkrieg als Gefangenenlager gedient hatten. „Ein dunkler Raum, der ganz viel Farbe brauchte.“ Arc-en-Ciel, Regenbogen, so auch der Name der Ausstellung. Mehrere Hunderttausend Menschen kamen damals, um Wunschs „Friedensbrücke“ zu sehen. Ihm gefällt die Fähigkeit der Kunst, Menschen miteinander zu verbinden. Deshalb malte er später auch eine Brücke für das 50. Jubiläum der Städtepartnerschaft von Hamburg und Marseille. Und realisierte ein ähnliches Projekt für Airbus in Toulouse.

Ein Paar in Arizona verzichtete wegen eines Werks von Wunsch auf den Umzug

Ein Künstler müsse ein Träumer bleiben, aber immer auch erfolgreicher Geschäftsmann sein, sagt Wunsch, auch wenn dies nicht recht zu ihm passen mag. Doch natürlich kann es eine Auftragsarbeit sein, die das nächste Herzensprojekt ermöglicht. Noah Wunschs Bilder gehören Museen (auch zur Sammlung der Hamburger Kunsthalle), Banken, Privatsammlern oder auch solchen, die Kunst als Investment sehen. Einmal malt der 44-Jährige in einer Privatvilla an der Côte d’Azur, oben auf der Leiter stehend, während unten die Kinder spielen. Dann in Kooperation mit dem Schlossmuseum Murnau vor Publikum, etwas, das er sich vor ein paar Jahren nicht hätte vorstellen können, zu intim doch das Entstehen eines neuen Bildes. „Die Gespräche mit den Menschen habe ich als Inspiration für mich entdeckt“, sagt Noah Wunsch, der in einem Moment scheu, im nächsten ganz offen wirken kann. Will er sich abschotten, dann liebt er es, zurückgezogen in einem Hotelzimmer zu malen. „Im Waldorf Astoria in New York habe ich im 39. Stock über der Suite gemalt, in der schon Sinatra und Gershwin übernachtet haben. Was für eine Energie.“

Auch wenn es ihm nie leichtfällt, sich von einem Bild zu trennen, so scheint ihn das Wissen zu erfüllen, dass da jedes Mal andere Menschen warten, die es auf ihre Weise zum Leben erwecken. „Die Menschen finden in meinen Bildern häufig etwas wieder, das sie erlebt haben.“ Und wenn sich jemand von seiner Kunst bewegt zeigt, vielleicht sogar so sehr, dass Tränen fließen, dann berührt ihn das selbst auch. Da gab es sogar dieses Paar in Arizona, das deshalb nicht umgezogen ist, weil die Statik des neuen Domizils das Gemälde von Wunsch nicht getragen hätte. „Nicht jedem kann meine Kunst gefallen“, sagt Wunsch. Doch er möge auch Menschen, die Reibungspunkte böten, aus denen man lernt.

Er hat auch fotografiert, Bühnenbilder gestaltet und Mode entworfen

Immer weiter lernen, das ist dem Vielbegabten wichtig. Eher am Rande spricht Wunsch von seiner Fotografie, davon, wie er als ganz junger Mann Porträts gemacht hat von Marion Gräfin Dönhoff oder Klaus Maria Brandauer und Modenschauen von Yves Saint Laurent oder einen Filmdreh mit Nina Hagen fotografisch begleitet hat. Und wie er das Fotografieren habe beiseitelassen müssen, um „sich selbst zu schützen“. Zu viel Energie habe ihn diese so viel schnellere Kunstform gekostet. Er erwähnt ganz kurz Bühnenbilder, die er gestaltet, erzählt eher beiläufig von der Modekollektion, die er vor ein paar Jahren entworfen hat, um seine Bilder zu flankieren, und verweilt dann doch einen Moment bei der Kinderbibel, die er vor einigen Jahren illustrierte. Und weil der Wunsch, an weiteren Kinderbüchern zu arbeiten, noch einer ist, lenkt er schnell wieder ab. „Ich versuche, ganz im Moment zu leben.“

Nach einer Weile meint man, sich den hochgewachsenen, schlanken Mann auch ganz gut als Jungen vorstellen zu können, begabt, sehr sensibel. Wie passend, dass Noah Wunsch der Sohn einer Malerin ist, nämlich der Hamburgerin Ursula Unbehaun. Ein Vorbild sei seine Mutter für ihn, ein wunderbarer Mensch und eine starke Frau, die ihn immer begleitet habe. „Die Kunst war natürlich immer im Haus: Bücher von Picasso und Chagall, Professoren, die ein und aus gingen – der Umgang mit ihr war ganz natürlich.“ Auch wenn er schon mit vier oder fünf Jahren die Malerei als seine Sprache entdeckt habe und mit sieben herumgelaufen sei, um seine Bilder in der Rahlstedter Nachbarschaft anzubieten, habe er als Kind nie formuliert, Maler werden zu wollen.

Nun, nach seiner langen Abwesenheit, muss sich Noah Wunsch in Hamburg erst einmal wieder einleben. „Ein Reisender braucht die Bewegung. Aber er braucht auch das Nachhausekommen.“ Malen kann er in einem Atelier in Blankenese – eben dann, wenn es wieder so weit ist. Noah Wunsch greift sein Portemonnaie und sucht darin nach einem Bild, das ihm einmal ein siebenjähriger Junge in Wien gemalt hat. Der Ratschlag des Kindes habe ihn sehr berührt: „Nimm einfach die Farben aus deinem Herzen.“

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Noah Wunsch bekam den Faden von Thorsten Schlomm und gibt ihn an Jürgen Hogeforster weiter