Uli Salm, Betreiber von vier Zwick-Clubs, zählte zu den Gründern der „Hamburger Szene“ mit Udo Lindenberg, Torfrock, Otto Waalkes und vielen mehr. Die besten Ideen kamen ihnen, wenn sie gemütlich abhingen. Ein Porträt von Irene Jung

Das Schild ist selbst gemalt, schwarzer Filzstift auf knallgelbem Grund, und dürfte Uelzens Jugend elektrisiert haben: Beim Schulfest am 30. Juni 1964 spielen in der Aula des Gymnasiums die Owl City Washboardmen! Zu der Schülerband, die gerade als Norddeutschlands zweitbeste Skiffle Group ausgezeichnet worden war, gehörten unter anderen Ulf Krüger („voc/git“) und Uli Salm („bass“), beide 16. Schüler zahlten 20 Pfennig Eintritt, Erwachsene und Rentner ebenso.

Heute hängt das Schild im Zwick am Millerntor, einem von vier Zwicks, die Uli Salm betreibt. Neben riesengroßen Jimi-Hendrix- und John-Lennon-Plakaten und etwa 80 Bassgitarren aus seiner Sammlung (insgesamt mehr als 600) hat er auch alte Fotos, Programmzettel und Erinnerungen aus seiner Musikerlaufbahn aufgehängt. Die Bühne am Eingang ist klein, „so klein wie die, auf denen wir am Anfang auch gespielt haben“, sagt er. Dieses Zwick soll wie ein Wohnzimmer anmuten. Ein Wohnzimmer für Musikliebhaber.

In einem Wohnzimmer hat ja auch alles angefangen, nämlich zu Hause bei Salms in Uelzen. Die Eltern – der Vater hatte einen Landhandel, die Mutter war Hausfrau – legten Wert auf Musik. „Meine beiden älteren Schwestern hatten Glück, die durften Klavier spielen“, sagt Salm, „ich musste Geige lernen.“ Das war nicht sein Instrument, aber über die Geige entdeckte er den Bass – hat auch vier Saiten – und den Skiffle.

1962 spielte er mit 13 in der ersten Band beim Taubenzüchterverein. Das war im selben Jahr, als Peter Kraus mit „Sweetie“ und Freddie mit „Junge, komm bald wieder“ die Hitparade anführten. Salm reichte der nette deutsche Tanzschlager aber nicht: „Wir hörten im Radio lieber die britischen und amerikanischen Sender.“

Gerade schwappte die Skiffle-Welle nach Deutschland, die der Schotte Lonnie Donegan losgetreten hatte und die eine ganze Musikergeneration beeinflusste, von John Lennon über Eric Clapton und Mark Knopfler bis Uli Salm. „Lonnie spielte später regelmäßig auch in Hamburg“, sagt Salm, der mit Donegan zwei große Tourneen machte und ein Freund wurde (er starb 2002).

Aber weil die neuen Platten in Uelzen oft nicht zu kaufen waren, trieb sich Uli in der Nähe der jungen Hamburger Musikszene auf dem Kiez herum. Dort hatte er 1963 eine Art Erweckungserlebnis: „Ich zeigte gerade ein paar britischen Austauschschülern die Reeperbahn. Da hörten wir aus einer Bar plötzlich ‚Twist and Shout‘.“ Die Beatles! Die waren eine Offenbarung, sagt Salm. „Mit den Beatles und den Stones trat der Skiffle in die zweite Reihe.“ Vier Jahre später stand er selbst auf der Bühne des Star-Clubs, als Mitglied der Uelzener/Lüneburger Band Chikago Sect, und spielte dort bis 1969. Da hieß seine neue Band Leinemann. „Ich habe die große Gnade genossen, dass ich alle Epizentren des Hamburger Aufbruchs erleben konnte“, sagt er.

Wenn Uli Salm erzählt, klingt er manchmal wie sein eigenes Musiklexikon. Man könnte stundenlang nur Namen und Jahreszahlen mitschreiben: wann und wo er mit wem schon gespielt hat. Denn er gehörte ab Ende der 1960er zu den Geburtshelfern der „Hamburger Szene“, einer halben Hundertschaft, die von der Elbe aus die Republik mit frech-fröhlichen Party-Hits versorgte. Leinemann, die Rentnerband, Meyers Dampfkapelle, Schulzkes Skandaltrupp, Torfrock, Udo Lindenberg, Otto Waalkes, Hans Scheibner, Peter Petrel – alle sind sie aus dieser Szene hervorgegangen, am Rande auch Frumpy mit Inga Rumpf.

Ihr „Epizentrum“ lag aber (noch) nicht in Eppendorf, sondern in Pöseldorf am Mittelweg. Erstens, weil sich dort nahe dem Ur-Zwick auch das Ur-Onkel Pö befand (es musste 1969 dem Pöseldorf-Center weichen). Zweitens, weil Pöseldorf noch ein bezahlbarer Kiez war, in dem sich gerade junge Musiker tummelten. Salm wohnte ab 1968 am Böhmersweg, weil er in Hamburg ein Jurastudium begonnen hatte, im zweiten Stock Lonzo, der „Teufelsgeiger von Eppendorf“, nebenan Otto Waalkes, noch ein Haus weiter Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen.

Nach dem Abriss des Pö wurde das Zwick ihre Stammkneipe – und wieder zum Musikerwohnzimmer. „Küche bis 2 Uhr nachts, also der ideale Ort, um mit Kollegen nach Konzerten abzuhängen.“ Regelmäßig wurde auch zusammen gejammt. Dieses Wohnzimmer war der Humus der Hamburger Szene, man kannte sich, half sich gegenseitig aus, es gab eine wilde Musikerfluktuation. Mit dem Song „Hamburg 75“ brachte Hans Scheibner damals die Stimmung auf den Punkt: „Hamburg 75, Jungs war das gemütlich / da schien noch ein richtiger Mond in der Nacht / die Musik haben wir noch mit der Hand gemacht…“

Leinemann – mit Uli Salm und seinem Schulfreund Ulf Krüger, Jerry Bahrs, Django Seelenmeyer, Gottfried Böttger und später auch Lonzo – entwickelte einen ganz eigenen Sound, eine Art PianoSkiffleRock. 1976 rief Salm auch „Rudolf Rock und die Schocker“ als ein Wohnzimmerprojekt unter Freunden ins Leben, mit Ulf Krüger und einigen der üblichen Verdächtigen: „Wir wollten die deutschen Rock 'n'Roller der 50er persiflieren, Ted Herold und Peter Kraus.“ Sängerin Ingeburg Thomsen brillierte als „Sexy Hexy“. Als Mike Leckebusch von Radio Bremen die Schocker kurz in seinen ARD-„Musikladen“ einlud, katapultierte das die Band über Nacht in die erste Reihe der jungen deutschen Rockszene. „Im Oktober 1976 stellten wir uns als Band im Onkel Pö vor, da standen die Leute Schlange bis in die Eppendorfer Landstraße“, erinnert sich Salm.

Von einer Zukunft als Rechtsanwalt hatte er sich längst verabschiedet: „Ich hatte an der Uni zwar alle Jurascheine gemacht, aber nie das Examen. Schon mit Leinemann hatte ich so viele Auftritte, dass ich von der Musik leben konnte.“ Nebenbei spielte er mit Chuck Berry im CCH. Oder mit Neil Landon. Oder mit Paul Raven und der Boston Showband, später Gary Glitter. Aber die Wohnzimmer-Connection blieb, 1991 kaufte Salm das Zwick in Pöseldorf. Mit Ulf Krüger schrieb er Texte für Schocker-Hits, die noch heute jeder kennt, etwa „Die Dinosaurier werden immer trauriger“ oder „Heiner der Weiner“.

Aber es floss auch reichlich Alkohol in Salms langer Musikerkarriere. „Wir haben wild gelebt“, sagt er, „in den 70ern galt es ja als erstrebenswert, sich die Birne vollzuknallen.“ Bei vielen Freunden endete das wilde Leben allzu früh, bei Lonzo mit 49 Jahren. Uli Salm wurde mit 51 klar, dass er selbst ein Alkoholproblem hatte. „Ich hab 1999 aufgehört und eine Therapie angefangen. Sonst wäre ich jetzt auch weg.“ Kürzlich hat er „15 Jahre ohne“ gefeiert. „Das ist wie ein zweiter Geburtstag.“

Die Zusammensetzung der Schocker hat sich immer wieder verändert. 2007 schneite Hugo Egon Balder ins Zwick, der zwar in Köln Fernsehen macht, aber selbst Musiker ist und sich derart für die Allstars-Sessions der Schocker begeisterte, dass Uli Salm sagte: „Spiel doch mit!“ Mit Balder eröffnete er 2010 das Zwick am Millerntor, wo sie oft gemeinsam auftreten.

Und 2004 war eine blonde Sängerin hinzugekommen, die Salm schon lange ins Auge gefallen war. Susi Frese hatte bereits bei „Susis Schlagersextett“ mit Olli Dittrich gespielt und in Musicals bewiesen, dass sie ganze Säle aufkochen kann. Susi wurde auch zur Frontfrau im Leben von Uli Salm. „Ab 2007 waren wir zusammen, 2008 haben wir geheiratet“, sagt Susi. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt Uli.

An Ruhestand denkt er noch lange nicht. Regelmäßig rocken „Rudolf Rock und die Schocker“ als Gastband die „Queen Mary“ mit ihrem Hit-Mix von „Herzilein“ über „Ring of Fire“ bis natürlich „Proud Mary“. Zu Hause in Harmstorf (Kreis Harburg) ist aber auch allerhand los. Zum Haushalt der Salms gehören vier Hunde und Pferd Lola, das die beiden als halb verhungertes Fohlen auf Mallorca retteten.

Daneben hat Salm mit der Organisation seines Zwick-Reiches allerhand zu tun: 2012 kam das frühere Woodpecker als Zwick in Altona dazu, 2013 das Zwick in der Altstadt von Lüneburg. In beiden findet übrigens jeden Donnerstag die etwas andere Jam-Session mit jungen Nachwuchsmusikern statt, im „Musiker-Wohnzimmer“. Im Zwick Pöseldorf plant Salm einen „Musikerstammtisch“. Das Wohnzimmer lässt ihn einfach nicht los.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Uli Salm bekam den Faden von Maike Bollow und gibt ihn an Axel Gernert weiter