Ingeborg zu Schleswig-Holstein verbrachte die 80er-Jahre in New York. Heute ist sie als Malerin längst etabliert. Hans-Juergen Fink über eine Farbbesessene

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Ingeborg zu Schleswig-Holstein bekam den Faden von Amelie Deuflhard und gibt ihn an Dr. Timm Schlotfeldt weiter

Ein Skandal war es nicht, als Ingeborg Prinzessin zu Schleswig-Holstein 1980 Andy Warhol als künstlerische Assistentin nach New York folgte. Gefragt hatte sie der albinoblonde Pop-Artist bei der Eröffnung einer Beuys-Warhol-Ausstellung in Düsseldorf. Und sie dachte: "Klingt ja ein bisschen weitgehend." Aber wenig später in Hamburg half sie ihm schon bei Interviews - "er hasste Interviews!" Als da jemand fragte: "What do you like best in Hamburg?", sagte Warhol: "Pingel." Keiner wusste, was gemeint war. "Das war mein Spitzname." Warhol erneuerte sein Angebot, da griff die blonde Absolventin der Fachhochschule für Gestaltung an der Armgardstraße zu, 24 war sie damals. Ein Künstlermärchen?

"Für mich der Sprung in eine gegenteilige Welt fast." Von Gut Bienebek und Hamburg nach New York zu Andy Warhol und seiner Factory - "eine sehr amüsante Lebensform, künstlerisch wahnsinnig interessant". Die Bullerbü-Welt an der Schlei und der Union Square in New York haben wenig bis gar nichts miteinander zu tun. "Aber das sind die zwei Welten, in denen ich immer gelebt habe, in denen ich immer noch lebe."

Es dauert, bis sie Kunst und Familie miteinander verknüpfen kann. Musste sie dafür kämpfen? Sie überlegt kurz: "Ein bisschen schon." Später wird sie erzählen, dass bei den Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburgs wie in vielen Familien adliger Herkunft sehr darauf geachtet wird, dass man sich und die eigenen Wünsche nicht zu wichtig nimmt. Irgendwann ist selbst das "ich" verpönt und wird durch das zurückgenommene "man" ersetzt.

Künstlerinnen gab es zwar schon unter ihren Vorfahren. "Eine Großtante hat gemalt, zum mittleren Gefallen der Familie, schätze ich. Wir sind ja keine Künstlerfamilie, um das mal diskret anzudeuten." Sie lacht amüsiert. Eine Urgroßmutter hat es auch getan, "aber die war nicht in einer Position, wo sie das ernsthaft machen konnte".

Bei ihr selbst "war das kein Problem. Die Eltern wollten, dass das Kind einen ordentlichen Beruf hat und selbst sein Geld verdienen kann. Mein Vater fand Kunst da nicht so ideal. Als sich abzeichnete, dass das doch funktionieren würde, lebte er leider nicht mehr." Dass für ihre großformatigen Bilder heute bis zu 30.000 Euro gezahlt werden, hätte er sich kaum träumen lassen.

Die Tochter ist derweil mit Querschlägern im eigenen Kopf beschäftigt. "Mir das Künstlersein selbst zu glauben war der größere Kampf", erinnert sie sich. Und dann sind da die Vorurteile der anderen. Niemand will wahrhaben, dass sie anfangs in New York nicht sehr mit Geld gesegnet ist. Ihr Name mit Prinzessin und Bundesland "erzeugte oft Abwehr unter jungen Künstlern. Da wurden gleich zwei Klischees gestört: das vom armen Künstler und das von der Prinzessin." Fast hätte sie damals den Namen geändert. Aber da hatte sie schon zu viel gemalt. "Und irgendwann war jedem völlig klar, dass ich Malerin war."

Begonnen hat ihr Weg dahin mit dem besonderen Verhältnis zu Farben, das sie schon als Kind hat. "Sie sind für mich eine andere, direkte Verständnisebene für die Welt." Ihr ist alles Farbe. Die gegenständliche Welt sowieso, aber auch Musik und selbst Zahlen verbinden sich bei ihr mit Farben.

"Ich erinnere mich an das Drama, als mein fünfter Geburtstag kam. Ich wollte das warme Rapsgelb der vier nicht verlassen, weil ich das etwas unsaubere Blau der fünf gar nicht mochte." Sie erzählt damals noch lange, sie sei vier und springt irgendwann direkt auf sechs. Dieses Farbempfinden ist für sie bis heute nicht nur Freude, sondern auch Qual: Wenn im Theaterstück die Bühne in der "falschen" Farbe ausgeleuchtet ist, muss sie manchmal hinausgehen, weil sie es nicht erträgt. Ihr Atelier ließ sie neu streichen, nachdem ein Assistent mit einer "unmöglichen" Farbe gearbeitet und überall gekleckst hatte - geht gar nicht.

Vom Gut Bienebek kommt sie aufs nahe gelegene Internat Louisenlund, das nach dem Zweiten Weltkrieg von ihrem Großvater, Vater und deren Ehefrauen gegründet worden ist. Danach will sie zur Kunst. An der Fachhochschule soll es, den Eltern zuliebe, noch etwas Praktisches sein. Design. "Aber ich bin gar kein geordneter Linealtyp. Sieht man ja hier im Atelier." Sie wechselt zur Illustration. Einige Lehrer fördern ihr wahres Talent, das freie Malen. "Da hab ich dann die Augen fest zugekniffen und bin losgelaufen."

Sie arbeitet immer mit nur einer Farbe zurzeit, im Moment mit einem faszinierenden Ultramarin. Sie lotet es aus, sie arbeitet sich an ihm ab, sie "wohnt" darin. Etliche blaue Großformate, sie arbeitet immer an mehreren nebeneinander, liegen halb vollendet auf dem Boden, lehnen und hängen an der Wand ihres lichtdurchfluteten Ateliers in einem alten Industriebau an der Jarrestraße. Hier arbeitet sie, seit sie Mitte der 80er-Jahre aus New York zurückgekehrt ist.

Sie malt seit New Yorker Zeiten abstrakt, das Gegenständliche interessiert sie nicht mehr, "das kann mein blödes kleines Handy weit besser, als ich es je könnte." Stattdessen Farbfelder, Nuancen, Verläufe - Bilder, die den Betrachter magisch anziehen, in die man sich meditativ versenken kann. "Farben", sagt Ingeborg zu Schleswig-Holstein, "sind mein Tor zur unsichtbaren Welt." Ein Satz, der wirken muss, so wie der: "Ich suche das Unsichtbare hinter dem Sichtbaren." Oder der: "Kunst ist ein Schlüsselloch zur anderen Welt."

Sie formuliert das - sonst sehr wortgewandt - eher vorsichtig und tastend: "Ein Sonderzugang zu Gefühlen, zu Gefühlswelten. Wahrscheinlich. Als Künstler versucht man, sich zu öffnen. Man hat das Gefühl, in der Kunst durch Wände gehen zu können, wie wenn man sich loslöst vom Materiellen. Man geht in Räume, die für andere nicht betretbar sind."

Was findet sie hinter dem Sichtbaren? "Jeder Mensch weiß, dass er geboren wird. Und auf der anderen Seite weiß man, dass es ein Ende gibt. Wir sehen nur die Strecke dazwischen. Am Anfang kann man ein bisschen weitergucken, wenn man Ultraschall hat. Auf der anderen Seite geht das nicht - da wissen wir nicht, was ist. Mich interessiert, was wir nicht wissen." Ist sie ein religiöser Mensch? "Ja." Aus dieser Quelle schöpft sie? "Ja."

Sie bemerkt die Skepsis des Reporters: "Es ist ja sehr schwer, nicht religiös zu sein - im Menschsein hat man einen ganz kleinen Zugang zur Wahrheit, wenn man die Welt nur rational angeht. Mein Zugang ist für mich viel interessanter. Man sucht mehr, man ahnt mehr, man wird sensibler, findet vielleicht leichter. Kommt vielleicht woanders an." Wo bleibt da die Kunst als Gesellschaftskritik? "Für mich wäre das eine Einengung, Kunst ist viel mehr als das."

Was bedeuten ihr andere Künstler? An Andy Warhols Kunst hat sie sich gerieben, festgestellt, dass ihr eigener Blick und ihr Ziel andere sind - sie hat bald in New York ein eigenes Atelier, zur Untermiete anfangs, fängt an auszustellen. Zurück in Hamburg malt sie ihren großen Bilderzyklus für St. Katharinen, trifft in Warschau den polnischen Komponisten Augustyn Bloch. Später in Hamburg den Theatermann Bob Wilson, zuletzt den chinesischen Schriftsteller und Musiker Liao Yiwu. Mit ihnen kann sie die Geheimnisse jenseits des Schlüssellochs teilen und an gemeinsamen Projekten arbeiten. "Wenn man da gemeinsam durchgehen kann, ist das, wie wenn man sich im Outer-Space wieder trifft. Das ist das Aufregendste an Kunst." Einige Bilder stehen gut verpackt für Ausstellungen im Atelier. Von denen hat sie wieder etliche vor sich: in Hamburg ab dem 23. März, dann eine in Berlin, eine in Cambridge in einem Museum, im Herbst eine im Museum im chinesischen Shenzhen.

Und neben Kunst und Atelier existiert ihre zweite Welt, die Familie am Leinpfad, zwischen Bildern ihrer Vorfahren, und auf dem Land, an der Schlei. Dazu gehört seit fast 30 Jahren ihr Mann, der kunstbegeisterte Nikolaus Broschek. Unternehmer und immer wieder Auftraggeber von Musikkompositionen, engagiert er sich für die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Mit ihm hat sie einen 17 Jahre alten Sohn.

Manchmal, gesteht sie, hat sie gehadert mit den Ansprüchen und Erwartungen "des Systems Adel. Ich bin so erzogen worden, dass man nicht leicht aufgibt. Oder nicht nur an sich selber denkt. Da hieß es: Du benimmst dich ordentlich, du bist für andere Menschen da, du nimmst dich selbst nicht so wichtig. Bist höflicher als andere. Ich bin so aufgewachsen, dass man auch Dinge tun muss, für die man nichts bekommt, die man aber für richtig und wichtig hält."

Das sitzt tief. Zu ihrer anderen Welt gehört seit 2004 wieder das Internat Louisenlund, dort ist sie Vorstandsvorsitzende der Stiftung, "das macht immer einer aus der Familie, da mein Großvater die Schule 1949 gegründet hat. Ich engagiere mich in Louisenlund mit großer Begeisterung."

"Louisenlund", sagt sie, "steht für "Leisten, Lernen, Leben, steht für Unabhängigkeit, für selbstständiges, freiheitliches, nicht egoistisches Denken, die Schüler lernen zu arbeiten und Leistung ernst zu nehmen. Und das in größtmöglicher Freiheit für sich und andere." Die Künstlerin aus der Gründerfamilie freut sich: "Das passt gut mit Kunst zusammen, die braucht genauso große Disziplin und genauso große Freiheit." In Louisenlund gibt es deshalb auch ein künstlerisches Profil.

Am Ende resümiert sie: "Es geht doch darum, dass jeder spürt, wo sein Platz ist - wo er mit seiner Seele im Einklang ist. Das ist wohl der Punkt, wo man am ,zuhausesten' ist." Sie lacht. "Meine Seele fühlt sich in diesem Ultramarin am wohlsten." Im Augenblick jedenfalls. Das Leben geht weiter.