Andreas Stasiewicz leitet Plata, die Beratungsstelle für Obdachlose aus Osteuropa von der Stiftung Hoffnungsorte Hamburg. Stasiewicz führt in ein Beratungszimmer. Neulich standen hier 50 Menschen, erzählt er. Vor allem aus Rumänien und Bulgarien kommen mehr Menschen.

Hamburger Abendblatt:

Immer wieder sterben Menschen auf der Straße, auch in einer reichen Stadt wie Hamburg. Was können die Bürger tun?

Andreas Stasiewicz:

Passanten sollten nicht einfach vorbeigehen, wenn sie einen Menschen im Bahnhof oder im Park liegen sehen. Jeder kann etwas tun. Selbst wenn man nur die Polizei ruft. Die Beamten haben die Aufgabe zu prüfen, ob eine lebensbedrohliche Situation für einen Menschen besteht. Die „Antennen“ unserer Sozialarbeiter funktionieren sehr gut, sobald wir regelmäßig Kontakt zu Obdachlosen haben. Sobald sich jemand zurückzieht oder in den Hamburger Randbezirken lebt, ist es schwierig, ihm zu helfen. Wir sind auf Hilfe der Bürger angewiesen.

Ist Hamburg eine Stadt sozialer Härte?

Stasiewicz:

Nein, im Gegenteil. Die Obdachlosen erzählen uns, dass die Polizei in Hamburg anders als in ihren Heimatländern freundlich auf Obdachlose reagiert. Leben und leben lassen – dieses tolerante Prinzip haben viele Bürger der Stadt als Leitmotiv. Das spüren auch die Obdachlosen. Aber die Freiheit in Hamburg führt auch dazu, dass viele mit ihren Problemen allein gelassen werden – wie beispielsweise der Abhängigkeit vom Alkohol. Durch das umfangreiche staatliche Hilfsangebot für Obdachlose haben wir Nächstenliebe verstaatlicht. Menschen helfen einander nicht mehr, wenn sie meinen, dass der Staat dafür ja da ist. Nächstenliebe wurde in Hamburg outgesourct an die Behörde. Das ist eine Gefahr.

Die Politik und der Senat tun genug?

Stasiewicz:

Es gibt ein gutes Angebot, aber es muss besser auf die Lebensumstände der Obdachlosen abgestimmt sein, gerade bei Menschen aus Osteuropa. Wir brauchen soziale Eilverfahren für stark Drogenabhängige. Diese Menschen können nicht Wochen auf einen Therapieplatz warten. Zudem fehlt eine europaweite Sozialpolitik. Es kann nicht sein, dass die Sozialsysteme in den EU-Staaten so stark auseinandergehen. Die EU hat in der Sozialpolitik versagt.

Gibt es eine Einwanderung von Obdachlosigkeit nach Deutschland?

Stasiewicz:

Nein, es gibt keine systematische Einwanderung von Obdachlosen aus Osteuropa nach Deutschland. Es ist Zuwanderung von Arbeitern, doch von denen scheitert ein Teil. Viele, die scheitern, kehren zurück in die Heimat. So konnten wir beispielsweise Therapien für alkoholkranke rumänische Obdachlose vermitteln – in Bukarest. Dort gibt es auch gute Projekte.