Vor 45 Jahren wurde der Grundstein für Neu-Steilshoop gelegt, eine Großsiedlung für 24.000 Menschen. Volker Sarbach erinnert an das hehre Ziel von der „modernen Wohnstadt“ – und was daraus wurde.

Das Objekt sollte Maßstäbe setzen. Verkündet wurde nicht weniger als die Verwirklichung der „modernen Wohnstadt“ für 24.000 Menschen. Bei einem kleinen Volksfest „mit Bier und Knackwurst“ sowie den Klängen des Musikkorps der Freiwilligen Feuerwehr Bramfeld legte Hamburgs Zweiter Bürgermeister Wilhelm Drexelius im Ring 3, dem heutigen Fritz-Flinte-Ring, den Grundstein für die Satellitenstadt Neu-Steilshoop. Das war vor 45 Jahren.

Oberbaudirektor Werner Hebebrand hatte 1960 seinen Aufbauplan für die Hansestadt der Bürgerschaft vorgestellt. Einige Kilometer entfernt von der Bürostadt City Nord sollte Wohnraum für das noch immer vom Krieg geschundene Hamburg entstehen. Bauherren, Architekten, Sozialraumplaner und Behörden wollten hier ein intaktes Gemeinwesen schaffen. Noch im selben Jahr wurde ein internationaler Architektenwettbewerb ausgeschrieben, dessen Ergebnisse in den Bebauungsentwurf einflossen. Am 14. Juli 1969 war offizieller Baubeginn der ersten 536 Wohnungen. Nicht auf der grünen Wiese, sondern auf dem Gelände von 1800 ehemals dauerbewohnten Schrebergarten-Parzellen. Bis 1972 folgten die Spatenstiche für insgesamt 7200 weitere Wohnungen.

Mit den 22 niedriggeschossigen und V-förmig angelegten Wohnringen (alle nach bildenden Künstlern benannt) wurde Städtebau neu gedacht. Die Idee: Jeder verkehrsberuhigte Wohnring umschließt einen Innenhof, der größer als der Rathausmarkt ist. Besonders familienfreundlich: die Spielplätze in den Innenhöfen. Mit Grundrissen, die von Front zu Front reichten (sogenanntes „Durchwohnen“) lagen die Wohnungen mit drei Zimmern und einer durchschnittlichen Größe von 80 Quadratmetern über dem damaligen Standard. „Urbanität durch Dichte“ war der Leitsatz der Stadtplaner. Der monotone Siedlungsbau der 50er-Jahre sollte abgelöst werden. Dass man dann doch wieder Monotonie schuf, wurde Planern und Architekten allerdings zu spät bewusst.

Bei dem 14-stöckigen „Affenfelsen“ etwa, der die Gründgensstraße überspannt, verfiel man wieder in die überholten monumentalen Dimensionen. Ebenfalls eine planerische Fehlentscheidung: das benachbarte City-Center Steilshoop (CCS). Als in den 70er-Jahren Einkaufszentren modern wurden, setzte man einen schmucklosen Betonklotz auf das ursprünglich als Marktfläche angedachte Areal. Das CCS ist heute durch Leerstand geprägt.

Bereits zum Abriss verurteilt ist der Gebäudekomplex der früheren Gesamtschule am Gropiusring. Im Mai 1971 war der Grundstein für das erste Hamburger Projekt gelegt worden, das von vornherein als Gesamtschulversuch geplant war. 2007 hat man wegen zu niedriger Anmeldezahlen die Einrichtung von neuen fünften Klassen gestoppt, drei Jahre später die Gesamtschule Steilshoop geschlossen. Ab 2016 wird der zum Teil noch asbestbelastete Komplex durch einen Neubau für die Stadtteilschule und eine Grundschule ersetzt. Auf einem Teil der frei werdenden Flächen sollen neue Wohnungen entstehen. Im Jargon der Planer und Politiker heißt das „Nachverdichtung“.

Laborcharakter ähnlich der Gesamtschule hatte auch ein anderes Projekt, zu dessen Grundsteinlegung im Sommer 1972 der damalige Bundesbauminister Lauritz Lauritzen (SPD) nach Steilshoop kam. Im Block VI am Gropiusring plante der Bauträger Neues Hamburg das Wohnmodell „Urbanes Wohnen“. Dem 68er-Lebensgefühl entsprechend wollte man erstmals im geförderten Wohnungsbau der traditionellen Form des Zusammenlebens in der Familie ein gemeinschaftsorientiertes Wohnen entgegensetzen. Die Idee des Architekten war, die WG-Bewohner schon an der Planung zu beteiligen. Das Resultat: Gemeinschaftsräume, Küchen für mehrere, eine Dachterrasse für alle, ein Kindergarten im Keller. 210 Menschen aus unterschiedlichen Schichten lebten von August 1973 an unter dem vom sozialen Wohnungsbau finanzierten und deshalb relativ preiswerten Dach. 1984 scheiterte das Projekt unter anderem wegen immenser Mietschulden.

Ohnehin hatte Neu-Steilshoop zu Beginn der 80er-Jahre seine Blütezeit bereits hinter sich: Durch Leerstände und den hohen Anteil an Sozialwohnungen wurde die Großsiedlung zum Problemfall. Anfang der 90er-Jahre wies der Senat Neu-Steilshoop als Sanierungsgebiet aus. Über ein Jahrzehnt hinweg erfolgten bauliche und soziale Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Situation führten. Für Martin Kersting, der seit 1999 in Steilshoop lebt und zum 40. Jahrestag der Grundsteinlegung 2009 eine Schrift mit dem Titel „Aus dem Hause tretend möchte ich Bäume sehen“ verfasste, notierte darin: „Die Probleme sind so gut wie immer durch eine allzu sorglose Politik verursacht, und sie sind in der Regel auch nur mit politischen Mitteln aus der Welt zu schaffen. Dieter Läpple, Professor für Stadtökonomie und Internationale Stadtforschung an der HafenCity Universität Hamburg, hat gemeinsam mit Gerd Walter allerdings noch andere Gründe ausgemacht, warum der Siedlungsgedanke in Steilshoop von vornherein nicht funktionieren konnte. In der Publikation „Lebensstile, soziale Lagen und Siedlungsstrukturen“ bemängeln sie die isolierte Lage der Großwohnsiedlung, die schlechte Verkehrsanbindung und die fehlenden Arbeitsplätze im Wohngebiet. Hinzu komme die soziale Isolation: Weil es an öffentlichen Begegnungsstätten wie Imbissen und Gaststätten mangelt, bleibt den Bewohnern Steilshoops nur der Rückzug in Cliquen sowie Freundes- und Bekanntenkreis in den „eigenen vier Wänden“. In der Definition Läpples heißt das für Steilshoop: „Weil alle Räume, von der Funktionsküche bis zum Einkaufszentrum, genau bestimmten und klar definierten Zwecken gewidmet sind, gibt es nur wenig Gelegenheiten, an denen sich verschiedene Menschen mit jeweils unterschiedlichen Absichten, Zwecken und Zielen zufällig und zwanglos zusammenfinden können.“