Nach fast 135 Jahren steht die Trabrennbahn vor dem Aus. Josef Nyary über die Begeisterung am ersten Renntag und eine Geschichte von Triumphen und Rückschlägen.

Das Lokal ist gutbürgerlich, der Anlass außergewöhnlich, der Plan vielversprechend, die Stimmung glänzend: Am 9. Februar 1880 gründen 69 Kaufleute, Gewerbetreibende und Bauern im Altonaer Restaurant „Plassenburg“ an der Königstraße 135 den „Norddeutschen Renn- und Traberclub“.

Der Reeder und Konsul Theodor Alexander Gayen pachtet für 2500 Mark Wiesen im nahen Bahrenfeld. Der Architekt Adolf M. Karnatz baut darauf einen 1320 Meter langen Rechtskurs mit zwei Tribünen. Und schon am 20. Juni gewinnt der Jockey Silas Rich mit dem Wallach Frühling dort den mit 2200 Mark (heute: 36.000 Euro) dotierten „Germania“-Preis.

Fast 135 Jahre später ist die Lage schlecht, die Stimmung mies, und einen richtigen Plan gibt es auch nicht mehr: Seit der Millionenerbe Christian Herz (Winrace) den Rückzug ankündigte, steht die Bahrenfelder Bahn vor dem Aus.

Auf der Tribüne finden Altona und Hamburg schwesterlich zusammen

Der Daumen des Sponsors senkt sich über ein besonders traditionsreiches Hippodrom: Schon in seinen Anfängen ist Bahrenfeld das Mekka einer pferdesportbegeisterten Doppelstadt. Auf der Tribüne finden Altona und Hamburg schwesterlich zusammen, tummeln sich Adel und Großbürgertum, Handel, Handwerk, Bauernstand.

Schnelle Wagenpferde sind seit je die große Leidenschaft der Elbanrainer: Sie fahren im Landauer ins Büro, mit dem Dogcart zur Oper, mit dem Break ins Grüne. Als etwas „besonders Amüsantes und Anregendes“ schildert eine Chronik, „wenn die Wilhelmsburger Milchbauern mit ihren schönen hannoverschen Pferden vorüberfuhren und mit ihren Harttrabern Wettläufe durchführten.“ Auf den ersten zweispurigen Chausseen liefern sich bald auch Bürgersöhne mit ihren Kutschen Privatrennen. Und 1869 zahlen Zuschauer siebeneinhalb Silbergroschen (sechs Euro) für ein Trabrennen auf der Altonaer Allee.

Ein paar Jahre später sind die Pferdefreunde nach englischem Vorbild „Sportsmen“ und entsprechend verortet: 1874 in Groß Jüthorn bei Wandsbek, später auch in Tonndorf oder Winterhude. Geld ist nicht das Problem: In Bahrenfeld gibt der Norddeutsche Renn- & Traber-Club 215 Aktien zu je 300 Mark aus. Die 64.500 Mark Startkapital entsprechen etwa einer halben Million Euro.

Am Eröffnungstag drängen die Altonaer und Hamburger zu Tausenden in die neue Attraktion. „Der Besuch der Rennen, namentlich auch von der Damenwelt, war so zahlreich, dass die Tribünen die Menge kaum fassen konnten“, meldet ein Zeitungsreporter. Pferdewetten werden das neue Gesellschaftsspiel. „Ein Hauch von frischem Gras lag in der Luft“, schwärmt der Rennsporthistoriker Carl Düsterdieck. „Pferdehufe klopften gedämpft den grünen Teppich, über den die Sulkys, hoch und großrädrig, dahinglitten.“

Bei einem Großfeuer 1925 verbrannten 14 Traber jämmerlich in ihrem Stall

Anders als Hamburgs Hautevolee beim Deutschen Derby in Horn zeigt sich das Bahrenfelder Publikum demokratisch-egalitär: „Das Leben war weniger elegant, aber auch weniger steif“, beobachtet Düsterdieck. „Eine gutbürgerliche Atmosphäre herrschte vor, die dem Besucher ein freundliches Du anbot.“

Der Ansturm wird bald so groß, dass die Altonaer-Kieler-Eisenbahn-Gesellschaft an Renntagen ab 14 Uhr alle zehn Minuten einen Extra-Zug nach Bahrenfeld schickt. Es sind goldene Zeiten. Doch bald folgt Ernüchterung: Schon 1881 erlässt Wilhelm I. „zum Wohle der Moral“ für das gesamte Deutsche Reich ein komplettes Totalisatorverbot. Mit dem Wettbann fallen ein zentraler Spaßfaktor und eine wichtige Einnahmequelle flach. Doch Bahrenfeld bleibt trotzdem im Rennen, und 1886 löst der Kaiser die Spaßbremse wieder: Zu viele Wetter zocken illegal und damit staatlich unkontrolliert.

Jahrzehntelang bewundert oder betrauert das Publikum Weltstars mit zwei und vier Beinen wie etwa Charlie Mills, 1898 als Sohn des Trainers in einem Haus direkt auf der Rennbahn geboren, oder die viel bejubelte Derbysiegerin Graphit, die 1925 mit 13 anderen Trabern bei einem Großfeuer jämmerlich in ihrem Stall verbrennt. Auch die Tribünen gehen dabei in Flammen auf. Doch schon 1926 ist alles schöner als zuvor: Das Geläuf von Fluchtlicht erhellt, die Wetthallen beheizt, und der neue Linkskurs auf Sand statt Gras gilt als die schnellste Bahn Deutschlands.

Die Bomben des Zweiten Weltkriegs und die britischen Besatzungstruppen legen den Rennbetrieb still. Erst 1953 geht es weiter. Der legendäre Charlie Mills, 1947 nach Frankreich übergesiedelt, ist auch wieder dabei. Doch beim Bau einer neuen Tribüne 1974 übernimmt sich der Verein und geht pleite. Die Stadt sichert sich Bauten und Gelände und kassiert fortan Pacht.

Die Bahrenfelder lassen sich aber immer wieder was einfallen: Als Einzige fahren sie auch am Karfreitag Rennen, und prompt reisen Zocker aus ganz Deutschland an. In den 1980er-Jahren dürfen auch Amateure in den Sulky, in den 1990ern auch Frauen, und Marion Jauß aus der Wedemark bei Hannover wird die erfolgreichste Trab-Amazone der Welt.

Wie zu Kaisers Zeiten bremsen heute wieder Wettprobleme die Bahrenfelder Bahn aus: Die Familie des Kaffee-Milliardärs und Pferdesport-Fans Günter Herz hat bereits fünf Millionen in den Rennsand gesetzt. Sohn Christian wollte mit seiner Wettfirma Winrace gegensteuern, doch die Zocker ließen ihn im Stich: In zwölf Jahren sank der Umsatz von 21,2 auf knapp unter 2,9 Millionen Euro.

Wenn jetzt nicht noch ein Wunder geschieht, geht die Bahrenfelder Rennbahn bald genauso unter wie schon vor 100 Jahren das Restaurant Plassenburg, in dem einst alles begann.