In Peru produzieren Kleinbauern Lebensmittel mit Fairtrade-Siegel, für die auch immer mehr Deutsche den Aufpreis bezahlen. Das Abendblatt erfuhr vor Ort, warum auch fairer Kaffee einen bitteren Beigeschmack hat.

Es ist vier Uhr morgens, als Sergio Neira in den bulligen Pick-up steigt. Piura, die größte Stadt im peruanischen Norden, liegt noch in tiefem Schlaf, der lärmende Verkehr des Tages hängt als ferne Erinnerung in der milden Morgenluft. Der Fahrer lässt den Motor aufröhren. Es geht los, der Weg ist lang. Und er wird erst dort enden, wo in Deutschland der Tag beginnt: bei einer Tasse Kaffee.

Fünf Uhr, schnurgerade Landstraßen, Hütten aus Wellblech, Müllkippen, Wüste. Sechs Uhr, Neiras Blick wandert über die sanft-runden Bergkämme der ersten Andenausläufer, die sich vor der aufgehenden Sonne abzeichnen. Um sieben Uhr passiert der Wagen das Dorf Buenos Aires, das so heißt wie die argentinische Hauptstadt. Die Häuser sind grün, rosa und himmelblau. Hähne krähen, langsam wird es warm. Der Bürgermeister von Buenos Aires heißt Elvis, seinen Namen hat er mit roter Farbe an alle Wände gemalt.

Acht Uhr, es ist hell. Aus flachem Land sind Berge geworden, aus der Straße eine kurvige Schotterpiste, an deren Rändern es mal rechts, mal links steil nach unten geht. Die dunkelgrünen Schluchten lassen die gefühlte Schwelle zwischen Leben und Tod für ein paar Sekunden näher rücken. Frauen und Kinder in bunten T-Shirts winken, herrenlose Esel trotten müde vorbei. Der Morgendunst hat sich wie Watte um die Hänge gelegt.

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Ankunft in Coyona um neun Uhr, in einem Dorf, das man auf fast keiner Karte findet. Es ist Neiras Dorf, ein Kaffee-Dorf, 1600 Meter über dem Meeresspiegel. Neira ist Kaffeebauer, viele seiner Nachbarn auch. Laut schnatternd sitzen sie auf Gartenstühlen vor ihren Häusern aus Stein, Lehm und Holz, mit Türen aus Brettern und Fenstern ohne Glas. Über ihren Köpfen baumeln die Wäscheleinen.

Der Fahrer dreht den Zündschlüssel, der Motor verstummt. Die Sonne steht jetzt oben am Himmel. Neira, 58 Jahre alt, blaue Jeans, das T-Shirt weiß, kneift die Augen zusammen und zeigt hoch, zum Berg, wo kein Auto mehr hinkommt. "Da müssen wir jetzt hin." Er marschiert los, über Steine, durch Wasser und kniehohes Gras. Hoch zu seinem Haus, zu seinem fünf Hektar großen Land. Es ist der letzte Teil des Weges und mit 30 Minuten der kürzeste. Wegen der schwülen Hitze und der gnadenlosen Moskito-Armada ist es aber der anstrengendste.

Zwar trägt Neira eine Armbanduhr, die Zeitrechnung hier draußen ist aber eine andere. Minuten zählen nicht, es wird zehn, halb elf, doch für wen ist das überhaupt wichtig auf diesem Berg? Wichtig ist, dass Kaffeekochen eine Folge körperlich anstrengender Abläufe bedeutet: Neira muss nach draußen gehen, wo die Hunde im Schatten dösen, er muss Kohle holen, ein Feuer in seinem Ofen machen und in die Glut pusten, damit es brennt. Beißender Rauch steigt auf, die Augen tränen und der Kaffeebauer schwitzt. Die Ironie will es, dass er selbst von dem ganzen Aufwand am wenigsten hat. Wie die meisten Peruaner trinkt Neira kaum Kaffee. "Wir mögen ihn einfach nicht", sagt er. Den letzten Rest seiner Ernte von 2012, gute 300 Gramm Kaffeepulver, serviert er nur, wenn er Gäste hat.

Auf der anderen Seite der Welt dauert Kaffeekochen heute weniger als eine Minute: Klappe auf, Kapsel oder Pad rein, Klappe zu, Knopfdruck, fertig. Nicht Peru, sondern Deutschland ist das wahre Kaffeeland. 149 Liter trinkt hier jeder im Jahr, mehr als Wasser oder Bier. Kaffee ist Genussmittel, Motor der Arbeitswelt, Kaffee ist Lifestyle. Letzteres gilt vor allem für Kaffee wie der von Neira. Eine kleine, aber wachsende Zahl an Verbrauchern ist bereit, für seinen Kaffee etwas mehr Geld zu bezahlen, weil ein kleines schwarz-grün-blaues Siegel auf der Packung klebt. Neiras Kaffee ist Fairtrade-Kaffee. Wer ihn kauft, kauft auch das diffuse, aber belohnende Gefühl, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. 533 Millionen Euro gaben die Deutschen 2012 für Fairtrade-Produkte aus, das ist ein Drittel mehr als im Jahr davor.

Zahlen über bewusst ausgegebene Summen sind der eine Indikator, der andere zeigt sich auch in Hamburg, an einem typischen Mittwochmorgen um kurz nach halb zehn. Im Starbucks an der Eppendorfer Landstraße stehen sie Schlange, Menschen auf dem Weg zur Arbeit, zur Schule, in die Uni. Einen Caffé latte bitte, venti, 3,95 Euro, einen grande Caramel Macchiato, 4,40 Euro, alles to go. Venti, das ist die größte Größe bei Starbucks, 591 Milliliter, grande sind 473 Milliliter, es sind Vokabeln und Maße aus dem Starbucks-Universum. "Jeder Kaffee, den wir hier am Tresen verkaufen, ist fair trade", sagt die junge blonde Frau mit der grünen Schürze strahlend. Ein bisschen hat sie aber geflunkert: Der Anteil des Kaffees mit dem bekannten Fairtrade-Siegel an allen Kaffee-Einkäufen betrug bei Starbucks im Jahr 2012 nur 8,1 Prozent. Der Rest wird von anderen Fairhandels-Zertifizierern eingekauft, zudem gibt es ein eigenes System, das "ethisch gehandelten" Kaffee ausweisen soll.

Geht es nach Neira und anderen Kleinbauern, fangen genau hier die Probleme an. Als der Rauch abgezogen ist und das Feuer erstickt, schenkt er den Kaffee ein, setzt sich an den Tisch und sortiert seine Gedanken. "Ohne Fairtrade wären wir nicht da, wo wir heute sind", sagt er, zwischen seinen Augen ist jetzt eine tiefe Furche. "Tausende Kleinbauern haben dem System viel zu verdanken." Neira weiß, wovon er spricht, er hat das System in Nordperu selbst mit aufgebaut und ist Gründer von Cepicafé. Die Organisation ist Dachverband von 6000 Kaffeebauern, die sich in ihrer Region zu Kooperativen zusammengeschlossen haben. Cepicafé unterstützt sie bei ihrer Arbeit, verhandelt Preise und will dafür sorgen, dass die Kaffeetrinker dieser Welt wissen, welche Gesichter hinter ihrem Lieblingsgetränk stecken.

Neira glaubt allerdings, dass der faire Handel nicht mehr so läuft, wie er laufen sollte. "Wir Kleinbauern werden immer mehr an den Rand gedrängt. Die Nachfrage nach fairem Handel wächst, große Händler wollen ihr Geld damit verdienen", seufzt er. In den Tassen sinkt der Kaffeesatz langsam nach unten, Filter gibt es hier nicht, ebenso wenig Waschmaschinen. Über der blütenweißen Tischdecke liegt deshalb Plastikfolie. Mit den Herausforderungen des Lebens in einem abgelegenen Dorf wie Coyona hat sich Neira arrangiert. Mit den großen Plantagen, die jetzt auch fairen Kaffee produzieren, allerdings nicht. "Die haben wegen der großen Mengen, die sie herstellen können, einen Wettbewerbsvorteil und machen den Markt für uns Kleinbauern kaputt."

Um das Bild zu ordnen, fängt man am besten bei der Herkunft des Kaffees an. Fast 80 Prozent der weltweit gehandelten Bohnen stammen von Kleinbauern. Das bedeutet, dass es nur Familien sind, die wenige Hektar bewirtschaften. Sie leben auf der südlichen Hälfte unseres Globus, und obwohl alle im Norden ihren Kaffee trinken, wird keine von ihnen reich. Die Familien leben am Existenzminimum. Vor allem deshalb hat sich Fairtrade International, der schwarz-grün-blaue Platzhirsch im Siegel-Dschungel, bei seiner Gründung 1997 zum Ziel gesetzt, die Kleinbauern zu unterstützen. Fairtrade International - kurz FLO - ist der Dachverband der gesamten Organisation, hat seinen Sitz in Bonn und ist ein eingetragener Verein. Wenn ein Händler bei uns Kaffee mit Fairtrade-Siegel verkaufen will, muss er bei der deutschen Tochter Transfair die Lizenz dafür erwerben.

Um zu verstehen, wie die Euros der deutschen Fairtrade-Kaffeetrinker dann bei Menschen wie Neira ankommen, besucht man am besten José Rojas. Er hat sein Büro in einem hoch umzäunten Haus in einem der gefährlicheren Viertel Piuras. Im Eingang durchwirbelt ein großer Standventilator die heiße Luft, Schweiß perlt Rojas' Schläfen herunter. Er ist studierter Agrar-Ingenieur und Manager von Cepicafé, er verwaltet Gelder und Geschäfte der Organisation, trägt ein Kurzarmhemd und eine dunkle Anzughose. Mit einem dicken Filzstift in der Hand malt Rojas eine gezackte Linie auf ein Blatt Papier, es sieht jetzt aus wie ein EKG. "Das ist die Entwicklung des Kaffeepreises in den letzten Jahren", sagt er. Ein Auf und Ab also. Jeden Tag wird der Preis für eine Tonne Rohware Arabica-Kaffee an der New Yorker Börse berechnet. Dann malt Rojas eine zweite Linie: Sie ist fast waagerecht, die obersten und die untersten Ausschläge der EKG-Linie sind etwa gleich weit von dem neuen Strich entfernt. "Das ist der Preis, den Fairtrade den Kleinproduzenten garantiert."

Deshalb bekommt ein Kaffeebauer wie Neira für jedes Pfund Rohkaffee derzeit einen Mindestpreis von 1,40 US-Dollar (1,10 Euro). Der Händler, der den Bauern die Rohware abkauft, muss außerdem die Fairtrade-Prämie von 20 US-Cent pro Pfund bezahlen. Sie wird bei den Kooperativen gesammelt. "Wir entscheiden dann zusammen, wie das Geld ausgegeben wird", sagt Neira. Der größte Teil der Prämie fließt in Investitionen und landwirtschaftliche Fortbildungen, in denen die Bauern lernen, wie sie ihre Ernte steigern können. Hilfe zur Selbsthilfe also. Der Rest wird in soziale Projekte gesteckt, Kindergärten oder Schulmaterial, außerdem gibt es Uni-Stipendien.

Der Fairtrade-Kaffee aus Peru ist drei Wochen und mehr als 11 000 Kilometer mit dem Schiff nach Hamburg unterwegs, er kostet hier zwischen 5,50 und sieben Euro. Neiras Anteil daran liegt also bei etwa 20 Prozent. Ist das viel? Oder wenig? Eher zu wenig, wenn man den Kaffeebauern fragt. Sein Haus ist einfach, auch wenn es in Coyona zu den besseren gehört. Er und seine Frau Irma, ein stilles Persönchen mit kinnlangem Haar, haben Wasser, das aus einem Brunnen hochgepumpt wird, eine Solarzelle auf dem Dach lässt eine Glühbirne im Wohnraum leuchten. Die Wände aber sind rußig-grau und unverputzt, die Möbel einfach, Heiligenbilder überall. Wer das Haus betritt, schaut auf ein großes Poster mit dem Heiland: Jesus en-Ti confio. Jesus, auf dich vertraue ich. 500 peruanische Soles hat Neira im Monat übrig, das sind 150 Euro. Davon kann er gerade so leben.

Während sich Fairtrade International Kleinbauern wie Neira verschrieben hat, ist die nationale Tochter Fair Trade USA Ende 2011 aus dem großen System ausgeschert - nach einer langen Debatte darüber, ob nicht auch große Plantagen zertifiziert werden sollten, um das Prinzip auf breitere Füße zu stellen. Fair Trade USA tut dies jetzt, hat ein eigenes neues Siegel und wichtige Kunden, darunter auch Starbucks. "Je höher der Anteil wird, desto mehr kann fairer Handel bewirken", rechtfertigte sich Fair-Trade-USA-Chef Paul Rice in vielen Interviews. "Es geht um Profite", sagt Neira, "und nicht mehr um die Belange von uns Produzenten."

Zurück zu Starbucks in Eppendorf, wo die Schlange lang bleibt und die Einnahmen stabil. Einen tall White Caffé Mocha, 3,90 Euro, einen Iced Vanilla Latte in venti, 4,55 Euro, hippe Namen für hippe Getränke jener Generation, die Kaffee längst nicht mehr im Kännchen bestellt. Und der Erfolg ist riesig. 18.300 Filialen hat die Kette weltweit, erst im Januar 2013 konnte sie neue Rekordumsätze verkünden. Solche Nachrichten sind es, die den Kleinbauern in Nordperu nackte Angst einjagen.

Wenn Neira und die Menschen in Lateinamerika von fairem Handel sprechen, benutzen sie nicht den Anglizismus "fair trade", sie sagen auf Spanisch "comercio justo", also "gerechter Handel". Gerechtigkeit ist ein starkes Wort - und es ist ein politisches Wort. Ganz anders als das weiche "fair", bei dem man irgendwie an Fußball denkt.

Gerecht findet Neira das System aber schon lange nicht mehr. Folgt man ihm aus seinem Haus, geht es erst einen schmalen Pfad entlang und durch mannshohes Gestrüpp, das er vorsichtig zur Seite schiebt. Und dann ist man plötzlich da, mitten in den Bildern der Fernsehwerbespots, die uns die Tchibos und Melittas dieser Welt vorspielen: hohe, dunkelgrün bewachsene Berge, Palmen, Kaffeepflanzen mit roten und grünen Beeren, so weit das Auge reicht. Große Vögel segeln über die versprengten Dörfer hinweg. Man wartet unwillkürlich auf das Ende dieser Idylle und den nächsten Werbespot, nur dass der einfach nicht kommt, weil das hier die Wirklichkeit ist.

Auf Anbaugebieten wie Neiras wächst der Kaffee wild und durcheinander, wechselt sich mit Bananen, Orangen und Avocados ab. Bei der Ernte macht das nichts, denn die Familien kennen ihr Land und wissen, wo die Kaffeesträucher sind, wenn sie mit großen geflochtenen Körben die Felder durchstreifen. Anders ist es auf den großen Plantagen. Fair Trade USA betreibt mittlerweile fünf davon, die kleinste ist 240, die größte 3570 Hektar groß. Tausende Arbeiter werden dort beschäftigt, die durch die Zertifizierung mit dem Fair-Trade-USA-Siegel bessere Bedingungen genießen.

Für sich genommen ist das nicht verkehrt. Aber es führt zu einem seltsamen Paradox: Fairer Handel ist mittlerweile so erfolgreich, dass er sich nun selbst kannibalisieren könnte. Die Marktwirtschaft will es, dass derjenige, der besonders viel von einem Produkt hat, es günstiger verkaufen kann. Das Aldi-Prinzip sozusagen. Genau so, wie bei uns die Tante-Emma-Läden angesichts des Discounter-Wachstums von der Bildfläche verschwanden, fürchten jetzt auch die Fairtrade-Kleinbauern, durch die steigende Marktmacht großer Plantagen ins Hintertreffen zu geraten. Sollte es zum Preiskampf kommen, können sie nicht mithalten. Jeder Cent weniger bedroht ihre Existenz. "Wir merken schon, dass die großen Händler lieber mit einer großen Plantage verhandeln als mit uns", sagt Neira, "das ist für sie eben einfacher."

Während FLO beim Kaffee stur geblieben ist und ausschließlich Kleinbauern zertifiziert, sind bei Fairtrade-Bananen größere Anlagen mit Hilfsangestellten gang und gäbe. Im Chira-Tal, 50 Kilometer nördlich von Piura, werden auf mehr als 200 Hektar fair gehandelte Bananen gezüchtet, das Gelände gehört 350 Familien. Weil Bananen fast das ganze Jahr geerntet werden, ginge es ohne Hilfe nicht. Der Fairtrade-Vorteil: unter anderem ein Mindestlohn, Gewerkschaften, die Wochenarbeitszeit ist auf 48 Stunden begrenzt.

Die Farbe der Bananen-Ernte ist grün. Grün wie die Stämme und Blätter der Palmen, die bis zu fünf Meter hoch in den Himmel ragen. Grün wie die großen Büschel, in denen die Bananen wachsen und sich hinbiegen zum Licht. Grün wie die Hauben und Schürzen der Arbeiter, die im Akkord ihren Dienst verrichten. Erste Station: Die Bananen vom Büschel schneiden, ins desinfizierende Chlorwasser werfen. Schneiden, werfen, schneiden, werfen, bis nur noch der schmale Stamm übrig ist. Zweite Station: Die Bananen aus dem Wasser holen, in eine große Schüssel mit Zitronensaft tauchen, weitergeben. Dritter Schritt: sortieren. Große Bananen hinten auf die Palette, mittlere in die Mitte, die kleinen vorn. Weiter geht es, der nächste Arbeiter versprüht ein Mittel gegen Pilzbefall, Sekunden nur, dann weiter, zu den Kartons. Die Arbeit beginnt um 6.30 Uhr, sie ist effizient, sie ist schnell. Und sie funktioniert in Handarbeit, ohne jede Maschine.

Den härtesten Job verrichten die jungen Männer, die die schweren Büschel von den Feldern anschleppen. Trotz stehender Hitze von 35 Grad tragen sie lange Ärmel und Hosen, damit die Sonne ihre Haut nicht verbrennt. Sie haben noch nie von der europäischen Bananenverordnung Nr. 2257/94 gehört, doch genau sie ist es, die ihre Arbeit diktiert. Demnach muss eine in der EU eingeführte Banane mindestens 14 Zentimeter lang sein und 2,7 Zentimeter dick. "Vor allem aber muss sie ohne Dellen und braune Flecken sein", sagt José Sabalu, als er durch die Bananenfelder stapft und nach dem Rechten sieht. Dem 62-Jährigen gehören ein paar Hektar, er ist Vizevorsitzender der Produzentengemeinschaft im Chira-Tal, ein freundlicher Mann mit rotbrauner Haut. Sabalu ist zufrieden. Zwischen die Bananen in den Büscheln haben die Arbeiter flache Kissen aus Mull und alten Zeitungen geklemmt, damit es keine Druckstellen gibt. "Diaper" sagt Sabalu dazu, das englische Wort für Windel. Wird ein solch gepampertes Büschel von der Palme geschnitten, fällt es wie ein Sack Zement in die offenen Arme eines Arbeiters, der unter dem Gewicht in die Knie gehen muss. Nur auf einem großen Schulterkissen dürfen die Büschel getragen werden, und nie länger als 200 Meter am Stück. Über allem schwebt die Dellen-Gefahr.

Sabalu steigt in seinen Wagen und braust durch die schmalen Wege zwischen den Feldern. Die Laderampe für die Lkw ist nur wenige Minuten entfernt. Mitten im Nirgendwo, zwischen den Bananenpalmen, haben sie ein Betonfundament aufgeschüttet und ein Dach aus Wellblech darüber gebaut. Drei Lastwagen können andocken, jetzt gerade steht ein Container von Hapag Lloyd hier, Zielort Hamburger Hafen. "Alles in Ordnung?", fragt Sabalu den Chef der Verladestation aus dem Fenster. "Ja klar", antwortet der Mann, der im Schatten unter dem Dach sitzt und auf neue Kartons wartet. "Edeka", das kennen sie hier im Chira-Tal, und "Netto", die Discount-Tochter des Hamburger Einzelhändlers. Beide Begriffe haben sie von den bedruckten Kisten gelernt, die sie hier verschicken.

Die Standard-Bananenkiste wiegt 18,14 Kilogramm, rund 100 Bananen passen dort rein. Wenn Sabalu eine solche Kiste an die Laderampe liefert, bekommt seine Kooperative die Fairtrade-Prämie von einem US-Dollar und er den Mindestpreis von 11,25 Dollar, also rund 8,80 Euro. Wenn man so will, ist eine Banane in Peru um die 8,8 Euro-Cent wert. Davon muss Sabalu die Ausgaben für Wasser und Düngemittel bestreiten, und er muss seine Arbeiter bezahlen. Auch er kann unterm Strich nach alldem gerade so von seiner Arbeit leben. Mehr aber auch nicht.

Dass der Fair-Trade-Mindestpreis nicht höher ist, liegt auch an der Schnäppchen-Mentalität der Verbraucher. Vor allem deutsche Konsumenten neigen bei Lebensmitteln zum Geiz, in kaum einem anderen europäischen Land sind Nahrungsmittel so billig, und in kaum einem anderen europäischen Land geben die Menschen einen kleineren Anteil ihres Einkommens für Essen und Trinken aus. Claudia Brück kann ein Lied davon singen. In der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit von Fairtrade Deutschland wertet sie jede Woche die Prospekte der Supermärkte aus. Hier gilt: je billiger, desto schlechter. "Wenn Edeka ein Kilo konventioneller Bananen für 49 Cent anbietet und im gleichen Regal die Bio-Fairtrade-Bananen für 1,79 Euro liegen, geht kein Verbraucher mehr mit", sagt sie. "50 Cent oder einen Euro mehr geben die Kunden für ein fair gehandeltes Produkt zusätzlich aus. Aber darüber hinaus ist Schluss."

Ist es dann überhaupt sinnvoll, mit Fairtrade-Waren in die Supermärkte und Discounter zu gehen, die Horte des Geiz-ist-geil-Prinzips? "Wir wollen genau dahin, wo der Kunde ist, damit er auch wirklich die Wahl hat und sich für Fairtrade entscheiden kann", sagt Brück. Nur so könne fairer Handel einen Einfluss haben. Und dennoch: Trotz des Zuwachses gab jeder Bundesbürger im letzten Jahr gerade einmal sechs Euro für Fairtrade-Produkte aus. Das gute Gewissen lassen wir uns nicht allzu viel kosten. Den Boom verursachen andere: Auf 41 Euro kommen die Schweizer, vor den Deutschen liegen auch die Österreicher, die Briten oder die Franzosen.

Kaffeebauer Sergio Neira hat seine Antwort auf die Probleme gefunden. Er ist es ja gewohnt, sich anzustrengen, sei es nun für eine Tasse Kaffee oder eben die Zukunft seiner Zunft. Schon 2006 hat er ein neues Siegel mit auf den Weg gebracht. Es soll explizit die Produkte von Kleinbauern ausweisen. 33 Kooperativen etwa aus Peru, Ecuador und Mexiko machen bereits mit, erste Händler in Europa auch. "Die Leute sollen wissen, wer wir sind und welche Qualität hinter unserer Ware steckt." Neira hat sogar Prospekte auf Englisch drucken lassen, hier oben in den Anden ist das eine absolute Rarität.

"Ich glaube nicht, dass das einen Mehrwert bringt", sagt Claudia Brück, "der Verbraucher ist schon mit so vielen Siegeln konfrontiert." Unrecht hat sie nicht. Hunderte Siegel sind auf dem Markt, die fairen Handel, Bio-Anbau und vieles mehr belegen wollen.

Neira will trotzdem alles tun, damit sein Siegel auf immer mehr Produkten auch in Deutschland klebt. Seine Mühen hierfür, das kann man sich vorstellen, werden lang werden und hart. Länger als holprige Autofahrten und härter als Fußmärsche durch die Anden. Neira wird kämpfen müssen, und man fragt sich, welcher Kampf härter wird: der mit Händlern und Kaffeeläden - oder der Kampf mit der deutschen Billigmentalität? Gut möglich, dass sie stärker ist als der Wunsch der Verbraucher nach einem guten, reinen Gewissen.