Heinz-Gerhard Wilkens leitet die Kommunikation der HanseMerkur Versicherung. Eine Herzensangelegenheit ist der Kinderschutz. Alexandra Maschewski sprach mit dem 59-Jährigen, der nicht anders kann, als sich zu kümmern

Klickediklack, klickediklack. Auf der Fensterbank herrscht Bewegung. Queen Elizabeth II. grüßt so huldvoll wie unablässig, zwei Hula-Mädchen lassen die Hüften schaukeln, und Hello Kitty nickt stoisch mit dem Kopf dazu. Heinz-Gerhard Wilkens können die vielen wackelnden Solar-Figuren in seinem Büro nicht aus der Ruhe bringen. Fast alle hat er geschenkt bekommen, und wenn er vom Schreibtisch aus den Blick über die Binnenalster schweifen lässt, dann erinnern sie ihn an lieb gewonnene Menschen. Mitunter auch an besondere Schicksale und daran, dass es gerade in Stresssituationen nicht schaden kann, einen Schritt zurückzutreten und an das zu denken, was wirklich zählt im Leben. „Es ist wichtig, auch einmal die Perspektive zu wechseln“, sagt einer, der den Tunnelblick hasst.

Gar nicht allzu lange muss man sich mit dem 59-Jährigen unterhalten, bis man sich fragt: „Wie passt so ein Mensch eigentlich in eine Versicherung?“ Denn dort arbeitet Heinz-Gerhard Wilkens: Seit fast 20 Jahren leitet er die Kommunikation bei der HanseMerkur am Siegfried-Wedells-Platz. „Ich weiß noch, wie ich damals versucht habe, meiner Mutter den neuen Job zu erklären. Sie dachte wohl, dieser müsse stinklangweilig sein“, sagt er und lächelt sein einnehmendes Lächeln. Ein Headhunter hatte ihn 1996 abgeworben, und Wilkens entdeckte schnell, wie stark dieses Berufsfeld mit allen sozial- und gesellschaftspolitischen Debatten verzahnt ist. Spannend für ihn, auch wenn er sich dadurch im „medialen Dauerfeuer“ zu bewegen habe.

Krisen-PR, die hat er vorher zehn Jahre lang am Britischen Generalkonsulat gelernt. Unweit der Außenalster, dort, wo einst der Geheimdienstler und spätere Schriftsteller John le Carré im Dienste Ihrer Majestät gearbeitet hatte, kümmerte sich der gebürtige Rendsburger kurz um die Verwaltung und als „Press Officer“ bald um alle aktuellen Belange. Um BSE und Atom-U-Boot genauso wie um den Staatsbesuch von Prinz Charles im Jahr 1995. Tatsächlich hatte die „Ortskraft“ mit dem empathischen Geschick großen Anteil daran, dass der Kronprinz seine Rede auf dem Rathausmarkt vor 50.000 Menschen auf Deutsch hielt. Von den Briten habe er Folgendes gelernt: „Hard on the issue, soft on the person – ich mag diese Art der sachlichen, aber trotzdem wertschätzenden Kommunikation.“

Glücksfall: Seit 17 Jahren begleitet Wilkens den Kinderschutzpreis

Heute vertritt Heinz-Gerhard Wilkens sein Unternehmen HanseMerkur nicht nur nach außen, sondern ist auch immer mal wieder Ansprechpartner, wenn ein Versicherter mit einer Fachabteilung nicht weiterkommt. Dann liest er sich in die Akte ein, hat wenig Probleme damit, auch einmal lieben Kollegen auf die Nerven zu fallen, und lässt sich, wenn notwendig, einen Termin beim Vorstand geben. Weil er jemand ist, der sich kümmert und der findet, dass es sich lohnen kann, Widerstände zu überwinden. Aber natürlich auch, weil er um sein gutes Standing im Hause weiß. „Krankheit, Berufsunfähigkeit – es geht meist um existenzielle Situationen. Da hilft nur genuines Interesse an Menschen.“

Schon als Jugendlicher hat er Sitzwachen im Kreiskrankenhaus Rendsburg gehalten, die Mutter arbeitete am Dialyse-Zentrum. Und doch ist er niemand, der ständig andere dazu bekehren möchte, Gutes zu tun. „So etwas kann man nicht verordnen.“ Persönlich betrachtet er es als enormen Glücksfall, dass er seit 17 Jahren den Kinderschutzpreis seines Unternehmens begleiten kann. „Ich habe dabei mehr gelernt als in meinem gesamten Vorleben. Weil ich die Möglichkeit hatte, Projekte zu begleiten und Menschen kennenzulernen, die nicht klagen, sondern Netzwerke bilden.“ Personen die nicht ständig davon sprechen, was man „sollte“ und „müsste“, sondern einfach machen. Genau so, wie Anna King, von der er den roten Faden bekommen hat. Als Mutter einer behinderten Tochter engagiert sie sich selbst seit zehn Jahren auch für andere behinderte Kinder. „So etwas geht nicht halbherzig, so etwas muss man leben.“

Erst am Vortag ist er aus Willich in Nordrhein-Westfalen zurückgekommen, wohin er das Bundesjugendballett begleitet hat. Er hat dort fotografiert, gedreht, unterstützt. Vor zwei Jahren Gewinner des Kinderschutzpreises, hatten die jungen Tänzer um Kevin Hagen einen Workshop mit behinderten und nicht-behinderten Kindern und Jugendlichen organisiert. Einen Tag lang wurde geprobt, dann fand die Aufführung statt. „Und am Ende saßen alle da, mit heulenden Augen. Es gibt wenig, das mich aus der Fassung bringen kann – dieses Projekt tat es.“ Wenn Heinz-Gerhard Wilkens mit etwas leiserer Stimme als gewöhnlich von „der fast zärtlichen Art der Tänzer, auf Schwerstbehinderte einzugehen“ spricht oder von der 19-jährigen Epileptikerin Jacqueline, die den ganzen Tag ohne Anfall durchhielt und am Ende weinend vor ihm stand, weil dieses Erlebnis noch schöner gewesen sei als ihr eigener Geburtstag, dann ist er dankbar. „Dafür leb’ ich auch“, sagt er. Und weil Heinz-Gerhard Wilkens Sprache liebt und gern Menschen zitiert, deren Gedanken ihm gefallen, kommen ihm Worte von Filmemacher Dominik Graf in den Sinn. „Manchmal ist das Herz eben zu klein für all die Gefühle.“

Mit Grundvertrauen hat er auch persönliche Krisen gemeistert

Der 59-Jährige hat selbst zwei Söhne, 17 und 19 Jahre alt, ihr Foto steht in seinem Büro. Beide leben bei der Mutter in Frankreich, und wenn der Vater von der räumlichen Distanz spricht, spürt man, dass sie ihn auch nach Jahren noch schmerzt. Trotzdem ist die Bindung eng, genauso wie das Verständnis der Söhne groß ist für das, was der Vater ehrenamtlich tut. „Die beiden sind auch schon einmal mitgekommen auf eine Reise nach Paris, die sich Kinder aus dem Dorf Dollenchen so gewünscht haben“, erzählt Wilkens, der sich in dem brandenburgischen Ort engagiert und dort auch regelmäßig den Dorfweihnachtsmann mimt. Seit etwa fünf Jahren ist er überdies im Vorstand des Vereins „Gesundheit – ein Kinderspiel“, der sich um Gesundheitsförderung in Kindertagesstätten bemüht. „Dazu gehören Themen wie Ernährung und Bewegung, aber auch Schwimmkurse“, erzählt Wilkens, der für die Initiative als Spendensammler unterwegs ist. Es gibt weitere Projekte und klar, er habe wenig Zeit für Privates – für Theater, Musik, sein Rennrad –, aber er sei eben auch ein begeisterter Netzwerker.

Am Handgelenk, ein wenig versteckt von der Manschette seines Hemdes, trägt er zwei Armbänder. Eines weist ihn als Fan des FC St. Pauli aus, das andere haben ihm Mönche aus Thailand gegeben. Seit 2009 hat er es nie wieder abgenommen. Das schmale Stoffband markiert nicht nur die Hinwendung des gläubigen Christen zum Buddhismus, sondern auch das Ende einer schweren Krankheit. 2008 musste Heinz-Gerhard Wilkens ein Teil seiner Niere entfernt werden. Doch trotz ernster Diagnose sei er nie verzweifelt: „Ich habe schon so viele schlimme Sachen gesehen und mir gesagt: Das schaffe ich.“ Schon bald nach seiner Operation sei er mit den Söhnen nach Sylt gefahren. Weil er die See und den Norden, den man ihm auch anhört, so liebt. Später dann in Thailand, als er wieder ganz bei Kräften war, habe er gesehen, wie Meditation dabei helfen kann, Momente der Gelassenheit zu erleben. „Wieder runterzukommen, wenn es bloß noch um Eitelkeiten, um Materielles geht.“

Sich selbst nicht zu wichtig nehmen, darum geht es Heinz-Gerhard Wilkens. Er schaut lieber, was er sich noch Positives von anderen abschauen kann. Von Menschen wie seiner Lehrerin, die dafür gekämpft hat, dass das hochbegabte Arbeiterkind das Gymnasium besuchen konnte, obwohl Großvater und Vater beide in der Ahlmann Carlshütte in Büdelsdorf beschäftigt waren. Von Gelehrten wie Ernst Bloch, Walter Jens und Dietrich Schwanitz, bei denen der Student mit Enthusiasmus Seminare besuchte. Aber auch vom eigenen Vater, dem er besonders für eine Lebensleistung größten Respekt entgegenbringt: „Selbst trockener Alkoholiker, ist er mit über 80 Jahren in der Suchtberatung aktiv.“ „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt“ – noch ein Zitat, diesmal von Gandhi, das Wilkens einfällt.

Wenn es nach dem Studium nicht so schwer gewesen wäre, eine Anstellung als Lehrer zu finden, dann würde Heinz-Gerhard Wilkens heute vielleicht an einer Schule arbeiten. „Das wäre genau meins gewesen“, sagt er. Bedauern hört man keines in seiner Stimme, da spricht bloß einer, der es spannend findet, über Möglichkeiten nachzudenken. Ihm wäre ja auch so vieles entgangen. So wie im Sommer, als er nach einer Hand-Operation beim Frühstück saß und acht Klinikclowns, die sich sonst um krebskranke Kinder kümmern, an seiner Tür klingelten. Um ihn aufzumuntern. Und ihn die andere Perspektive auch einmal erleben zu lassen.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Heinz-Gerhard Wilkens bekam den Faden von Anna King und gibt ihn an Mark Lyndon weiter.