Am 10. Dezember 1914 wurde die Polizeistation auf der Reeperbahn eingeweiht. Nirgendwo sonst sind die Beamten dem kriminellen Milieu so nah gerückt. Für Touristen ist sie ein Wahrzeichen.

Hamburg. Touristen sehen die Davidwache oft so, wie sie sich selbst nicht wahrnehmen möchte – zumindest nicht zuallererst. „Ein Wahrzeichen?“, sagt Jörg Biese, stellvertretender Leiter des Polizeikommissariats 15, und weist mit der Hand aus dem Fenster, „da, schauen Sie mal!“ Unten stehen vier Touristen. Drei knipsen mit ihren Handys Bilder von dem Backsteingebäude an der Reeperbahn/Ecke Spielbudenplatz. Biese fühlt sich manchmal wie im Zoo.

Nicht selten stürmen Touristen mit ihren Kameras sogar zum Tresen und stören so die Arbeit der Beamten bei der Anzeigenaufnahme. 150 Polizisten leisten Schichtdienst im mit 0,92 Quadratkilometer Einzugsbereich und 14.000 Einwohnern kleinsten Polizeirevier Europas. Sie tun im Prinzip das Gleiche, was ihre Kollegen in den anderen 28 Hamburger Polizeikommissariaten auch tun: Straftaten verhindern, verfolgen und aufklären. Und das seit 100 Jahren. Am 10. Dezember 1914 wurde das Backsteingebäude der Hamburger Polizei übergeben.

1840 beschließt der Senat eine Polizeiwache für St. Pauli

Genau genommen beginnt die Geschichte der Wache im April 1840. Damals beschließt der Senat, dass St. Pauli eine Polizeiwache bekommt, und zwar an der Ecke Kastanienallee/Davidstraße. Das „Landgebiet St. Pauli“ gehört zu dieser Zeit allerdings nicht zu Hamburg, es liegt vor den Toren der Stadt. Nur einen Steinwurf von der Polizei entfernt beziehen Soldaten des Bürgermilitairs eine eigene Wache – ihr Gebäude wird der historische Vorläufer der heutigen Davidwache.

Polizeibeamte ziehen dort erst 1855 ein, im Zuge der Neuordnung der „Nacht- und Polizeiwachen“. Der Umzug in größere Räumlichkeiten ist überfällig, denn das Hamburger Amüsierviertel expandiert rasant. 1871 schließlich wird „Polizeiwache 13“ der Polizeibehörde zugeordnet. Allerdings erschwert die politische Ordnung in Deutschland polizeiliches Einschreiten: St. Pauli liegt im Niemandsland zwischen der Hansestadt Hamburg und dem preußischen Altona. Häufig flüchten Straftäter auf preußisches Gebiet und entkommen.

Der Kiez entwickelt sich damals zusehends zu einem Problemviertel: Halbweltgestalten nutzen die Nähe zum Hafen, um Drogengeschäfte im großen Stil abzuwickeln. Später sind es Chinesen, die den Handel mit Opium und Haschisch kontrollieren. Auswanderer aus Osteuropa versuchen, auf St. Pauli sesshaft zu werden. Oder sie nutzen den Hafen, das Tor zur Welt, als Sprungbrett in die Vereinigten Staaten. St. Pauli wird zum Schmelztiegel der Kulturen – und zur Brutstätte der Kriminalität.

Fritz Schumacher plant das heutige Gebäude an der Ecke Davidstraße

Um die Straftaten abzuarbeiten und die Ordnung aufrechtzuerhalten, reicht der Platz irgendwann wieder nicht aus. 1911 beauftragt der Senat Stadtbaumeister Fritz Schumacher mit der Planung eines deutlich größeren Gebäudes. Nur wo? Die damals schon sehr eigensinnigen Bewohner und Geschäftsleute von St.Pauli wollen die neue Polizeiwache wieder an den alten Standort Kastanienallee verfrachten. Die Luden hingegen fürchten, dass die Präsenz der Polizei am Spielbudenplatz ihrer Kundschaft den Spaß und ihnen das Geschäft verderben könnte. Die Polizeibehörde beharrt indes auf dem neuen Standort und setzt sich durch.

Für 170.000 Reichsmark wird die Davidwache gebaut und am 10. Dezember 1914 eingeweiht. Die Schmuckkeramik gestaltet der auch als „Architekturplastiker“ bekannte Bildhauer Richard Kuöhl. Er hat auch die Reliefs am Chilehaus und den Hummelbrunnen in der Neustadt konzipiert. Nach umfangreichen Renovierungen, zuletzt 1990/1991, erhält die Davidwache am 4. April 2005 einen Anbau – dort kommen die Kripo-Beamten von der Lerchenstraße und die Straßenverkehrsabteilung unter. Der Backsteinaltbau beherbergt heute nur noch die Schutzpolizei und die Leitung des Polizeikommissariats 15.

Die Davidwache gehört zur Reeperbahn-DNA wie der Hans-Albers-Platz oder die Große Freiheit. Kein anderer Polizeistützpunkt in Deutschland ist so tief in ein potenziell anarchisches und kriminelles Gebiet vorgedrungen wie das PK 15. Zum Mythos Davidwache, der vor allem von den unzähligen Filmen und Dokumentationen geschaffen wurde, gehören vulgärromantische Kumpeleien zwischen jovialen Kiez-Cops und muskelbepackten Kiez-Originalen dazu – auch wenn das nur selten der Realität entspricht.

Drogen- und Gewaltkriminalität sind die Hauptdelikte

Tatsächlich ist die Davidwache kein Außenseiter auf dem Kiez, sie ist nicht nur mittendrin, sie gehört dazu. Die Polizisten kennen das Milieu, und das Milieu kennt seine Polizisten. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich eine Kultur des gegenseitigen Respekts entwickelt. Die Beamten schauen bei Straftaten nicht weg, aber sie hören immer genau hin – der Kiez hat seine eigenen Regeln, und bis zu einem gewissen Grad wird das von der Polizei auch akzeptiert. Drogen- und Gewaltkriminalität gehören nach wie vor zu den Hauptdelikten auf dem Kiez.

Doch die Technik hat auch die Kriminalität verändert. Mündeten Streitigkeiten früher oft in blutigen Auseinandersetzungen oder Schießereien, werden sie heute nicht mehr offen, sondern immer mehr verdeckt ausgetragen, sagt Vizechef Jörg Biese. Vor allem sei man für die 14.000 Einwohner da – schließlich besteht der Kiez nicht nur aus Betreibern von Bars und Bordellen und ihrer Kundschaft.

Zuständig für 14.000 St. Paulianer und 50.000 Besucher

Schwerstarbeit kommt auf die Beamten vor allem am Wochenende zu. Junggesellenabschiede, mehr Diebe auf den Straßen, das übliche Feiervolk. Kein Wunder, dass die Wache dann von Bereitschaftspolizisten unterstützt werden muss.

In warmen Sommernächten tummeln sich mehr als 50.000 Besucher auf dem Kiez – meist sind dann die Ausnüchterungszellen voll. „Wir gönnen jedem seinen Spaß hier“, sagt Biese, „aber wer sich nicht benehmen kann, den ziehen wir aus dem Verkehr.“ Schulterkameras, die in einem Pilotprojekt von Davidwachen-Beamten getestet werden, sollen von Januar an vor allem Volltrunkene gegenüber Polizisten zur Räson bringen – nach dem Motto: Alles, was du tust, zeichnen wir auf. Doch bei aller Hightech: Wie schon Generationen von Beamten auf der Davidwache zuvor wünscht sich auch Biese vor allem eins – mehr Platz.