Michael Graaf besitzt und betreibt in Nienstedten ein Floristikunternehmen. Seine Sträuße schmücken sogar Kreuzfahrtschiffe. Oliver Schirg traf den 51-Jährigen

Es sei das erste Mal, dass er Schulden in derartiger Höhe gemacht habe. Michael Graaf lehnt sich zurück und atmet hörbar aus. Von dem großen Holztisch aus kann der 51-Jährige durch die Wohnzimmerfenster die Handwerker an der neuen Produktionshalle arbeiten sehen. Von rund 700.000 Euro Baukosten ist die Rede. Viel für den Besitzer eines Blumenladens – auch wenn dieser zu den anerkanntesten Hamburgs gehört.

Gut vier Meter in die Höhe reicht die Halle. Der Fußboden besteht durchgehend aus Fliesen. Trotz der Bauarbeiten ahnt der Besucher, dass hier einmal Blumengebinde im großen Stil produziert werden sollen. Große Fenster sorgen für reichlich natürliches Licht. Für seine rund 40 Mitarbeiter werde es einen Aufenthaltsraum und eine Küche geben, sagt Graaf. Sogar eine Köchin habe er eingestellt.

Wer die enge wie charmante Kanzleistraße in Nienstedten entlangschlendert, kann die Produktionshalle erst auf den zweiten Blick erkennen. Zur Straße hin wird das graafsche Grundstück von einem zweistöckigen Haus begrenzt. In diesem ist der Blumenladen untergebracht. Durch das mannshohe Schaufenster sind die mächtigen Vasen zu erkennen.

Drinnen im Laden steht man sofort inmitten prachtvoller Blumen. Michael Graaf selbst hat mit dem unmittelbaren Verkauf zwar nicht mehr viel zu tun. „Es gibt so viel zu organisieren, dass dafür kaum mehr Zeit bleibt“, sagt er. Nichtsdestotrotz kennt der 51-Jährige viele seiner Kunden persönlich. Ein kurzer Plausch hier, die Frage nach den Kindern dort. „Wir begleiten eine Familie durch ihr Leben – von der Taufe zur Traufe“, sagt Michael Graaf, der selbst Vater von drei Jungen ist.

Das heutige Nienstedten mit seinen vielen Einfamilienhäusern, den zugewachsenen Grundstücken und hoch in den Himmel ragenden Bäumen erinnert kaum mehr an das Gelände, auf dem Urgroßvater Peter Graaf am 1. September 1876 die eigene Handelsgärtnerei eröffnete. Damals hieß die Kanzleistraße noch Bahnhofstraße, weil sie zur Station Klein Flottbek führt.

Ringsherum war noch nichts bebaut. Lediglich die Baumschulen-Familie Lorenz von Ehren hatte sich auf der anderen Seite der Straße angesiedelt. Graafs Urgroßvater, er durfte sich königlicher Gärtner nennen, hatte neben seinem Blumenladen eine Gärtnerei errichtet, wo frische Blumen wuchsen.

Michael Graaf ist sich bewusst, in vierter Generation ein Geschäft zu führen, das überall nur Blumen-Graaf heißt. Auch deshalb betont er immer wieder, er betreibe eigentlich nur einen einfachen Blumenladen. „Wir sind ein ganz normales Blumengeschäft, in dem man auch eine Rose bekommt.“

Natürlich weiß der 51-Jährige, dass er untertreibt. Längst ist aus dem einfachen Blumenladen ein Floristik-Unternehmen geworden, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neben privaten Feiern wie Hochzeiten oder Taufen festliche Abendgesellschaften international agierender Unternehmen, Kongresse und die beiden „MS Europa“-Schiffe von Hapag-Lloyd mit Blumenschmuck ausstatten.

Allerdings war Michael Graaf es, der den Wandel vom Blumenladen zum Floristikunternehmen durchzog. „Nachdem ich eine Lehre zum Floristen abgeschlossen hatte, studierte ich in den 90er-Jahren in Weihenstephan in Bayern an der Schule für Blumenkunst.“ Eigentlich habe er nach der Ausbildung noch in die USA gehen wollen, um Erfahrungen zu sammeln.

„Aber meine Eltern baten mich, heimzukommen und den Laden in der Kanzleistraße zu übernehmen.“ Mitte 1995 sei es gewesen, als er sich schweren Herzens entschlossen habe, den Wünschen der Eltern nachzukommen. „Allerdings unter einer Bedingung: Ich wollte den Laden allein und nach meinen eigenen Vorstellungen führen.“

Michael Graaf hatte erkannt, dass Veränderung nottat. „Meine Eltern führten einen konventionellen Blumenladen mit Wagenrad und getrockneten Blumen an der Wand.“ Das gesamte Interieur wirkte dunkel – so wie das vieler Blumengeschäfte seinerzeit. „Nachdem meine Stiefmutter am Sonnabendmittag das Geschäft abgeschlossen hatte, habe ich an den Wochenendtagen alles rausgeschmissen.“

Als er den Laden am Montag wieder öffnete, „fragten die Kunden, ob ich jetzt eine Fleischerei führen würde“, erzählt Michael Graaf. Er hatte Wände und Decken gnadenlos mit weißer Farbe gestrichen, so dass die Räume tatsächlich ein wenig daran erinnerten. „Heute würde ich so radikal wohl nicht mehr handeln“, sagt der 51-Jährige. „Aber damals kam mir überhaupt nicht in den Sinn, behutsamer vorzugehen.“

Doch bei einer rein äußerlichen Veränderung sollte und durfte es nicht bleiben. „Ich hatte während meiner Ausbildung in Weihenstephan so viele Anregungen erhalten, die ich nun umsetzen wollte.“ Michael Graaf beschreibt sich als „Handwerker“, fügt aber hinzu: „Die Arbeit mit Blumen ist immer auch Kunst.“

Ihm liege daran, die Natürlichkeit der Pflanzen zu erhalten. „Blumen in einem Gesteck dürfen nicht so aussehen, als hätte der Florist sie arrangiert.“ Stattdessen gehe es ihm um den Eindruck, als sei die Frau des Hauses durch den eigenen Garten spaziert, hätte hier und da eine Blume gepflückt und diese später zu einem Strauß gebunden.

Wer Blumen für Sträuße oder die Dekoration von Räumlichkeiten aussucht, benötigt ein besonderes Maß an Sensibilität. Es überrascht wenig, dass dem 51-Jährigen Farben wichtig sind. „Die Farben drücken die Fröhlichkeit aus, das ist das Leben.“ Natürlich kommt es stets auf das entsprechende Event an. Aber wenn es nach Michael Graaf geht, könne es ruhig richtig krachen: „Lila und Rot, Pink oder Orange.“

Dabei vergleicht er sein Tun gern mit dem eines Modeschöpfers. „Auch in der Mode kann es ruhig richtig feuern, und wenn man das gekonnt macht, dann sieht das traumhaft aus.“

Als Florist, der besonderen Wert auf Natürlichkeit legt, kann Michael Graaf gar nicht anders, als sich an den Jahreszeiten zu orientieren. „Ich liebe die Veränderung und im Frühling Tulpen, Ranunkeln, italienischen Mohn oder Schneeglöckchen.“ Im Herbst schlägt sein Herz für Dahlien, Astern oder Hortensien. „Ich hole mir die Jahreszeiten in den Laden.“

Kitsch ist dem 51-Jährigen verhasst. „Generell möchte ich so natürlich wie möglich dekorieren.“ Es überrascht kaum, dass er dabei pure Blumen am liebsten verwendet. „Blumen sind ein Kulturgut“, sagt Michael Graaf. Selbst zu Krisenzeiten – nach den Weltkriegen zum Beispiel – hätten die Menschen ihr letztes Geld zusammengekratzt, um Blumen zu kaufen.

Die Gratwanderung zwischen den Wünschen der Kunden und seinem eigenen Stil sei nicht immer einfach, räumt Michael Graaf ein. Allerdings hätten die Kunden das letzte Wort. „Ich unterscheide mich von anderen Floristen dadurch, dass diese gern ihren eigenen Stil vorgeben und sich in den Vordergrund rücken.“ Ihm hingegen sei wichtig, zu beraten und – wenn notwendig – sanft zu lenken.

Der typische Kunde von Michael Graaf stammt aus Hamburg. „Was aber heißen kann, dass mancher Auftrag Tausende Kilometer entfernt ausgeführt wird. „Vor einiger Zeit statteten wir die Hochzeit eines Hamburger Paares in einem Schloss in Paris aus.“ Mit Hilfe von drei Lastkraftwagen wurden die Blumen nach Frankreich transportiert. In einem extra errichteten Zelt stellten Graafs Mitarbeiterinnen die Blumendekors her. „Was an Logistik dahintersteckt, wird gern übersehen.“

Dabei hat Michael Graaf seinen ersten großen Auftrag mit Hilfe einer logistischen Meisterleistung erfüllt. Vor 15 Jahren war ein Mitarbeiter von Hapag-Lloyd auf ihn zugekommen und hatte ihn gebeten, für die Erstausstattung des gerade erbauten Kreuzfahrtschiffes „MS Europa“ zu sorgen. „Wir hatten für unsere Arbeiten nur die 24 Stunden Zeit, in denen das Schiff auf der Nordsee noch ein paar Tests machte.“

Das gesamte Team war mit einem Bus nach Bremerhaven gefahren worden und dort an Bord gegangen. „Ohne Pause rotierten wir und sorgten für eine Weihnachtsdekoration.“ Gerade rechtzeitig, als das Schiff in Hamburg anlegte, seien sie fertig geworden. Seitdem ist Blumen-Graaf für die Ausstattung der „Europa“ und – seit ein paar Monaten – der „Europa 2“ verantwortlich. Aufträge, die die Reederei eine fünfstellige Summe kosten. Heute aber erfolgt die Weihnachtsdekoration über mehrere Wochen. „Anfang Dezember fliegen meine Mitarbeiter dorthin, wo das Schiff gerade auf Tour ist.“

Auch wenn Michael Graaf seinen eigenen Kopf hat und „eigentlich nicht nach Trends sucht“, kann er sich den einzelnen Moden doch nicht ganz entziehen. Vor allem bei Hochzeiten sei wichtig, dass das Paar sich mit den Arrangements der Blumen identifiziere. „Wenn also der Trend zu Lila geht, dann verwenden wir eben lila Blumen.“

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Michael Graaf bekam den Faden von Jost Deitmar und gibt ihn an Nils Seemann weiter.