Auf Internetportalen, aber auch bei einer Ü-50-Party lernt man sich kennen. Doch was kommt dann – der kurze Flirt oder noch mal die große Liebe?Alexander Schuller traf vier Paare jenseits der 50, bei denen es gefunkt hat und die jetzt den zweiten Frühling genießen.

Doros Knie waren weich, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie hatte sich mit Dirk in Berlin-Friedrichshain verabredet, am Wismarplatz. Sie stellte sich vor, dass er sie vielleicht heimlich beobachten könnte. Deshalb stieg sie ganz vorsichtig aus der Straßenbahn aus. Bloß nicht stolpern jetzt, dachte Doro, bloß nicht hinfallen.

Ihre Vermutung war richtig: Dirk sah aus sicherer Deckung heraus zu, wie sie aus der Linie 21 ausstieg. Auch sein Herz klopfte plötzlich stärker, denn als er nun näher kam, sah sie noch viel attraktiver aus als auf den Fotos, die sie ihrem Profil bei parship hinzugefügt hatte, einer der größten deutschen Singlebörsen im Internet.

Bis heute kann Doro herzlich darüber lachen, dass Dirks Selbstporträts dagegen so unscharf waren, nur der Hintergrund nicht. So konnte sie erkennen, dass seine Wohnung einigermaßen aufgeräumt war. Andernfalls wäre es aber auch nicht so schlimm gewesen. Diesbezüglich tickte sie anders: Doro, heute 52, eheerfahren, Mutter eines 13-jährigen Sohnes, bewohnte in Karlshorst im Süden Berlins eine Etage in ihrem Elternhaus. Aus ihrem Beruf als Rechtsanwältin war sie ausgestiegen. Sie hatte die Juristerei nie richtig leiden können und entwarf jetzt lieber Schmuck. Sie komme gut zurecht, versichert die schlanke, aparte Frau. Und sie lacht wieder. Doro lacht viel.

Doro wusste, dass er nicht viel redete

Dirk war aus Hamburg, genauer aus Schnelsen, zu diesem „Blinddate“ angereist, das eigentlich keins mehr war. Denn seit dem ersten Sympathieklick und dem Austausch der Kontaktdaten eine Woche zuvor hatte er täglich viele Stunden mit Doro telefoniert. So glaubte er, sie bereits ganz gut zu kennen. Anderseits wusste auch Doro jetzt, dass er im Garten- und Landschaftsbau arbeitete. Sie wusste, dass er Raucher war und seine Zigaretten selber drehte. Dass Dirk aufgrund seines Jobs innerhalb Deutschlands umgezogen war, weswegen er nur mit ein paar belanglosen Techtelmechteln aufwarten konnte und auch praktisch keinen Freundeskreis besaß. Doro wusste auch, dass er nicht viel redete (was sie auf seine Dithmarscher Herkunft schob); dass er dafür jedoch gut zuhören konnte. Das hatte ihr gefallen.

Außerdem war er am 12. Februar geboren worden, so wie Leonhard, ihr Sohn, genannt Lenny. Und wie Doro wollte auch Dirk in jedem Fall seine eigene Wohnung behalten, selbst wenn dies zwangsläufig auf eine Fernbeziehung herauslaufen könnte. Und dann war da noch seine Lieblings-CD gewesen, „Entre dos tierras“ von der spanischen Rockband Heroes del Siliencio aus den 80er-Jahren, ein Welthit. Diese CD besaß Doro auch. In diesem Moment hatten beide gedacht: Mehr Seelenverwandtschaft geht eigentlich nicht.

Jetzt standen sie sich am Wismarplatz in Berlin-Friedrichshain gegenüber, ein bisschen verlegen, erwartungsvoll, aber unglaublich erleichtert darüber, dass keiner von beiden geschummelt hatte: Die Größen stimmten, die Haarfarben und das Gewicht auch.

„Meinen Marktwert austesten“

Es war der 12. Oktober 2012, schon wieder die Zwölf, dachten beide, als sie ein Café betraten. Später gingen sie zusammen essen, und irgendwann an diesem Abend küssten sie sich zum ersten Mal. Der Kuss schmeckte gut. Jetzt wussten sie endlich auch, wie sich der andere anfühlt.

„Dirk war ein Volltreffer. Mit dem ersten Klick“, sagt Doro und blickt ihn zärtlich über den Tisch im Restaurant Engel auf dem Elbanleger Teufelsbrück an. „Dabei hatte ich es nicht einmal darauf angelegt, gleich eine feste Partnerschaft einzugehen. Ich wollte eigentlich nur mal gucken, meinen Marktwert austesten – wie man so sagt.“

Der Tipp, zwei Jahre nach ihrer Scheidung im Internet auf Partnersuche zu gehen, um ins pralle Leben zurückzukehren, sei von einer Freundin gekommen. „Der Vorteil einer Singlebörse ist, dass man vom Gegenüber all das erfahren kann, was man normalerweise nicht bei einem ersten Treffen erfährt. Und wenn dann jemand wie Dirk auch noch 300 Kilometer weit fährt, um dich in natura zu sehen, dann gehe ich doch davon aus, dass er ernsthaft interessiert ist.“

An diesem Wochenende feiern Doro und Dirk ihr Einjähriges. Obwohl er immer noch raucht und sie immer noch nicht. Obwohl sie sich nur alle zwei bis drei Wochen sehen. Die Zeit zwischen ihren Treffen überbrücken sie mit Videotelefonaten. „Trotzdem fühle ich mich ‚angekommen‘, und zwar immer wieder neu, wenn wir uns treffen“, sagt Dirk, der große Wortkarge. „Man hat doch seine Erfahrungen gemacht. Auch die schlechten. Man ist abgeklärter und gelassener, man fordert keine Kompromisse vom anderen, sondern macht die vorher mit sich selbst aus...“, „... aber die Gefühle sind dieselben wie mit 20“, vollendet Doro seinen Satz. „Die Schmetterlinge flattern jedenfalls.“

Das Einzige, was ihre Beziehung belaste, sei Lenny, ihr pubertierender Sohn, der ziemlich eifersüchtig auf den neuen Kerl in Mamas Leben sei. Wobei sich ihr Verhältnis schon gebessert habe, sagt Dirk, der viel zu schlau ist, den Ersatzpapi zu geben. Trotzdem parkt Doro ihren Sohn an den fraglichen Wochenenden bei ihrem Ex. Und alle seien zufrieden, versichert sie.

30 Millionen Deutsche sind 50 Jahre und älter

Doro und Dirk gehören zu einer der am schnellsten wachsenden und mittlerweile besterforschten Bevölkerungsgruppe: zu den 50-Jährigen, plus minus ein paar Jahre, die man neudeutsch als Best Ager bezeichnet. Banken, Versicherungen und Dienstleistungsunternehmen haben diese Zielgruppe, die auf den Märkten der Zukunft den Ton angeben wird, schon lange im Visier. Etwa 30 Millionen Deutsche sind schon 50 Jahre und älter. Bis 2050 wird ihr Bevölkerungsanteil von rund 39 Prozent auf über 50 Prozent anwachsen.

Ihr durchschnittliches Nettoeinkommen liegt bei monatlich rund 3500 Euro; das ist deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt von 2800 Euro monatlich. Mit geschätzten 2250 Milliarden Euro besitzen sie etwa 60 Prozent des Vermögens aller Haushalte. Und weil sie neben den üblichen Grundkosten rund 1150 Euro monatlich für sich ausgeben, kurbeln sie die Wirtschaft an. „Hinzu kommt, dass die Lebenserwartung kontinuierlich steigt“, sagt Manfred Hassebrauck. Der Professor für Sozialpsychologie lehrt und forscht an der Universität Wuppertal. Nebenbei ist er als wissenschaftlicher Berater des Online-Singleportals friendscout24 tätig, ebenfalls ein Branchenriese. „Die heute 50–Jährigen halten sich auch für jünger, als sie es biologisch sind. Ihr gefühltes Lebensalter liegt bei 20 bis 25 Prozent unter ihrem tatsächlichen Alter. Sie halten sich durchweg für 40.“

Dies ist einer der Gründe, warum die Scheidungsrate gerade in diesem Alterssegment so rasant wächst: Von den 375.000 Menschen, die sich 2011 in Deutschland scheiden ließen, waren 91.700 mindestens 50 Jahre alt, also etwa jeder Vierte. 20 Jahre zuvor war ihr Anteil nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gerade mal halb so hoch gewesen.

Liebe soll prickeln

Hassebrauck hat jedoch festgestellt, dass sich vor allem die gesellschaftliche Akzeptanz von Scheidungen verändert hat: „Früher haftete Geschiedenen oft ein Makel an. Das hat sich erfreulicherweise geändert. Zudem wird es heute den Menschen leichter gemacht, sich zu trennen, wenn sie mit ihrer Beziehung nicht zufrieden sind. Die finanzielle Absicherung ist gesetzlich besser geregelt.“ Darüber hinaus machten Menschen die Zufriedenheit mit ihrer Ehe inzwischen auch stärker an flüchtigen und vergänglichen Gefühlen wie der Erotik fest. „In Zeiten, in denen pragmatische Überlegungen zu einer Heirat geführt haben und das Verliebtsein nicht unbedingt eine Bedingung fürs Heiraten war, war das Risiko geringer, dass man unzufrieden wurde, wenn es nicht so prickelte wie am Anfang.“

Aber Liebe soll ja gerade prickeln. Besonders dann, wenn man sich seiner „Altlasten“ entledigt hat. Wenn hinter den Partnern eine zumeist längere, freudlose Zeit mit einem Partner liegt, in der die einstige Zuneigung längst in stumme Verachtung mutiert ist. Wenn nur noch Konventionen – besonders Kinder – die Beziehung zusammengehalten hatten, wenn man den anderen nur noch erträgt oder wenn, im schlimmsten Fall, aus Liebe blanker Hass wird. Und wenn man – frei nach der Berliner Schauspielerin Lotti Huber († 31. Mai 1998) – sich selbst „als Zitrone sieht, die noch viel Saft hat“.

Rolf loggte sich probehalber in Singlebörsen ein

Bei Rolf aus Bad Segeberg geschah alles exakt so, „auch wenn ich natürlich meine Fehler habe, ganz bestimmt“. Aber dann setzte er seine damalige Ehefrau Silvester 2007 vor die Tür. Er habe die häusliche Gewalt einfach nicht mehr ausgehalten, sagt er. Sie sei von ihr ausgegangen. Und dass er sich zu diesem Zeitpunkt der Trennung schon über zehn Jahre lang nach Geborgenheit und Zärtlichkeit gesehnt hatte. Er sei jedoch niemals fremdgegangen: „Das wäre mir zu billig gewesen!“

Rolf, heute 60, loggte sich probehalber in verschiedenen Singlebörsen ein. Zunächst in eins der vielen kostenlosen Portale, doch er bemerkte nach einigen Dates, dass dort eher diejenigen Frauen unterwegs waren, die hauptsächlich „das Eine“ suchten, nicht selten gegen Bezahlung. So landete er irgendwann ebenfalls bei parship, nutzte als Sparfuchs ein dreimonatiges Gratisangebot „zum Kennenlernen“. Geduldig beantwortete er die 74 sehr persönlichen Fragen, die dafür sorgen sollten, dass ihm möglichst übereinstimmende weibliche Persönlichkeitsprofile vorgeschlagen werden. Die Suche nach dem Glück soll nicht zum Aufspüren der Heunadel ausarten. Immerhin leben in Deutschland ja rund 1,7 Millionen Singles in der Altersgruppe von 51 bis 60 Jahre sowie 1,65 Millionen Singles in der Altersgruppe von 60 bis 69 Jahren, von denen sich gut die Hälfte in den diversen Singlebörsen tummelt.

Vom Streiten hat Rolf die Nase voll

Eine von ihnen war Sonja, die ein Jahr jünger war als Rolf. Eine Gärtnerin, die auf dem Ohlsdorfer Friedhof arbeitete und in Langenhorn wohnte. Sie hatte einige Männerbekanntschaften hinter sich, „aber im Prinzip war ich seit 1985 alleine“, erzählt sie. „Die Geschichten hielten nie besonders lange, denn ich fühlte mich immer rasch eingeengt. Aber ich habe mich auch rumschubsen lassen. Ich bin nämlich kein Typ, der streitet und laut wird.“

Vom Streiten hatte auch Rolf die Nase voll. Der Rest ist daher schnell erzählt: Ein bisschen chatten und lange miteinander telefonieren; dann ein erstes Treffen im Herold Center, wo sie gemeinsam Eis aßen. Nach zwei weiteren Treffen war beiden klar, dass Rolf, dem die Augen schon bei ihrer ersten Begegnung aus dem Kopf gefallen waren, von nun an für Sonja kochen würde.

Zwei Jahre und viele Autokilometer später klärten sie die Küchenfrage. „Die Entscheidung, dass wir uns der Einfachheit halber auf der Mitte zwischen Bad Segeberg und Hamburg in Kayhude treffen würden, fiel praktisch ohne Diskussion“, sagt Rolf. „So viel Harmonie war ich nicht gewohnt. Doch es ist einfach wunderbar, dass ich jetzt mit einer Frau zusammen sein darf, die mich nicht ständig dominieren und verändern will.“ Da nickt Sonja und strahlt ihn an. Denn das kennt auch sie zu Genüge.

Er nennt seine Frau „Elfe“

2011 heirateten die beiden, heimlich – und stolperten gleich in die erste große Bewährungsprobe: Als Sonja am letzten Tag ihrer Flitterwochen auf Korfu eine Treppe hinunterstürzte und sich den Oberschenkelhals brach. Rolf stritt sich mit den griechischen Ärzten herum – als Krankenpfleger hatte er schließlich Ahnung – und organisierte den Rücktransport nach Deutschland, wo Sonja im Krankenhaus Heidberg ein künstliches Hüftgelenk bekam. Gut eineinhalb Jahre laborierte sie damit herum. „Das hat uns noch mehr zusammengeschweißt“, sagen beide.

Rolf nennt seine Frau „Elfe“, auch wenn Sonja sicherlich ein wenig fülliger ist als diese mystischen Fabelwesen, die in ihrer gemeinsamen Freizeit eine wichtige Rolle spielen. Zahlreiche bunte Fantasyfiguren haben eine Wohnzimmerwand in ihrem Mittelreihenhaus fast komplett in Beschlag genommen, daneben ein Bücherregal, gestopft mit historischen Romanen und DVDs. „Wir beide sind große Mittelalterfans“, erzählt Sonja, „wir sind Stammgäste auf allen Treffen. Dann schlüpfen wir in unsere Kostüme und fühlen uns einfach nur wohl...“

Offenbar sind für das Phänomen des späten Glücks gemeinsame Interessen besonders förderlich. „Aber Menschen lernen ja auch – hoffentlich – aus vergangenen Fehlern. Und nach dem Ende einer Beziehung fragt man sich in der Regel, was man selbst falsch gemacht hat, und was man besser machen kann“, sagt Manfred Hassebrauck. Dazu gehöre auch, den Partner so zu akzeptieren, wie er oder sie ist. „In jungen Jahren haben wir oft unrealistische Idealvorstellungen und möchten, dass der Partner diesem Ideal möglichst nahekommt. Mit zunehmenden Alter werden wir diesbezüglich jedoch realistischer.“

Gelassener im zweiten Lebensabschnitt

Für Nora und Axel aus Reinbek, 44 und 45 Jahre alt, die über friend-scout24 zueinander fanden, spielte zunächst die vermeintliche Anonymität des Internets die entscheidende Rolle. Die Pharmazeutisch-Technische Assistentin und der Drucktechniker tauschten sich vor ihrem ersten Treffen knapp einen Monat lang über die Chatfunktion ausführlich miteinander aus. Vor allem waren sie ehrlich zueinander. „Im Internet gibt es keine Tabus“, sagt Nora, die das alles „furchtbar spannend und sehr aufregend“ fand. Bis sie sich dann das erste Mal trafen. Und zwei Blitze gleichzeitig einschlugen, obwohl man doch im zweiten Lebensabschnitt, wie Axel bemerkt, viel gelassener und großzügiger sei. Vermutlich darum wurde es die berühmte „Liebe auf den ersten Blick“. Wie ein „nach Hause kommen“ sei es ihr vorgekommen, schwärmt Nora von jenem schicksalhaften 22. Januar 2012. Der sogenannte BQ-Check (Beziehungsquotient) des Portals, der von den Kunden Antworten auf Fragen zu den vier verschiedenen Beziehungsdimensionen „Beziehungsideal“, „Partnerideal“, „Beziehungsorientierung“ und „Persönlichkeit“ erwartet, hatte bestens funktioniert und beide zusammengeführt.

Nora und Axel hatten vorher in Beziehungen gelebt, die jeweils 20 Jahre gedauert hatten. Beide waren im Laufe der Zeit immer unglücklicher geworden. „Aber wenn Kinder involviert sind, überlegt man sehr lange, wie leidensfähig man sein kann“, sagt Nora, „auch habe ich sehr lange die Hoffnung nicht aufgegeben. Doch wenn letztlich nur noch Kälte und Traurigkeit überwiegen, muss man einen Schlussstrich ziehen.“

Sie glaubt, dass für viele andere Menschen in derselben Situation häufig noch die Angst vor der Einsamkeit und einer ungewissen Zukunft hinzukommen könnte. Nach ihrer extrem positiven Erfahrung mit dem Singleportal sei diese Angst jedoch unbegründet, meint sie. „Ich denke, dass unsere Liebe ungewöhnlich ist. Wir haben uns von Anfang an verstanden. Was ich gedacht habe, hat Axel im selben Moment ausgesprochen und umgekehrt. So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt, diese absolute Übereinstimmung und dieses gegenseitige Verständnis ...“ Nora und Axel stürzten sich Hals über Kopf ins Abenteuer und heirateten schon am 10. Mai dieses Jahres. Ende August zogen sie in ihr neues Haus ein.

Irene war neugierig auf die „Internet-Kuppelei“

In den großen Onlineportalen macht die Gruppe der Best Ager etwa 20 Prozent der Kunden aus. Die Tendenz ist steigend. Durchschnittlich fünf bis sechs Monate dauert in der Regel die kostenpflichtige Mitgliedschaft, bis die rastlose Suche nach dem Glück (vorerst oder vielleicht ja auch für immer) endet. So wie für Irene, heute 60, und Ralf, 52, beide aus Aumühle, die im März 2004 den Bund fürs Leben schlossen, nachdem sie sich knapp zwei Jahre zuvor im Internet zum ersten Mal über den Bildschirm gelaufen waren. Am 7. Mai 2002, an Irenes 49. Geburtstag. „Er war mein allerbestes Geschenk!“, sagt die Chemielaborantin, die an der TU Harburg arbeitet.

Damals waren Partnerbörsen noch Neuland. Innerhalb der Gesellschaft überwog generell das Misstrauen gegen die „Internet-Kuppelei“. „Aber ich war neugierig“, sagt Irene, die bis dahin lediglich mehrere längere Beziehungen geführt hatte, „denn ich wollte vielleicht auf diese Weise endlich mal jemanden kennenlernen, der wirklich zu mir passt und der nicht dauernd versucht, mich zu verbiegen. Es kam auch zu einigen Treffen mit durchweg sympathischen Herren, aber es funkte nicht.“

Dies sollte sich jedoch in dem Augenblick ändern, als der acht Jahre jüngere Ralf auf seiner schweren Honda vor dem Italiener im Lämmersieth in Harburg vorfuhr. Die erste Ehe des Elektrotechnikers, Spezialist für Verkehrsanlagen bei Vattenfall, hatte neun Jahre gehalten. Er hatte mit 21 Jahren geheiratet, weil seine Freundin, damals 19, ein Kind von ihm erwartete. „Dazu steht man dann, so bin ich erzogen worden“, sagt Ralf. Aber zwischen Verliebtsein und Liebe bestehe nun mal ein großer Unterschied. Leider. So ging die Beziehung fast zwangsläufig auseinander. Weitere neun Jahre nach der Scheidung, knapp vor seinem 40. Geburtstag, wagte Ralf dann einen erneuten Anlauf. Er meldete sich auf Kontaktanzeigen in Zeitungen, „denn in der Disco bist du bloß ein alter Sack, und in Kneipen funktioniert das doch auch nicht, wenn du was Festes willst.“ Von der Briefschreiberei sei er aber rasch genervt gewesen: „Hinter vielen Chiffreanzeigen versteckten sich Heiratsinstitute, die einen bloß abzocken wollten.“

„Da ist mir zu wenig Action“

So fand auch Ralf letztlich ins Internet. Und wurde fündig. Allerdings nutzten er und Irene das Portal nur zum flüchtigen Kennenlernen und Nummerntauschen. Ans Eingemachte gingen sie dann auf die konventionelle, die gute alte Art. Auge in Auge. Sie sahen beide Land, trotz des recht hohen Altersunterschieds. „Ich kann nun mal nicht mit älteren Männern“, seufzt Irene, „da ist mir zu wenig Action!“ Obwohl Ralf jünger sei, ist er der ruhigere Part. Aber er mache alles mit. „Wir sind ja Reisefreaks“, sagt sie, „aber wir sind keine Strandlieger, sondern wir entdecken die Länder auf eigene Faust.“ Und selbstverständlich steigt Irene auch voller Vertrauen als Sozia auf sein Motorrad. „Die Liebe in unserem Alter ist einfach reifer“, sagt sie, „nichts ist mehr dem Zufall überlassen. Aber man muss ehrlich sein.“

Beide bilden eine Ausnahme: Denn im Gegensatz zu den Männern suchen Frauen um die 50 eher nach einem gleichaltrigen Partner, der in der Regel zwischen drei Jahren jünger und vier Jahren älter sein kann. Während Männer gleichen Alters in der Regel möglichst eine um bis zu 13 Jahre jüngere Partnerin begehren, die 60-Jährigen bevorzugen sogar 15 Jahre jüngere Partnerinnen. „Bei der Umsetzung dieser Wünsche werden die Männer allerdings von den Frauen ausgebremst, die deutlich ältere Partner meist nicht akzeptieren. Angesichts der ohnehin geringeren Lebenserwartung der Männer ist das wohl auch eine richtige Einstellung“, sagt Manfred Hassebrauck.

Den Statistiken nach zu urteilen bietet das Internet zurzeit wohl die besten Chancen auf ein neues Liebesleben. Denn sogar in einer Millionenstadt wie Hamburg existiert im Grunde nur ein einziger, wirklich renommierter Singletreff für die Best Ager: das Landhaus Walter am Stadtpark, wo seit nunmehr 13 Jahren jeden Dienstag und Donnerstag der Downtown Blues Club zum Tanzen, Klönen und Flirten öffnet. „Unser Club entstand damals eigentlich aus einer persönlichen Not heraus“, erinnert sich der Geschäftsführer und Konzertveranstalter Uwe Mamminga, der damals 53 Jahre alt war. „Wir wollten mit ein paar Leuten einen Geschäftsabschluss feiern und unbedingt tanzen gehen. Aber wir wussten ehrlich gesagt nicht, wohin! Da haben meine Frau und ich uns angeguckt und beschlossen: Dann eröffnen wir eine 50-plus-Disco eben selbst.“

Es wurde keine schnelle Nummer, sondern etwas Haltbares

Es war eine weise Entscheidung. Denn Singleportale können eine Tanzfläche nicht ersetzen. Vor allem an den Donnerstagen ist die Hütte brechend voll, aus den Lautsprecherboxen wummern die Hits der 80er- und 90er-Jahre. Es fällt sofort auf, dass die Frauen durchweg schick gekleidet sind, nicht selten sogar mächtig aufgebrezelt, während bei den Männern Jeans und bedruckte Hemden dominieren, gewollt jugendliche Fashion aus den Häusern Camp David, Hollister oder Abercrombie & Fitch. Nicht nur Hamburger sind vertreten, sondern auch Gäste aus dem gesamten Umland. Was ebenfalls als Indiz für die unbedingte Notwendigkeit einer solchen Location gewertet werden darf.

Sabine, in der Modebranche, und ihr Mann Frank, in der Sicherheitsbranche tätig, gehören beinahe schon zum Inventar des Downtown Blues Clubs. Sie sind 51 respektive 53 Jahre alt, seit zehn Jahren in zweiter Ehe verheiratet und kommen seit acht Jahren regelmäßig hierher. Sie wissen, dass nicht wenige Gäste die Erwartung eines One-Night-Stands hegen, „aber entgegen aller Gerüchte klappt das nur sehr selten“, sagt Frank. „Das funktioniert nur in der Partyhölle Sauerlandstern in Willingen.“ Wo an den Wochenenden ganze Bataillone paarungswilliger Großstädter in den besten Jahren busweise einfallen, wo Menschen ihre wahre Identität hinter falschen Namen und Prepaid-Handykarten verstecken und wo auch Frank seine Sabine traf; zunächst als „Stefanie“, im Don Camillo, einer entweihten und zur Kneipe umgebauten Kirche. Es wurde jedoch keine schnelle Nummer, sondern was Haltbares, vielleicht sogar ohne Verfallsdatum.

Was in Willingen, mit insgesamt rund 100 Kneipen, Bars und Diskotheken der unbestritten größte Kontakthof in der Republik für Best Ager, wohl eher die Ausnahme ist. „Hier im Landhaus suchen die Leute dagegen was fürs Leben“, sagt Sabine, „und wenn sie suchen, dann drehen sich ihre Gespräche tatsächlich häufig um Gefühle und ernsthafte Absichten.“ Beide hätten schon viele Gäste gesehen, die als Fremde kamen und dann als Pärchen immer wieder ins Landhaus kamen, glücklich und zufrieden schienen. Frank ist der festen Meinung, dass man mit den Jahren vor allem die Bereitschaft, Kompromisse einzugehen, schätzen lernt. Und dass im Gegenzug die Eifersucht kontinuierlich abnimmt. Ihm und Sabine sei es nicht anders ergangen. „Der Satz, der wohl am häufigsten fällt, wenn die gegenseitige Anziehungskraft unwiderstehlich geworden ist, lautet: ‚Warum haben wir uns bloß nicht schon früher getroffen?‘“, sagt Frank. Weil man mit 20 oder 30 eben noch nicht so weit war.