Thomas Sampl, Chefkoch des Vlet, bietet seinen Gästen mehr als gutes Essen. Am liebsten aber bringt er Kindern das Kochen bei. Ein Porträt von Geneviève Wood.

Er will nicht belehren und kann sich doch Ratschläge manchmal nicht verkneifen. „Es musste einfach etwas passieren“, sagt Thomas Sampl und meint die schlechte Angewohnheit seiner Mitbewohner, Pizza beim Lieferservice zu bestellen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass man da geschmacklich eine Sechs trifft, ist groß.“ Also hat er ihnen gezeigt, wie man einen Hefeteig macht und diesen mit frischen Zutaten statt abgepacktem Press-Kochschinken und Dosen-Ananas belegt. Seitdem hängt eine Tafel mit weiteren Verbesserungsvorschlägen für den ultimativen Pizzateig in der WG-Küche.

Es ist nachvollziehbar, dass einer wie er, der für eine der Top-Adressen moderner norddeutscher Küche kocht und arbeitet – das Restaurant Vlet in der Speicherstadt –, sich nicht mit Fertigprodukten abgibt. Mett von der Fleischtheke, Honigschinken – solche Dinge stehen im gemeinsamen Küchenschrank. Und montags gibt es also in seiner WG nur noch selbst gemachte Pizza in der Wohlfühlküche. Und die steht nicht etwa in den feinen Elbvororten, sondern in Hammerbrook, passenderweise in einem ehemaligen Kartoffelspeicher direkt am Wasser.

In dieser Wohngemeinschaft, in der Sampl mit Erziehern, Werbern und einer Bauzeichnerin zusammen lebt, kann er sich zurückziehen, wenn er möchte. Als geselliger Mensch zieht es ihn aber auch immer wieder hinein in den Trubel. Er spielt gern „Games of Thrones“, ein Fantasy-Rollenspiel, er geht gern aus und besucht im Frühjahr und Sommer Techno-Konzerte. Und der 34-Jährige kocht auch privat sehr gern. „Nicht, weil ich es unbedingt will, sondern ich mag Sachen nicht, die nicht schmecken.“ Dazu ist sein Gaumen zu verwöhnt. Und dennoch zeigt er sich unkompliziert und sagt: „Ich freue mich, wenn die anderen kochen. Ich freue mich, wenn überhaupt gekocht wird.“

Er stammt aus einer Metzgerfamilie und wollte ursprünglich Mathelehrer werden

Noch vor zehn Jahren sei Kochen in seinem Bekanntenkreis gar kein Thema gewesen, es wurde immer nur Essen bestellt. „Mittlerweile ist das ein Event. Man kocht gemeinsam oder bringt etwas mit, wenn man sich mit Freunden trifft.“ Ob es an der Generation der 30- bis 40-Jährigen jenseits der Studentenjahre liegt oder an den vielen Kochsendungen, sei schwer zu sagen. „Ob man die Sendungen gut oder schlecht findet, auf jeden Fall haben die etwas losgetreten.“ Ihm sei die Präsenz mancher Köche im Fernsehen zu inflationär. Er hält den unmittelbaren Kontakt und die Gespräche mit seinen Gästen für wichtiger und fühlt sich, ja, auch als Entertainer.

Bei Thomas Sampl war es ein Schülerpraktikum in der 10. Klasse, das ihn zum Kochen brachte. Im Vier-Sterne-Parkhotel in seiner ostwestfälischen Heimat Gütersloh gefiel es ihm damals so gut, dass er von seinem Plan, Mathematik-Lehrer zu werden, abrückte und dort seine Ausbildung machte. „Mutti, hast du was dagegen, wenn ich Koch werde?“ Mutti hatte nichts dagegen. Sie war sogar erleichtert. Denn einen Akademiker hatte es bei Familie Sampl noch nicht gegeben. Das war etwas Exotisches.

„Ich komme aus einer Metzgerfamilie“, sagt Thomas Sampl. Seine Eltern hatten eine Fleischerei, die mittlerweile sein Bruder übernommen hat. Seine Schwester ist Fleischereifachverkäuferin. Und Nesthäkchen Thomas, elf Jahre jünger als seine Schwester und sogar 20 Jahre jünger als sein Bruder, verließ das Gymnasium mit 16 Jahren nach der Zehnten, um Koch zu werden. Ein neues, erfüllendes Leben begann: „Das waren Welten! Das Kochen hat mir sofort gefallen, und ich habe es nie bereut“, sagt er beim Gespräch im Vlet. „Sie machen etwas mit den Händen, man sieht schnell ein Ergebnis, das hat mich sofort fasziniert.“ Weitere Stationen im Berufsleben von Thomas Sampl waren das Hilton Hotel in Düsseldorf, wo er vom Demi-Chef zum Executive Sous Chef aufstieg. 2002 gewann er den „Commis Rotisseurs Wettbewerb“ der Chaine des Rotisseur Nordrhein. Es folgten das Fünf-Sterne-Hotel The Westin Bellevue in Dresden und das Park Hyatt Hamburg. Dort leitete er als Küchenchef das Restaurant Apples.

Seit 2009 führt er Regie im Vlet, hat 32 Mitarbeiter in Service und Küche. Obwohl es in der HafenCity Gewerbetreibende schwer hätten Fuß zu fassen, weil die Mieten so hoch seien, läuft das Geschäft für das Vlet sehr gut. Das liege am Standort: „Der Hamburger akzeptiert die Speicherstadt. Nicht jeder akzeptiert die HafenCity.“ Sampl mag die HafenCity und ihre Bewohner. „Das ist ein kleiner Kreis von Menschen, die einem immer wieder begegnen. Es ist sehr angenehm, sich hier aufzuhalten“, sagt er. Eine „superschöne“ Ecke sei das, die aber leider total verbaut und viel zu teuer sei. Vielleicht ist er dafür auch zu bodenständig. Dann schon lieber Hammerbrook, „von dem es ja seit 15 Jahren heißt, das sei ein Stadtteil im Kommen“, sagt Sampl und schmunzelt. Nein, einen vernünftigen Wochenmarkt gebe es dort immer noch nicht. Dafür fährt er extra nach Altona auf die Große Bergstraße.

Auch genießt er seine Freiheiten bei der Arbeit. Im Vlet könne er seine Kreativität ausleben und die norddeutsche Küche von ihrer modernen Seite präsentieren. Dazu zählen Gerichte wie Steinbutt aus dem Römertopf. Oder das am Tisch zubereitete Rindertatar „Vlet-Style“. Rindertartar ist übrigens sein Lieblingsgericht. Nicht ausstehen dagegen könne er Thunfisch aus der Dose, „das ist Katzenfutter!“ Für ihn ist sein Beruf eine Philosophie. Er arbeitet mit mehr als 100 kleinen Manufakturen und Produzenten zusammen, das Fleisch stammt von ausgewählten Höfen im Umland. „Alle Zutaten kommen aus der Region“, versichert Sampl. Er kauft nur deutschen Käse. „Das wurde vor zehn Jahren noch belächelt, doch mittlerweile gibt es mehr als nur Gouda und Tilsiter“. Die deutschen Meiereien hätten dazugelernt, es gebe einige gute, sehr gute sogar, und sie würden von Jahr zu Jahr besser.

Diese Leidenschaft, der Aufwand, den er betreibt, um die besten Produkte ausfindig zu machen, unterscheidet ihn von jenen, die nach 8,5 Stunden Feierabend machen und sich damit zufrieden geben, Tüten aufzuschneiden. Diese Convenient-Küche, sagt Sampl, sei leider selbstverständlich, auch in vielen Hotels. Das ist aber ganz und gar nicht seine Art. Während des Gesprächs muss er kurz in die Küche verschwinden, um den selbst gemachten Kefir zu probieren. Ein Teilnehmer einer seiner Kochkurse hatte ihn auf diese Idee gebracht. Aber auch ein Spitzenkoch kann nicht zaubern: „Der Kefir schmeckt nicht!“ Vielleicht stand er zu dunkel. Experimentieren gehört zu seinem Beruf. Nicht immer kommt er dazu, weil er als Küchenchef viel Organisatorisches und Büroarbeiten zu erledigen hat. „Die tun meinem Rücken nicht gut, ich muss weiterhin in der Küche stehen“, sagt er.

Alle drei bis vier Monate tauscht Sampl die Restaurantküche gegen Schulkantinen, um mit Schülern aus problematischen Verhältnissen gesundes Essen zuzubereiten. Dann presst er mit ihnen Apfelsaft und besucht Obst- und Gemüsehöfe im Alten Land. Über die Stiftung Kinderjahre ist er dazu gekommen. Mit der Stiftung und Kochkollegen wie Alexander Tschebull, Patrick Gebhardt (Fillet of Soul) oder Matthias Gfrörer (Gutsküche) macht er häufig mit bei solchen wohltätigen Koch-Events. „Ich kriege die Kinder zum Kochen, indem ich ihnen Geschmack biete. Ich zeige, dass es Karotten in zehn verschiedenen Farben gibt, wenn wir sie gemeinsam beim Bauern einkaufen.“

Ein Erlebnis ist ihm besonders in Erinnerung geblieben: „Als wir ins Alte Land fuhren, fragte mich ein Achtjähriger, was das für eine Mauer sei. Er meinte den Deich an der Elbe.“ Dieser Junge sei noch nie aus seinem Stadtteil herausgekommen, hatte noch nie die Elbe gesehen. „Wir sind ausgestiegen und haben uns die Elbe angesehen.“ Diese Erlebnisse machen die Kinder glücklich. „Und das macht mich glücklich.“ Wenn er nach solchen Tagen abends zu Hause ist, könne er die Welt umarmen. Vor Glück. „Das sind keine schlechten Kinder. Sie sollten dieselben Dinge erleben können, wie alle anderen Kinder.“

Und wie sieht es mit eigenem Nachwuchs aus? Das sei bei ihm und seinem Freund Thema. Irgendwann einmal. Im Moment fühlt sich das Leben zwischen der WG in Hammerbrook und dem Vlet in der Speicherstadt genau richtig an.

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Thomas Sampl bekam den Faden von Isolde Werner und gibt ihn an Hannelore Lay weiter