Hamburgisch und historisch ist das Lieblingsmenü im Vlet von Thomas Sampl. Matthias Rebaschus stellt es vor

Chefkoch Thomas Sampl vom Restaurant Vlet ist als fünfmaliger Teilnehmer des Lieblingsmenüs am längsten dabei. Tausende von Lieblingsmenüs hat er gekocht, und er weiß, was geht. Bei der Präsentation seiner fünf Gänge geht viel. Von den Testern ist ein Raunen deutlich zu vernehmen, denn die Begeisterung über die Fischsuppe im zweiten Gang ist so hoch, dass mehrere schwören, noch nie eine so gute gegessen zu haben. Der Koch wird sich daran messen lassen müssen.

Was ihn nicht schreckt, denn der Mann aus Ostwestfalen lebt seit fast zehn Jahren in Hamburg und hat so viel norddeutsche Bodenständigkeit und Gelassenheit, dass man ihn für einen Einheimischen halten könnte. Seine Speisekarte im Vlet ist schon norddeutsch. Ab Januar 2015 kann man dort wieder das Lieblingsmenü genießen: Für 59,50 Euro gibt es fünf exklusive Gänge mit fünf passenden Weinen, Wasser und einer Kaffeespezialität. Nur über die Abendblatt-Tickethotline (040/30309898) kann man die Gutscheine bestellen. Wie das genau geht, steht rechts auf dieser Seite. Beim neuen Lieblingsmenü geht Sampl den norddeutschen Weg konsequent zurück in die Zeit von Urgroßmutters nordischer Küche. Seine Rezepte stammen aus historischen Kochbüchern. „Ich koche danach keine Spielereien, sondern setze die Rezepte eins zu eins um“, sagt er. Die Originalrezepturen würden „nur“ angepasst. Zum Beispiel müsse man Birnen heute nicht totkochen.

Thomas Sampl stapelt dabei tief. Denn zu den nordischen Klassikern kommt hinzu, dass der Mann klasse kochen kann. Das Vlet im historischen Speicherhaus bietet ihm die perfekte Spielwiese. Dazu gehört eine sportlich motivierte Küchenmannschaft mit kreativer Lust und Stimmung. Auch das gelingt Sampl, wie wir einmal in der Küche feststellen konnten, wo es am späten Vormittag ein Blitz-Brunch für die Köche gibt.

Die Karotten-Fischsuppe zählt zu den besten Gängen aller Lieblingsmenüs

Zurück ins Jahr 1850 ohne Kühlschrank und mit echtem Feuer im Herd. Aus der Zeit stammen viele der Ideen zum neuen Lieblingsmenü. Mit Salz und Rauch wurde damals Fisch haltbar gemacht. Womit wir beim ersten Gang sind: „Stremellachs und Riefkoken mit Birnen, Bohnen und Speck“. Das Wort Riefkoken entstammt dem Niederdeutschen und bedeutet Kartoffelpuffer. Der Stremellachs kommt aus der Küche Sampls, nicht aus dem Fischgeschäft.

Das Rezept ist so einfach wie genial. Frischer Lachs wird zweieinhalb Stunden in Meersalz eingelegt und dann in einer Kalotte 15 Minuten lang leicht geräuchert. Wer das Rezept nachmachen will, kann für zu Hause eine Räucherpfanne aus dem Angel- oder Kochfachgeschäft verwenden. Den wirklich milden Rauchgeschmack gibt es nur frisch. „Mild geräuchert heißt: Auf dem Stremellachs befindet sich kein ausgetretenes weißes Eiweiß“, sagt Sampl. Schön, dass er sich die Mühe macht, den unvergleichlich milden Rauchgeschmack zu erzielen. Stremellachs bezeichnet die heiß geräucherte Variante und stammt aus Ostpreußen. Stremel bedeutet Streifen. Den frisch zubereiteten Stremel kann man nicht genug loben, denn es ist wie beim Kaffee: Der schmeckt auch nur frisch und nicht (k)alt.

Mit den Bohnen, den Birnen, Salat und zwei Stückchen Kartoffelpuffer ergibt das einen sehr eleganten Gang. Hat er noch einen Trick? „Ja, ich verwende Birnenbalsamico-Essig zum Würzen“, sagt er. Für diese Art, Omas Küche zu interpretieren, verteilen die sieben Tester siebenmal die Note Eins minus.

Als Wein bei der Präsentation ausgesucht: ein 2013er Chardonnay Zeller Kreuzberg, QbA, trocken, Weingut Klosterhof, Pfalz, Deutschland. Das ist ein Wein von einem der Shootingstars des deutschen Weinbaus, Stephan Schwedhelm; er liefert den schlanken und filigranen Chardonnay zum Lachs.

Einen kleinen Anteil an der erfolgreichen Historienküche des Thomas Sampl hat das Hamburger Abendblatt, denn auf einen entsprechenden Hinweis haben einige Leser dem Koch uralte Kochbücher geschenkt. „War wirklich klasse!“, sagt Sampl und lächelt siegessicher. Der zweite Gang heißt „Gelbe Karotten-Fischsuppe mit Safran, saurer Sahne und Föhrer Muscheln“ und zählt zu den besten Gängen aller Lieblingsmenüs. Schaumig und leicht grün schimmert die Suppe im Teller. Sie erinnert leicht an jene, die französische Fischer in kleinen Atlantik-Häfen den Einheimischen abgefüllt in Flaschen verkaufen. Doch norddeutsch sind die Muscheln, die tatsächlich von der Nordseeinsel Föhr stammen. „Norddeutsch ist auch der Schuss saure Sahne daran“, sagt der Koch. Weinexperte Gerd Rindchen schwärmt: „So eine Suppe macht glücklich. Unglücklich bin ich nur, weil ich weiß, dass ich es selber nicht schaffe.“ Auch Olaf Schulz von der Marketingabteilung des Abendblatts, die das Lieblingsmenü organisiert, stellt fest: „So gut würde ich es auch gern hinbekommen.“ Wer es probieren will: Die Suppe entsteht auf einem Muschelsud, wird abgeschmeckt mit Safran, Noilly Prat (sehr aromatischer Wermut) und Meersalz namens Marisol. Wie viele Spitzenköche verwendet Sampl nicht namenloses Industriesalz, sondern ein besonderes und auf natürliche Weise hergestelltes.

Dazu wieder ein Wein aus Deutschland: 2013 Sauvignon Blanc, QW, trocken, Weingut Schlossmühlenhof, Rheinhessen. Der Wein geht mit der Fischsuppe eine begeisternde Paarung ein: Er kommt mit seinen Duftnoten nach frisch gemähtem Gras und Holunderblüten herrlich verspielt daher, setzt sich frisch und lebendig am Gaumen fest mit einem Anklang nach Maracuja.

Der erste Hauptgang: „Krustentierpudding und Esskastanien mit eingelegtem Chicorée und Müritz-MaränenKaviar“. Wer bei Sampl einen „Pudding“ bestellt, erhält nicht die heute meist darunter verstandene Süßspeise, sondern den historischen Pudding. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war Pudding aus Mehl, Brot, Fleisch, Fisch und anderen Zutaten sehr beliebt, weil man mit Gewürzen ganz wundervolle Geschmackskombinationen erzielen konnte.

„Dieser Pudding stammt aus dem Kochbuch der ,Alt-hamburgischen Küche‘ und wird aus einer Farce von Krebsen hergestellt“, sagt Sampl. Das Ganze wirkt optisch sehr ungewöhnlich, denn es gibt lila Blumenkohl (eine besondere Art) und gehobelte Esskastanien dazu, die gelblich-violett schimmern. Ein Gang, der für Weinfachmann Gerd Rindchen „eine gute Melodie“ hat.

Der Große Hans zum Abschluss bekommt im Test eine glatte Eins

Ausgesucht haben wir dazu einen 2013er Spätburgunder Blanc de Noir, QbA, trocken, Weingut Fogt, Rheinhessen. Weiter geht der Reigen der frankophilen deutschen Spitzengewächse mit einem Blanc de Noir vom Spätburgunder (alias Pinot Noir) von Georg Fogt. Seine dezent nussigen Anklänge harmonieren perfekt mit den Esskastanien. Dazu gesellt sich jedoch eine belebende knackige Frische mit einem Spritzer Limette.

Wer im Vlet bei Thomas Sampl das Lieblingsmenü genießt und Spaß an der nordisch-historischen Küche findet, der kann ja mal nach einem Kochbuch fragen, das Sampl ganz simpel „Hamburger Küche“ nennt. Es ist sein erstes Kochbuch mit gut 60 alten Rezepten (und auch einem Krebspudding).

Auch der folgende Hauptgang ist pure Hanseaten-Heimat: „Hamburger National mit dem Besten von Haxe und Bauch des Havelländer Apfelschweins, kleinem Steckrübeneintopf und Klütjes, serviert mit Wintertrüffeln und gebeizten Zwiebeln“. Mehr Alt-Hamburg geht nicht! Das ist ein Gang, den man eigentlich nach einem langen Spaziergang mit der Senatorenkette um den Hals einnehmen müsste. Doch Sampl gelingt auch hier eine Leichtigkeit, die den echten historischen Rezepten fehlt, denn diese bevorzugten Unmengen von Eiern, Mehl und Fett. Also: Es geht ohne Spaziergang ganz einfach. Die gehobelten Trüffelscheiben veredeln die Würfel von Steckrüben, und die Haxe hat auch mageres Fleisch, sodass die weiblichen Testesser ebenfalls gern zugreifen.

Thomas Sampl erklärt: „Wir haben die Kombination vom Hamburger National in mehreren Variationen durchgetestet. Diese kam am besten an.“

Ein eleganter Wein aus Württemberg adelt das Apfelschwein: 2011 Triathlon, QbA, trocken, Weingut Eberbach-Schäfer. Der Triathlon aus 75 Prozent Lemberger, 15 Prozent Spätburgunder und zehn Prozent Cabernet Cubin ist meisterhaft ausbalanciert. Der Barrique-Touch ist dabei ungemein elegant eingebunden.

Im Dessert tritt wieder das alte Norddeutschland auf: mit dem Großen Hans, Pudding aus Rundstücken, Milch, Eiern, Weizengrieß, Butter, Zucker und Gewürzen wie Zimt und Vanille. Den Großen Hans kann Sampl gut, er gehört zum Standard im Vlet. Beim Lieblingsmenü erscheint er wie ein Kuchenstück, denn natürlich gibt es mehr: „Großer Hans mit Apfelkompott aus Finkenwerder Herbstprinz, Schlackermaschü und Vanilleeis“.

Für alle, die keine Hamburger Seele haben: Ein Rundstück ist ein Brötchen. Der Herbstprinz ein sehr aromatischer Apfel, der bestens für Kuchen und Desserts geeignet ist. Schlackermaschü ist eine angeschlagene (nicht steife) sahnige Milchzubereitung. Alles zusammen ergibt eine glatte Eins in der Wertung. Und es sieht auf einer Schieferplatte sehr ungewöhnlich aus. „Sampl wiederholt mit der konsequent norddeutsch-historischen Ausrichtung einen seiner Erfolge beim Lieblingsmenü“, sagt Olaf Schulz, „ein typisch genialer Sampl, auch das Vanilleeis ist sensationell.“

Zum Abschluss gibt’s einen tollen Wein: 2013 Riesling Monzinger Frühlingsplätzchen, Auslese, Weingut Udo Weber, Nahe. Die Riesling Auslese betört mit Honigduft und Maracuja.