Abendblatt-Redakteur Oliver Schirg schätzt Zigarren und beschreibt, warum eine von Hand Gerollte auch seine Sinne immer wieder kitzelt.

Eine Zigarre drückt man nicht aus. Man lässt sie sterben. Schaut zu, wie ein Windhauch ein letztes Glühen hervorzaubert. In Zeiten flächendeckender Rauchverbote scheiden sich an der Zigarre die Geister. Für die einen steht sie für das Ungesunde schlechthin. Für die anderen hingegen symbolisiert sie Behaglichkeit, Muße und Genuss.

Auch wenn viele Zigarrenraucher sich wegen der Nichtrauchergesetze ins Private zurückgezogen haben, gibt es sie noch, die Zigarrenlounges, in denen Liebhaber gemeinsam schmauchen. "Hier treffen sich Menschen, die sich im normalen Leben nicht begegnen würden", sagt Stefan Appel, der in der Alten Königstraße in Altona einen Zigarrenladen mit kleiner Lounge betreibt und wohl einer der letzten Zigarrenmacher Hamburgs ist. Manche seiner Gäste kommen fast täglich: "Für eine Auszeit auf dem Weg vom Büro nach Hause."

Für die einen sind sie ungesunder Mief, für die anderen eine duftende Offenbarung

Auch Marco Hellmers, Filialleiter von Tabacalera Hanseatica im Hanseviertel, schwärmt: "Es gibt nichts Schöneres, als es sich nach einem Arbeitstag daheim bequem zu machen und eine Zigarre anzuzünden." Einst ein Symbol für Reichtum hat die Zigarre längst die Gesellschaft durchdrungen. In einem Jahr werden in Deutschland mehr als 800 Millionen Zigarren verkauft.

Zum Genuss einer Zigarre gehört Zeit. Ein Connaisseur würde niemals im Gehen rauchen und schon gar nicht zwischendurch. Es ist das Innehalten, der kostbare Moment der Ruhe in einer von Hektik geprägten Zeit, der einer Zigarre ihre Bedeutung verleiht. Wohlgemerkt: der Zigarre, nicht dem Raucher.

Eine Zigarre schmeckt am besten, wenn man sich zwischen den Zügen Zeit lässt. Bei einem größeren Format kann das Rauchen bis zu einer Stunde dauern. Da lediglich der Gaumen und die Nase die Tabakaromen "verarbeiten" können, lohnt Inhalieren nicht. Es reicht also, den Mund mit dem Rauch der Zigarre zu füllen und dann langsam auszuatmen. So kommt der Geschmack des Rauchzeugs richtig zur Entfaltung - ähnlich wie bei dem Aroma eines guten Weines. Zigarrenhersteller verstehen sich nicht selten als Künstler und die Zigarre als Ergebnis eines schöpferischen Akts. Dieses Selbstverständnis mag daran liegen, dass der "Cigarmaker" den einzigartigen Geschmack eine Zigarre durch die Kombination unterschiedlicher Tabaksorten sozusagen erfindet. Das Zigarrenrauchen selbst ist jahrhundertealt. Azteken und die Maya sprachen von "Ciquar" und meinten "etwas Brennbares, das gut schmeckt und gut riecht". Für Europa entdeckte Christoph Kolumbus 1492 auf einer heute zu San Salvador gehörenden Insel Ureinwohner, die eine brennende Blattrolle in ihren Mund steckten.

Anfang des 16. Jahrhunderts gelangten Tabakblätter als Heilmittel nach Europa. Erst einige Jahrzehnte später setzte sich das Tabakrauchen durch. 1720 entstand in Sevilla Europas erste Zigarrenfabrik. Dorthin verschlug es den Hamburger Kaufmann Heinrich Schlottmann. Er erlernte das Zigarrenmacherhandwerk, kehrte in die Hansestadt zurück und gründete hier 1788 Deutschlands erste Zigarrenfabrik, die es aber inzwischen nicht mehr gibt.

Da Tabak zu den anspruchsvollen Pflanzenarten gehört - er benötigt warmes Klima, fruchtbaren, sandigen Boden und hohe Luftfeuchtigkeit - gibt es weltweit nur wenige Anbaugebiete. Zu den bekanntesten gehören die Nordküste Sumatras, der Nordosten Brasiliens und der Westzipfel Kubas.

Außerdem ist Tabakanbau kompliziert. Jedes Blatt muss "auf den Tag genau" gepflückt werden. Zudem haben die etwa 30 Blätter einer Pflanze unterschiedliche Qualitäten. Die untersten - die Sandblätter - gelten als die wertvollsten. Die obersten Blätter werden auf Sumatra und Kuba für hochwertige Zigarren gar nicht erst verwendet. Die Deckblätter - sie prägen wesentlich Erscheinung und Geschmack einer Zigarre - dürfen nicht beschädigt sein. Wer sich schon mal eine Zigarre genauer angeschaut hat, bemerkt den warmen Farbton. Und wer sanft mit seinen Fingern über das Deckblatt fährt, spürt die feinen, aderngleichen Verästelungen. Das beste Deckblatt - das Sumatra-Sandblatt - stammt aus Indonesien.

Die für das Aroma einer Zigarre so wichtigen ätherischen Öle entstehen während des Prozesses der Fermentation. Vier bis acht Monate lang werden die Blätter auf Stapeln bei Temperaturen zwischen 52 und 60 Grad gelagert. Eine gute Zigarre wird in Handarbeit gefertigt. Die besten Zigarrendreher, so sagt man, sind Frauen. Bis zu 30 Stück pro Stunde können erfahrene Hände herstellen. Fakt ist, dass Erfahrung und Einfühlungsvermögen notwendig sind. Eine zu fest gerollte Zigarre "zieht" nicht, eine zu leicht gerollte brennt zu rasch und von allein herunter.

Am Ende bleibt das Zigarrerauchen eine Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. "Meine Vorstellung von Glück ist es, in irgendeinem alten Hotel nach dem Abendessen in der Eingangshalle zu sitzen, wenn die Lichter an den Türen ausgehen und nur noch die Rezeption und der Portier von meinem bequemen Sessel aus sichtbar sind", schreibt Guillermo Cabrera Infante in seiner Kulturgeschichte des gepflegten Rauchens. "Dann rauche ich in Frieden meine lange schwarze Zigarre in der Dunkelheit: ein Glühen, einst uraltes Lagerfeuer auf einer Waldlichtung, jetzt ein zivilisiertes Glimmen, das wie ein Leuchtturmstrahl für die Seele die Nacht durchscheint."