In der Arche-Region an der Elbe haben sich Züchter zur Rettung bedrohter Nutztierrassen vereint. Sie am Leben zu erhalten ist mehr als bloße Nostalgie.

Es schnattert, quiekt und blökt, es maunzt, gluckt und gackert. Enten wackeln über den Weg, Ferkel tappen durch den Matsch, und Schafe mampfen auf der Wiese. Willkommen bei Maximilian Jasker in der Elbtalaue: Der Elfjährige züchtet Haustiere – und zwar am liebsten welche von der Roten Liste. Er ist das jüngste Mitglied der Arche-Region an der Elbe.

Max war drei Jahre alt, als er sein erstes Schaf geschenkt bekam. Woher seine Tierliebe kommt? Vater Jens zuckt mit den Schultern und lacht: „Der ist schon mit dem Storch hier angekommen.“ Der Sechstklässler möchte Tierarzt werden, natürlich, und nimmt dafür jeden Morgen um 6.50 Uhr den Bus zur Schule in Boizenburg – damit er danach aufs Gymnasium wechseln kann.

Es ist später Nachmittag, Max und sein Vater sind zum Füttern in ihren Garten am Ortsrand gefahren – die Farm der Familie. Mit sicherem Griff schnappt sich der Junge einen Eimer Hafer, raschelt mit dem Korn und lockt seine Bentheimer an. „Das sind Schafe mit besonders flauschigem Fell, allerdings wenig Fleisch“, erklärt der Kleine und krault Schafdame Daisy den Kopf.

Bentheimer Landschafe zählen zu den gefährdeten Nutztierrassen, von denen es schon mehr als 90 gibt. Sie sind widerstandsfähig, fruchtbar, temperamentvoll – und doch vom Aussterben bedroht. Weil die hochgezüchteten Konkurrenzarten sie verdrängen. Die gelten zwar als anfälliger für Krankheiten, Stress und Fruchtbarkeitsprobleme, liefern aber mehr Milch, Eier und Fleisch. Hat das Ur-Haushuhn Bankiva aus Indien noch zehn bis 20 Eier gelegt (im Jahr!), bringen es moderne Hochleistungshühner auf 320. Von mehr als 100 Rassen beschränkt sich die Industrie heute auf gerade einmal fünf Zuchtlinien. Vorwerkhuhn, Ramelsloher Hennen und Westfälische Totleger gehören nicht dazu, denn bei ihnen gibt’s maximal 200 Eier. Die Folge: Sie stehen auf der Roten Liste.

Ihre Genossen heißen Skudde, Gelbbacke, Deutsches Shorthorn und Rheinisch-Deutsches Kaltblut, Leineschaf, Bronzepute und Pommernente. Sie am Leben zu erhalten ist mehr als bloße Nostalgie: Die alten Rassen bereichern den Genpool.

Ein paar Kilometer von Max entfernt lebt sein Arche-Kollege Hans-Jürgen Niederhoff. Der erfahrene Öko-Landwirt aus Dellien hält nicht nur Rauwollige Pommersche Landschafe und Thüringer Waldziegen. Selbst Hofhund Bruno zählt zu den gefährdeten Rassen: Er ist ein Großspitz.

Niederhoff gehört zu den Ersten, die sich für die Arche-Region engagiert haben. Initiiert von Hartmut Heckenroth vom Storchenschutz-Zentrum Storkenkate im benachbarten Preten, gehören dem vor zweieinhalb Jahren gegründeten Verbund mittlerweile mehr als 100 Halter mit rund 50 Arten an. Unterstützung kommt von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH), die nach dem Motto arbeitet: Schützen durch nutzen, erhalten durch aufessen.

So loben Fleischesser den Geschmack des Bunten Bentheimer Schweins, und Gerd Stämmerling hält sich in Sückau eine Herde Rasenmäher, pardon, Brillenschafe. Sie sorgen für kurzes Gras auf seinem Land, und einmal auf den Geschmack gekommen, hat sich der gebürtige Bergedorfer in seiner Wahlheimat gleich noch eine Handvoll Sperberhühner und Lippegänse angeschafft.

Ein Stück elbaufwärts in Groß Banratz sind Ingrid und Ingo Rosenberg stolz auf den Nachwuchs ihrer Schweine: die ersten Rotbunten Husumer Ferkel in der gesamten Arche-Region. Besser bekannt sind die Rotweißen unter ihrem Spitznamen Dänische Protestschweine. Die wurden einst von Dänen gezüchtet, als diese im preußischen Schleswig-Holstein ihre Nationalflagge Dannebrog nicht hissen durften.

Die kleinen Steckdosenträger sind nicht die einzige Besonderheit der Familie: Ingo Rosenberg gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins für die Rettung des Englischen Parkrinds, einer fast 1000 Jahre alten und damit ältesten Rinderrasse der Welt. Auf der ganzen Erde gibt es nur noch wenige Hundert Exemplare, in Deutschland insgesamt um die 30 – und sechs davon an der Elbe.

Max macht seinen letzten Kontrollgang des Tages. „Vorsicht, da liegt Hühnerkacke von Elfriede“, warnt er den Besuch. Seine Farm zählt mittlerweile weit mehr als 80 Tiere – „und jedes Jahr werden es mehr“, sagt Vater Jens mit einem kräftigen Atemzug. Trotzdem kennt der Lütte seine Schützlinge und ihre Hinterlassenschaften ganz genau. „Der hier ist gerne die beleidigte Leberwurst“, erzählt er und zeigt auf einen Hahn, der gerade den Kopf zwischen zwei Steine steckt. „Die anderen ärgern ihn gern, selbst die Küken. Als einziger Hahn ist er automatisch der Außenseiter. Aber manchmal ist er selbst schuld, weil er auch nicht nett ist.“ Sozialstudien im Vorbeigehen.

Ein Alpines Steinschaf und einen Bock für die Bentheimer hätte Max gerne noch in seiner Truppe, dafür studiert der Nachwuchszüchter regelmäßig die Kleinanzeigen in der Fachzeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Arten. Um sich Zukäufe und Futter leisten zu können, verkauft die Familie regelmäßig Nachwuchs: Im Augenblick haben sie Minischwein-Ferkel im Angebot. Und wenn sie zu viele – nicht bedrohte – Hähne haben, kommen die auf den Teller: „Lecker“, sagt Max.

Dass eine seiner Cröllwitzer Puten geschlachtet wird, will der Junge dagegen um jeden Preis verhindern. Den just geschlüpften Nachwuchs will er später nur gegen die Garantie verkaufen, dass er nicht geschlachtet wird – die Puten stehen schließlich auf der Roten Liste.