Auf Einladung des Abendblatts haben sich alle in Hamburg lebenden Altbürgermeister – Christoph Ahlhaus, Ole von Beust, Ortwin Runde, Henning Voscherau und Klaus von Dohnanyi – mit dem aktuellen Amtsinhaber Olaf Scholz zum Gipfel-Treffen versammelt und gemeinsam die Lage der Hansestadt diskutiert. Kernfrage der Debatte: Ist Hamburg gerüstet für die Zukunft – oder stimmt das Klischee von der Schönen im Tiefschlaf?

Hamburg. Es war ein Treffen hoch über den Dächern der Stadt, wie man so sagt. Das Verlegerbüro liegt in der zwölften Etage des denkmalgeschützten Hochhauses des Springer-Verlags. Hier hat sich seit dem Tod Axel Springers 1985 wenig verändert.

Schon wer den großzügigen, mit Eichenholz getäfelten Raum betritt, ist überwältigt von dem spektakulären Blick auf die City: Durch die Front der bodentiefen Fenster präsentiert sich die Silhouette Hamburgs mit Rathaus und St. Nikolai zur Linken und dem Michel zur Rechten. In der Mitte erhebt sich vor dem Hintergrund des Hafens der massive Solitär der Elbphilharmonie – alles auf Augenhöhe gewissermaßen.

Der repräsentative Ort verbindet also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – mit anderen Worten: Er liefert den passenden Rahmen für das außergewöhnliche Gipfel-Treffen.

Es lag ein Hauch von Premiere über der Begegnung: Auf Einladung des Abendblatts haben sich erstmals alle in Hamburg lebenden Altbürgermeister mit Amtsinhaber Olaf Scholz zu einer ausführlichen Diskussion über die Zukunft der Stadt getroffen: Klaus von Dohnanyi, Henning Voscherau, Ortwin Runde (alle SPD), Ole von Beust und Christoph Ahlhaus (beide CDU). Nur der in Berlin lebende Hans-Ulrich Klose, der die Stadt von 1974 bis 1981 regierte, fehlte. Der 76 Jahre alte Sozialdemokrat bereist zurzeit die USA.

Zwei Stunden lang kreiste das Gespräch um die Vorzüge und Chancen der Stadt, lenkte den Blick auf Versäumnisse vergangener Jahre und beleuchtete Risiken, ja Gefahren im globalen Wettbewerb. Dabei erwiesen sich die Altbürgermeister auch in aktuellen Streitfällen wie dem Disput über die Dauer bis zum Abitur am Gymnasium oder der Auseinandersetzung um die Rote Flora im Schanzenviertel als meinungsstark. Hier legte Olaf Scholz aus nachvollziehbaren Gründen eine gewisse Zurückhaltung an den Tag.

Man kennt sich seit Jahren, zum Teil seit Jahrzehnten aus unterschiedlichen Rollen: mal als Bündnispartner, mal als Gegner, in Regierung wie Opposition, in der Bürgerschaft wie im innerparteilichen Meinungskampf. Bei aller (früheren) Konkurrenz hatte die Begegnung auch Züge von einem Klassentreffen. Offensichtlich schafft die Erfahrung, an erster Stelle für das Gemeinwesen verantwortlich zu sein, über die Parteigrenzen hinweg trotz unterschiedlicher Positionen auch ein Wir-Gefühl. Das schließt manche Frotzelei, ja beißenden Spott keinesfalls aus. Und im Abstand der Jahre mischten sich durchaus selbstkritische Töne in die Rückschau. Na ja, das liegt dem einen mehr und dem anderen weniger.

Am Tisch herrschte zahlenmäßig pari: Den sechs Politikern saßen sechs Journalisten gegenüber: Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider moderierte das Gipfel-Treffen. Außerdem dabei: Sascha Balasko, Franziska Coesfeld, Insa Gall, Matthias Iken und Peter Ulrich Meyer.

Hamburger Abendblatt: Wo steht diese Stadt? Hängt sie in ihrer Entwicklung anderen Metropolen hinterher oder ist sie weit vorn und ihrer Zeit womöglich schon voraus?

Henning Voscherau: Unter den „second cities“ Europas, zu denen wir zusammen mit Städten wie Mailand und Barcelona gehören, liegt Hamburg ganz weit vorn. In die Liga der Mega-Städte wie Shanghai oder Mexiko-Stadt gehören wir nicht, sodass es sinnlos ist, sich mit denen zu vergleichen. Wenn Steve Jobs, Mark Zuckerberg und Bill Gates einst ihre Garagen zufällig in Hamburg angemietet hätten, dann wären ihre Betriebe heute dennoch in den USA, weil sie bei uns gar nicht genug Mitarbeiter gefunden hätten, um nachhaltig wachsen zu können. In unserer Liga sind wir ganz weit vorn. Und ich glaube, dass die Tüchtigkeit der Hamburger ausreicht, um diese Position zu halten.

Ortwin Runde: Die amerikanische Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Saskia Sassen hat einmal gesagt: Um eine wirkliche Metropole zu sein, braucht eine Stadt zehn bis 15 Millionen Einwohner. Dann brodelt es, kommt es auf allen Gebieten zu Innovationen, gibt es eine große soziale Spannbreite, ist die Stadt lebendig. Deshalb verbieten sich für Hamburg bestimmte Vergleiche. Wenn wir uns im Containerumschlag beispielsweise mit Shanghai oder Singapur vergleichen, wäre das schon aufgrund von deren geografischen Voraussetzungen unsinnig. Wir haben keine Möglichkeit, aus uns selbst heraus auf zehn Millionen Einwohner anzuwachsen. Deshalb haben wir über eine engere Verbindung zur Metropolregion Berlin nachgedacht. Das war ein Grund für die Transrapid-Pläne.

Voscherau: Ja! Wer war eigentlich dagegen?

Runde: Der, der jetzt in Berlin den Flughafen baut. (Der frühere Bahnchef Hartmut Mehdorn, die Red.) Dann gab es Überlegungen einer stärkeren Ausrichtung und Zusammenarbeit mit Skandinavien. Welche Bedeutung Universitäten haben, sehen wir an der hoch erfolgreichen Technischen Universität Hamburg-Harburg, die Hans-Ulrich Klose auf den Weg gebracht hat. Es gibt viel zu tun, und der Bürgermeister packt es an.

Christoph Ahlhaus: Es werden viele Vergleiche angestellt, die nicht passen. Hamburg muss sich mit den Städten vergleichen, mit denen es sich vergleichen kann. Hamburg hat nach wie vor im nationalen und auch im internationalen Vergleich eine ungeheure Attraktivität und Anziehungskraft, das sehen wir an vielen Kennzahlen. Aber die Entwicklung ist kein Selbstläufer. Wir müssen aufpassen und das Wort von der Schlafenden Schönen, das jetzt wieder fällt, sehr ernst nehmen – und zwar nicht nur die Politik, sondern alle gesellschaftlichen Gruppen. Wir brauchen einen Mentalitätswechsel in der Gesellschaft dieser Stadt.

Runde: Und im Fußball.

Ahlhaus: Stimmt, da ist jedenfalls noch viel Platz für Entwicklung. Wir müssen aufpassen, dass Hamburg nicht wieder dahin zurückkommt, sich selbst genug zu sein. Das ist ohnehin ein deutsches Problem: dass man sich derzeit gemütlich einrichtet und gegen jede Veränderung ist. Da muss Politik mit Mut vorangehen und auch dann Entwicklungen vorantreiben, wenn sie auf Widerstand stoßen. Wir erleben, dass Hamburg als zweitgrößte deutsche Metropole in einigen Bereichen auf den dritten Platz zurückfällt oder sogar dahinter, und das sollte für uns Ansporn sein. Die Schlafende Schöne muss aufpassen, dass sie schön bleibt, und aufwachen.

Ole von Beust: Die Stadt ist ein Organismus, wie ein einzelner Mensch. Wenn man sich das eigene Leben anguckt, ist meine Erfahrung: Setzt man sich selbst nicht immer neue Ziele, bleibt man nicht auf dem bisherigen Maß, sondern fällt zurück. Wir neigen alle zusammen dazu, die Stadt zu lieben und sie schön zu finden, sind aber manchmal zu selbstverliebt. Das ist deshalb gefährlich, weil man sich dann keine Ziele mehr setzt, sich nicht beständig verbessern will. Wir sollten analysieren, wo wir stehen, wo wir stark sind, und dann in die Diskussion darüber einsteigen, wo wir gemeinsam hinwollen – sei es in der Wissenschaft, in der Kooperation mit Berlin, in der Entwicklung eines modernen Städtebaus, der einzigartig ist, lebenswert und trotzdem urban. Ich habe da kein Patentrezept, aber diese Diskussion fehlt mir.

Ist denn in den vergangenen zehn Jahren zu wenig gemacht worden?

Von Beust: Das glaube ich nicht. Es gab Themen, die die Stadt beherrscht haben.

Dazu zählt die HafenCity, die als Stadtteil neu entstanden ist.

Von Beust: Ja, war ja auch eine tolle Idee. Aber sie verlangt der Stadt relativ wenig ab, das waren freie Hafenflächen. Die Gretchenfrage stellt sich, wenn Menschen ihre Gewohnheiten ändern oder Opfer bringen müssen. Wie beim Wohnungsbau. Aber es ist so: Wir brauchen ein verbindendes Konzept, das nach einem Diskurs Antwort gibt auf die Frage: Wo wollen wir in zehn Jahren stehen? Das fehlt ein wenig.

Klaus von Dohnanyi: Man kann nicht bestreiten, dass in den vergangenen Jahren sehr viel in der Stadt passiert ist. Einen Dissens gibt es hier am Tisch in der Beurteilung der Entwicklung Hamburgs im Vergleich zu anderen deutschen Städten. Es wäre unsinnig zu bestreiten, dass wir die Banken weitgehend verloren haben und einen großen Teil der Versicherungen, die Buchverlage und viele Medien, die nach Berlin gehen. In Bezug auf den Hafen glaube ich, dass die Elbvertiefung kommen wird; aber ob eine weitere folgt, ist sehr fraglich. Die Gefahr ist, dass wir zu einem Feeder-Hafen werden, die großen Schiffe aber Rotterdam anlaufen. Hamburg muss auf der Kraft, die die Stadt hat, aufbauen. Dazu braucht sie eine andere Mentalität und die Bürger, die sich stärker hinter neue Ziele stellen. Ich bin überzeugt, dass die Stadt keine starke Zukunft haben kann ohne starke Wissenschaften, das habe ich schon in einer Rede vor dem Übersee-Club vor 30 Jahren gesagt. Die Wissenschaft spielt eine immer größere Rolle, und wir sind gegenwärtig bundesweit an letzter Stelle bei der Zahl der Neugründungen von Unternehmen pro Einwohner. In den USA gibt es eine ganz andere unternehmerische Kraft. Wenn wir eine Wissenschaftsoffensive nicht zum zentralen Thema in der Stadt machen, werden wir auch in anderen Bereichen die Kraft verlieren. Das gilt auch für Lufthansa-Technik.

Sie haben das, wie Sie eben sagten, schon vor 30 Jahren in Ihrer Überseeclub-Rede angemahnt. Nun haben wir hier die Herren am Tisch, die in dieser Zeit die Verantwortung getragen haben – einschließlich Ihrer selbst. Warum wurde das nicht umgesetzt?

Von Dohnanyi: Schon im 18. und 19. Jahrhundert beschrieben Reisende Hamburg als eine wissenschafts- und kulturferne Stadt mit einem starken kaufmännischen Geist. Im 19. Jahrhundert hat es 60 Jahre gedauert, um eine Senatskommission zur Gründung einer Universität zu schaffen, die dann zu keinem Ergebnis gekommen ist. Die Münchner Universität ist uns haushoch überlegen.

Scholz: Hamburg ist die größte Stadt der Europäischen Union, die nicht Hauptstadt des entsprechenden Landes ist. Solche Städte – Mailand und Barcelona wurden schon genannt – können für ihre Entwicklung nicht das Geld des Landes in Anspruch nehmen. Das führt zu einem Unterschied, was die Mentalität in den Hauptstädten betrifft. Alles in Hamburg ist selbst verdient und selbst erwirtschaftet. Das zeugt den Geist, der in der Stadt herrscht.

Wir haben zudem das Glück, dass Hamburg wegen der langen Tradition als Stadtrepublik immer darauf geachtet hat, dass Dinge, die für die eigene Entwicklung wichtig sind, auch im eigenen Staatsgebiet stattfinden. Darum sind wir nicht der Verlockung erlegen, den Hafen oder den Flughafen außerhalb Hamburgs weiterzuentwickeln. Jenseits der Vorteile, die das für die industrielle Kraft der Stadt und ihre Entwicklungsmöglichkeiten birgt, hat das auch dazu geführt, dass hier alle verstehen, dass man den Wohlstand letztlich selbst erwirtschaften muss. Darauf kann mutige Politik aufbauen.

Die Hamburger Wirtschaft verfügt über eine große Bandbreite, und darin unterscheidet sie sich von fast jeder anderen Stadt in Deutschland. Das sind alles bedeutende Wirtschaftszweige, selbst wenn sie nicht immer die allergrößten sind. Wir haben mit dem Hafen, dem Handel und der Logistik einen Schwerpunkt unserer Wertschöpfung. Wir haben noch Medien, IT, Gesundheitswirtschaft und Life Science, Banken und Versicherungen. Und wir haben Industrie, klassische Grundstoffindustrie mitten in unserer Stadt – ja, sogar neue zukunftsträchtige Industriezweige wie die Luftfahrtindustrie oder neuerdings die Windkraftindustrie.

Die historische Beschränkung auf die Stadtgrenzen, die Sie ansprechen, hat aber auch bedeutet, dass man mit einem Stadtflughafen niemals ein europäisches Luftkreuz hinbekommt. Wäre das ein falsches Ziel gewesen?

Olaf Scholz: Es wäre ein richtiges Ziel gewesen, wenn es denn erreichbar gewesen wäre. Das war es aber wohl zu keiner Zeit.

Voscherau: Das kann man so nicht sagen.

Von Dohnanyi: Es wäre 1960 möglich gewesen.

Voscherau: Es war ja keine Selbstbeschränkung. Es war eine durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit oktroyierte Beschränkung. Denn die Vereinbarung von Bund, Schleswig-Holstein und Hamburg über einen Großflughafen ist vor dem Verwaltungsgericht gescheitert. Die anderen beiden Beteiligten waren nicht bereit, ihren Finanzierungsanteil zu erhöhen, bei einer Schließung von Fuhlsbüttel sowie einem Verlust der Luftwerft. Die Pläne sind an der Frage gescheitert, ob wir immer noch 60 Prozent der Kosten für einen Flughafen in Schleswig-Holstein bezahlen. So war’s.

Scholz: Ich wollte auch nicht die Geschichte bis in die 60er-Jahre aufarbeiten. Aber der Plan, in Kaltenkirchen einen Flughafen zu bauen, sah zwei Landebahnen und 15 Millionen Passagiere im Jahr vor. Wir haben heute einen Flughafen mit zwei Landebahnen und 13,5 Millionen Passagieren. Über das Wachstum dieses Flughafens ist nie politisch entschieden worden, und er kann auch heute weiterwachsen. Aber zurück zu der Stadtgrenze: Sie ist Grund unseres Erfolgs, aber sie darf nicht Grund für Schwierigkeiten werden. Deshalb sollten wir ein sehr positives Bild von der gesamten Metropolregion Hamburg haben, über die Hamburger Stadtgrenzen hinaus. Wenn ich international als Bürgermeister unterwegs bin – und nicht nur dann –, weise ich schon darauf hin, dass wir ein Stadtstaat sind mit fast 1,8 Millionen Einwohnern und eine Metropolregion mit fünf Millionen. Und: Alle in der Metropolregion fühlen sich auch als Teil von Hamburg. Sie gehen in Hamburg arbeiten, einkaufen, ins Kino und Theater.

Die Wissenschaftsmetropole ist schon angesprochen worden. Bekommt die Wissenschaft Priorität?

Scholz: Wissenschaft und Forschung müssen eine große Priorität haben. Richtig ist, dass wir in diesem Bereich vor dem Hintergrund all dessen, was Hamburg aufzubieten hat, aus der Quantität eine neue Qualität entwickeln müssen. Damit uns das gelingt, müssen wir den anstehenden 100. Jahrestag der Gründung der Universität Hamburg zum Anlass nehmen, die gesamte Wissenschaftslandschaft in der Hansestadt zusammenzufassen und zu bündeln, um daraus neue Kraft zu entfalten. Auf dem Campus Bahrenfeld sieht man, was dann entstehen kann. Um das Desy herum ist eine Wissenschaftslandschaft entstanden, zu der Biologie, Chemie, Physik und Medizin gehören, wo wir Forschungsinstitutionen des Bundes haben und erstmals seit vielen Jahren wieder ein neues Max- Planck-Institut gründen, nämlich das für Strukturforschung. Hamburg kann zu DEM Ort der Strukturforschung auf der Welt werden, und das Desy, das lange Zeit wie eine Insel im hamburgischen Meer war, kann einen großen Beitrag zur Wertschöpfung in der Stadt leisten.

Herr von Beust, bereuen Sie, dass Sie die Universität auf dem Grasbrook damals nicht durchgesetzt haben?

Von Beust: Ich bereue es schon. Es wäre ein Aufbruchssignal gewesen. Aber die Widerstände waren damals groß. Meine eigene Partei war nicht begeistert, vor allem die Kollegen in Eimsbüttel nicht. Es gab die Angst, dass die Kneipen und Geschäfte eingehen, wenn Teile der Uni wegziehen. Die Handelskammer hatte Sorgen, dass bestimmte Hafenflächen wegfallen. Und im Nachhinein sage ich freimütig, dass ich nicht mehr die Kraft hatte, das durchzuboxen. Man muss einen Spirit erzeugen, dass alle in der Stadt sagen, das ist ein tolles Thema, da mach ich mit. Und nicht, dass am Ende des Jahres in der Handelskammer bei der Versammlung eines ehrbaren Kaufmanns eine kleinkarierte Abrechnung gemacht wird, was dieser Senat falsch und der andere richtig gemacht hat. Die ganzen Erfolge, die Herr Scholz genannt hat, stimmen. Die Grundsteine haben wir alle auch ein wenig mit gelegt – er natürlich auch. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Stadt fühlt sich Hamburg nicht als Wissenschaftsstadt. Die Gesellschaft diskutiert über ganz andere Dinge.

Voscherau: Ich hätte einen Einwurf. Das ist alles richtig. Aber empfindet sich die Universität, also die Studierenden und Lehrenden, im Sinne dieses Sprits als eine Einrichtung von herausragend hohem Niveau?

Von Dohnanyi: Nein! Die Universität fühlt sich nicht erstklassig. Die schauen Rankings an, und da sehen die nicht so gut aus. Ich bin heilfroh, dass wir jetzt diese Debatte mit dieser Vehemenz führen. Die hätte man vor drei Jahren vielleicht nicht so geführt. Und das verdanken wir auch der Tatsache, dass der Bürgermeister sich dieser Sache sehr intensiv angenommen hat. Der heutige Bürgermeister hat das ungewöhnliche Glück, einer relativ geeinten SPD vorzustehen. Was nicht immer der Fall war, wenn ich mich hier so umschaue. (Alle lachen)

Scholz (schmunzelt): Und dafür bin ich dankbar.

Von Dohnanyi: Und deswegen hoffe ich, dass es den beiden großen Parteien SPD und CDU gelingt, deutlich zu machen, dass die Wissenschaft eine Schlüsselfrage für die Stadt ist. Wenn die Sache einmal läuft, dann werden sich viele dahinterstellen. Wir unterschätzen in Hamburg, was an Vorsprung in München, Heidelberg, Karlsruhe oder Mannheim entstanden ist. Das ist eine große Gefahr. Und der müssen wir begegnen.

Runde: Es gibt eine völlig ungleiche Verteilung von Bundesmitteln. Da stehen einem die Haare zu Berge, wenn man sieht, wie Mittel in den Süden, Richtung Bayern und Baden-Württemberg, geschoben worden sind.

Ahlhaus: Man kann es nicht nur auf die regionale Komponente schieben. Wenn Hamburg und der Norden zu kurz gekommen sind, dann hat es auch Gründe, weil die Exzellenz woanders besser war. Wenn wir einen Mentalitätswechsel in der Stadt brauchen, dann muss man Prioritäten setzen. Also: Wo wollen wir besser sein und wo nicht? Da wird es auch Verlierer geben. Und dieser Diskussion darf man nicht ausweichen.

Von Dohnanyi: Genau. Es müssen Exzellenz und Qualität in Hamburg angeboten werden, dann kriegen wir auch die entsprechenden Zuweisungen.

Dazu passt die Frage eines Lesers: Rasmus Helt aus Wilhelmsburg möchte wissen, wie man der Universität sowie der gesamten hiesigen Hochschullandschaft zu mehr Respekt und Anerkennung gerade unter den wirtschaftlichen Eliten der Stadt verhelfen kann.

Ahlhaus: Indem man die Hochschulen zu Exzellenz in bestimmten Bereichen führt. Nichts ist überzeugender als Qualität und Erfolg.

Wer hält denn die Wissenschaftler davon ab, exzellente Leistung zu bringen? Es gibt doch auch keinen Kaufmann, der selbstgenügsam ist. Der will doch auch immer seinen Gewinn vergrößern.

Von Beust: Ich nenne mal ein praktisches Beispiel. In meiner Amtszeit wollte ein Hamburger Institut einen renommierten Wissenschaftler holen. Er sagte, er könne nur kommen, wenn er seine Frau mitbringen könne, die Lehrerin sei. Im Personalamt gab es riesige Bedenken, weil es eine lange Warteliste gebe. Die Schulbehörde winkte ab mit Blick auf den Personalrat. Der Wissenschaftler ist nicht gekommen.

Scholz: Wir sollten das Beamtenrecht so ändern, dass beide nach Hamburg kommen könnten.

Von Beust: Das wäre gut. Es muss einen Geist geben, der uns vereint. Ein weiteres Beispiel: Wenn ich als Anwalt Investoren vertrete, die bauen wollen, dann sehe ich: Das geht wirklich unglaublich fix. Bis zum kleinsten Beamten gibt es jetzt einen Geist, einen politischen Willen, der sagt: Das machen wir jetzt.

Themenwechsel: Rote Flora – wer war am dichtesten dran, das Problem zu lösen?

Von Dohnanyi: Henning. Weil du deswegen die andere Flora gebaut hast.

Voscherau: Ich erbte ein Projekt „Musicaltheater alte Flora“. Meine erste heiße Kartoffel nach wenigen Wochen im Amt war der Besuch der Herren Friedrich Kurz (Anm. d. Red.: Musical- und Theaterproduzent), Max Warburg (Bankier) und Albert Büll (Bauunternehmer) mit eiskalten Füßen, nachdem sie gemerkt hatten, wo die Flora liegt und was ihnen blüht. Ich habe damals nicht zugesagt, dass wir zwei Jahre lang mit der Bundeswehr die Baustelle ruhigstellen können. Stattdessen habe ich gesagt, dass wir innerhalb einer Woche einen alternativen Standort finden müssen. Das Ergebnis kennen Sie.

Runde: Ich war auch mit dem Thema konfrontiert. Es gab Wahlkämpfe, bei denen versucht wurde, das Thema ins Zentrum zu stellen. Auch indem man die Jungs ein wenig reizte und vor der Flora auf und ab spazierte.

Von Beust (lacht): Ich bin da auch mal auf und ab spaziert. Aber relativ friedlich. Die haben nur mit Konfetti geworfen.

Runde: Damals war der Hauptgegner in diesem Konflikt die Stadt. Diesen haben wir beruhigt, indem wir das Feindbild Stadt herausgenommen haben – mit einem Menschen, der damals aus überzeugend dargelegten und humanen Gründen als Kulturschaffender sagte: Ich übernehme das und gehe da rein. Das hat auch über viele Jahre zu einer Befriedung der Roten Flora beigetragen. Die Frage ist, ob man in der Zeit weiter daran hätte arbeiten müssen. Die Rote Flora war nicht über die gesamte Zeit im Zentrum von irgendwelchen Ärgernissen. Das ist sie erst in neuerer Zeit geworden.

Wird die Rote Flora das künftig wieder werden?

Voscherau: Dazu hat sich die Handelskammer wohl in unser aller Sinne in der letzten Jahresschlussrede geäußert.

Von Dohnanyi: Was haben die denn gesagt?

Scholz: Der Vorsitzende der Versammlung des ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg hat gesagt, dass das, was der bisherige Eigentümer der Immobilie dazu sagt, mit den Grundsätzen des ehrbaren Kaufmanns nichts zu tun habe.

Ahlhaus: Das ist sicher richtig. Und ich hatte auch mit Klausmartin Kretschmer (Rote-Flora-Eigentümer, die Red.) zu tun, und wir haben damals immer zugesehen, keine Termine mit ihm zu machen. Aber als Außenstehender könnte man es momentan so verstehen: Da sitzt ein Eigentümer auf einer Immobilie, der abstruse Vorstellungen hat, aber irgendwie wird ihm nicht geholfen, seine Eigentumsrechte durchzusetzen.

Runde: Bitte?

Ahlhaus: Das ist der öffentliche Eindruck. Ich glaube, man muss vorsichtig operieren. Sodass man auf der einen Seite jetzt nicht wieder das große Fass mit einem Haufen Ärger und Provokationen aufmacht, worauf es Herr Kretschmer natürlich auch anlegt. Auf der anderen Seite darf man nicht den Eindruck erwecken, als entstehe dort ein rechtsfreier Raum, und Eigentümerinteressen sind völlig außen vor.

Wie sollte man den Konflikt denn lösen?

Ahlhaus: Das ist eine Herausforderung für den Bürgermeister. Ein Patentrezept gibt es nicht.

Von Beust: Klausmartin Kretschmer wollte damals auch andauernd Gespräche führen und kam dann immer über irgendwelche Mittelsmänner mit riesigen Preisforderungen. Die Taktik ist ja klar: durch gezielte Maßnahmen die Stadt hochzupokern. Die Stadt sollte sich aber nicht darauf einlassen. Das ist jetzt keine typische christdemokratische Antwort: Aber eine Stadt wie Hamburg kann so etwas wie die Rote Flora von der Nutzung her ertragen.

Von Dohnanyi (zu von Beust): Ich wünschte, Sie hätten das früher auch immer so vertreten. (lacht)

Von Beust: Man wird weiser. Ich werde nächstes Jahr 60. Wenn die Rote Flora im Ergebnis in der jetzigen Nutzung weiterginge, wäre es für die Stadt gut, und man schafft auch keinen Kriegsgrund, der sich gar nicht lohnt.

Von Dohnanyi: Unter keinen Umständen würde ich jetzt die Polizei dabei einsetzen. Das halten wir auf die Dauer gar nicht durch.

Ahlhaus: Das hat in den letzten zehn Jahren funktioniert, weil es einen Vertrag gab. Es wäre ja schön, wenn es so weiter funktioniert. Jetzt haben wir aber eine andere Sach- und Rechtslage. Und wir haben einen Investor, der eine Veränderung will und die Stadt herausfordert. Insofern wird die Stadt nicht umhinkommen, irgendwie zu reagieren. Die Herausforderung ist jetzt, damit umzugehen, ohne eine neue Provokation zu eröffnen, die dazu führt, dass es Bilder gibt, die wir alle nicht in der „Tagesschau“ haben wollen.

Teil 2 des Bürgermeistergipfels finden Sie in der Abendblatt-Ausgabe vom kommenden Montag. Dann geht es in der Diskussion um Schule, direkte Demokratie und Wohnungsbau.