Jeden Tag kommen bis zu 400 Menschen in die Bahnhofsmission. Axel Mangat und sein Team sind für die Besucher oft der rettende Anker.

Der Spruch fällt sofort ins Auge. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die Zukünftige suchen wir (Heb. 13,14).“ So steht es auf einem Zettel an der Wand in dem kleinen Arbeitszimmer von Axel Mangat. Jahreslosung 2013 prangt über dem Bibelzitat.

Der Raum misst 15 Quadratmeter. Wenn überhaupt. Schrankwand und Schreibtisch quetschen ihn noch weiter zusammen. Vier Stühle und ein Tisch für Besucher machen die Enge perfekt. Auch der getrübte Blick durch weiß-graue Gardinen auf den Vorplatz des Hauptbahnhofs und die Spitaler Straße gegenüber schafft keine Weite. Im Gegenteil. Vielleicht hat sich der Chef der Bahnhofsmission deshalb diesen Sehnsuchtssatz an die Wand gehängt.

„Das ist der Ort, an dem ich sein soll“, sagt Axel Mangat. „Ich wüsste keinen spannenderen Arbeitsplatz.“ Warum? „Man weiß nie, wer als Nächster durch die Tür kommt.“ Im Grunde ist damit alles gesagt.

Es kommen jeden Tag 300 bis 400 Menschen hierher. Ohne Anmeldung, ohne Termin. Fragt man den Leiter der Bahnhofsmission, wo er in zehn Jahren sein wird, sagt er: „Ich werde auf jeden Fall noch mit Menschen zu tun haben – und sicher nicht an Maschinen stehen.“ Darum ginge es doch im Leben: Um Beziehungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Wenn er seinen Arbeitsplatz beschreiben soll, spricht er von „einer Art Zwischenraum“, den er und seine 90 Mitarbeiter, davon 70 ehrenamtliche, ausfüllen. „Wir sind keine Aufenthaltsstätte und keine Beratungsstelle.“

Sie sind die erste Hilfe. Sie sind 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag ansprechbar. „Wir vermitteln ins Hilfesystem, wir ersetzen es nicht.“ Sie helfen Aussteigern und Umsteigern, Verirrten und Verwirrten. Manche haben nur ihre Fahrkarte verloren, andere ihren ganzen Lebensmut. „Das sind nicht alles Rettungseinsätze“, sagt Axel Mangat. Da endete es vielleicht manchmal. Und es beginnt? „Bei der Möglichkeit für reisende Mütter, hier in unseren Räumen ihr Baby zu wickeln.“

Axel Mangat ist 38 Jahre alt. Vor 20 Jahren hätte sich der groß gewachsene Hamburger, der in Poppenbüttel aufgewachsen ist, auch einen ganz anderen Berufsweg vorstellen können. Er spielte Gitarre und sang in der Band „stay tuned“, was übersetzt: „Bleib dran“ heißt. „Ja, ich wollte unbedingt Musiker werden.“ Rein äußerlich hätte es zum Popstar vielleicht sogar gereicht. Die Erkenntnis aber, dass die Fähigkeiten auf dem Instrument nur dazu genügten, „dass die Musik immer ein Hobby bleiben würde“, sei schmerzhaft gewesen.

Andererseits machte diese ernüchternde Einsicht für ihn den Weg nach Bad Kreuznach frei. In der dortigen Diakonie absolvierte er sein freiwilliges soziales Jahr. Axel Mangat arbeitete in der Teestube und lernte erstmals Menschen intensiv kennen, die nicht sprechen, nicht sehen, nicht gehen konnten. „Wenn man mit diesen Menschen ihre Freizeit gestaltet, gerät ihre Behinderung irgendwann völlig in den Hintergrund. Sie ist dann kein Makel mehr“, sagt Axel Mangat. Und er hatte tolle Ausbilder. „Wir wurden in schwierigen Situationen nie alleine gelassen.“

Der junge Hamburger wollte mehr über soziale Arbeit lernen. Von den Diakonie-Mitarbeitern wurde er angesprochen: „Mensch Axel, du kommst doch aus Hamburg, da gibt es doch das Rauhe Haus.“ Der Ursprung der sozialen Arbeit sozusagen. Ach ja?

Axel Mangat informierte sich über die Studienmöglichkeit vor seiner Haustür und machte dann eine vierjährige Ausbildung. Eine fachliche zum Sozialpädagogen, eine kirchliche zum Diakon. Das war ihm wichtig. „Das Fundament meiner Arbeit liegt in meinem Glauben.“ Die Bahnhofsmission ist für ihn „Kirche an einem besonderen Ort“.

Mit Kirche verbindet der verheiratete Vater von drei Kindern – sieben, neun und elf Jahre alt – vor allem zwei Dinge. Zum einen die Musik. „Ich bin in musikalischen Kirchengruppen groß geworden.“ Flötenchor, Posaunenchor, Kirchenchor. Die Musik war Türöffner, um an den Gottesdiensten in der evangelischen Gemeinde teilzunehmen.

Und zum anderen die Gemeinschaft. Menschen, die zur Stelle sind, wenn man sie braucht. Axel war acht Jahre alt, als seine Eltern sich trennten. „Da waren viele in der Gemeinde, die meine Mutter, meinen jüngeren Bruder und mich aufgefangen haben.“ Zu seinem Vater, der als Student aus Indien nach Deutschland gekommen war, habe er bis heute einen guten Kontakt.

Das ist sein Bild von Kirche: Sie ist lebendig und im Stadtteil verwurzelt, sie mischt sich ein und kümmert sich um die, mit denen sonst keiner mehr etwas zu tun haben will. Genau diese Kirche fand er nach seinem Studium: Die Timotheus-Gemeinde in Hamburg-Horn mit dem damaligen Pastor Christian Wienberg. Der alte Arbeiterstadtteil quoll nicht gerade über vor Kirchgängern. „Zu uns kamen viele und sagten: ‚So richtig kirchlich bin ich nicht. Aber wenn ich Schwierigkeiten habe, dann gehe ich in die Timo. Die wissen Rat, die lassen mich nicht allein.‘“

Axel Mangat blieb dort zehn Jahre, arbeitete als Sozialarbeiter in der Suchtprävention mit Jugendlichen. Hatte es auch mit schwierigen, kriminellen und vernachlässigten jungen Leuten zu tun. Viele kamen aus Migrantenfamilien. „Wir haben ihnen einen Raum gegeben, jenseits von Familie und Schule. Wir haben sie ernst genommen, und so ist Vertrauen entstanden. Wir haben ihnen ein Gegenüber gegeben, weil die meisten das nicht hatten.“

Er hat gelernt, dass soziale Arbeit vor allem eines braucht: Zeit. „Weil die Betroffenen dir erst einmal mit großem Misstrauen begegnen. Kein Wunder, sie sind ja selbst zu oft enttäuscht worden.“

Er hat sich weitergebildet, wollte mehr über Management und Führung wissen, war Koordinator für Suchtprävention im Bezirk Mitte, hat mit Schulen Konzepte gegen Drogenkonsum entwickelt. Vor drei Jahren dann der Wechsel an die Spitze der Bahnhofsmission. Er hatte das Stellengesuch gelesen, den Zettel weggelegt, dann tauchte er wieder auf. Nach einem Gespräch mit der scheidenden Leiterin Claudia Rackwitz-Busse hatte Axel Mangat das Gefühl: „Ich kann hier etwas beitragen.“ Nicht als der große Macher, sondern als Teil eines Teams. „Das ist wie in einer Band. Der Klang, den du beiträgst, muss passen.“ Sein Beitrag als Leiter: Für Ziele sorgen, motivieren, organisieren. „Jeder Mitarbeitende muss möglichst genau wissen, was er tut und warum sein Beitrag für das Ganze wichtig ist.“

Er findet, dass dieser Team-Gedanke viel zu wenig Beachtung findet. „Hier treffen sich Schüler-Praktikanten und Manager, Senioren und Handwerker.“ Menschen mit verschiedensten Fähigkeiten. Leute aus unterschiedlichen Berufen, verschiedenen Generationen und sämtlichen Stadtteilen. Die Zusammenstellung seiner Mitarbeiter sei einzigartig. Am meisten freut es ihn, wenn diese Menschen als Team funktionieren. „Durch die Begegnungen von solch unterschiedlichen Menschen können eine Menge Klischees abgebaut werden.“ Das sei ein wichtiger Aspekt in einer Zeit, in der viele gerne für sich bleiben. „So gestalten wir auch ein bisschen den sozialen Frieden in der Stadt mit.“

Wie es um diese Stadt steht, lässt sich wohl an keinem anderen Ort besser herausfinden. Mit 450.000 Menschen pro Tag ist der Hamburger Hauptbahnhof, noch vor Berlin und Frankfurt, der am häufigsten frequentierte Bahnhof in Deutschland. Hier schlägt das Herz der Stadt. Kurz vor der Bundestagswahl würde sich Axel Mangat von den Politikern wünschen, dass sie sich von den Sozialexperten im Lande viel öfter Einschätzungen einholen. Dass sie offener seien für diese Perspektive. „Um dann langfristige Entscheidungen für die Zukunft zu treffen, anstatt immer nur kurzfristig auf aktuelle Probleme zu reagieren.“ Konkret wünscht er sich gemeinsame Unterkünfte für Familien mit Kindern im Winternotprogramm.

Gerade hat sich die Stadtmission, als Träger der Bahnhofsmission, in Hoffnungsorte umbenannt. „Sollte man in einem Wort zusammenfassen, um was es hier geht, ist es Hoffnung“, sagt Mangat. „Damit kommen die Menschen zu uns. Und das ist es auch, was wir ihnen geben können. Selbst wenn wir nur zuhören und es aushalten müssen, dass jemand keine Hoffnung mehr hat.“

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Axel Mangat bekam den Faden von Doris Tito und gibt ihn an Abi Wallenstein weiter