Er war Kommunist, trat bei den Grünen aus und wieder ein, plante die HafenCity mit. Jetzt warnt er: Der Klimawandel bedroht die Demokratie.

Er ist der erste seiner Familie gewesen, der eine weiterführende Schule besuchte. Der Abitur, Studium und Promotion abschloss. Danach wurde er führender Genosse einer kommunistischen Splittergruppe, gab seine Habilitation für eine Werkzeugmacher-Lehre auf. Ging dann zu den Grünen, wurde 1997 Senator in Hamburg. Heute, 70 Jahre alt, sagt Dr. Willfried Maier: "Durch dieses Mich-selber-aus-der-Bahn-Schleudern hab ich eine sehr viel breitere Lebensgeschichte und Lebenswahrnehmung gewonnen."

Der Senator wurde ihm nicht in die Wiege gelegt, als er 1942 in Schwelm im heutigen Nordrhein-Westfalen zur Welt kam. "Meine Eltern waren kleine Leute, mein Vater, ursprünglich Schlachtergeselle, verlor im Krieg beide Füße durch Erfrierung und hat dann bei der Polizeiverwaltung gearbeitet. Meine Mutter war Hausfrau und hat ein bisschen mitgeholfen in der kleinen Spedition ihres Vaters." Aufgewachsen ist er in Wuppertal, als einziger Sohn. 1961 zog er zum Studium nach Göttingen, "ich wollte diese enge Bindung in den bisherigen Lebenskreis nicht mehr."

Anfang der 60er-Jahre trugen Studenten noch Krawatte und redeten einander mit "Sie" an. Man wohnte nicht in Wohngemeinschaften, sondern in möblierten Zimmern. "Ich durfte 1962 eine Nachhilfeschülerin nicht bei mir unterrichten, das musste zu Hause bei ihren Eltern geschehen. Meine beiden alten Zimmerwirtinnen hatten strenge Vorstellungen vom Studentenleben."

Der Schwerpunkt seines Studiums wandert von der Geschichte zur Germanistik immer stärker zur Philosophie. Mit 26 Jahren ist er promoviert, der Titel seiner Doktorarbeit: "Leben, Tat und Reflexion. Untersuchungen zu Heinrich Heines Ästhetik". Klingt wie eine Vorschau auf den eigenen Lebensweg? "Ein bisschen, ja. Es ist sicher so gewesen, dass ich sehr entschiedene Willensstellungnahmen zwischenzeitlich hatte, die immer wieder eingeholt wurden durch Ironisches oder durch Reflexion." Aber noch schreiben wir 1968, das Jahr der Studentenbewegung, der Außerparlamentarischen Opposition. Den jungen Dr. phil. fasziniert die lebendige Auseinandersetzung bald mehr als der tote Dichter.

"Links zu sein war bei mir auch eine Zeitgeist-Sache. In den 60er-Jahren orientierte sich alles, was bei den Studenten beweglich und schnell im Kopf war, nach links." Es ist aber auch logisch verknüpft mit dem, was ihn gedanklich fasziniert - mit dem Aufbruch des frühen Karl Marx. "Marx- und Lenin-Schulungen zu machen - dafür war ich wie berufen, ich hatte ja Philosophie studiert." Er landet beim KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands).

Was reizt ihn da? "Die Vorstellung, einen Punkt gefunden zu haben, von dem man mit überlegenem Gestus alle Welt kritisieren kann. Das hat ja etwas, was Intellektuelle immer reizt." Er lässt die Habilitation sausen, zieht nach Karlsruhe, später Mannheim, agitiert in der Kommunistischen Volkszeitung. Und beginnt eine Ausbildung zum Werkzeugmacher, um dicht bei den Werktätigen zu sein, dem Ziel der Agitation.

1977 bringt ihn - er ist längst Kritiker des sektenhaften Verhaltens seiner Organisation - eine Debatte über Feinheiten der Diktatur des Proletariats zum Ausstieg. Wieder verliert er fast seinen gesamten Freundeskreis. Noch ein Bruch, ein neuer Anfang.

Mit anderen Aussteigern leckt er die Wunden und analysiert, was falsch gelaufen war. "Wir nahmen Kontakt auf zu dem, was sich da als Grüne Partei zusammenkrabbelte." Maier wird Gründungsmitglied, ist 1980 in Karlsruhe bei der Gründungsversammlung dabei. "Da waren die Grünen noch extrem weit gespannt und hatten sehr widersprüchliche Vorstellungen."

Die Arbeit für den KBW hätte ihm im öffentlichen Dienst ein Berufsverbot eingetragen. Maier geht 1981 nach Hamburg, hier kann er bei der privaten Grone-Schule unterrichten, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft - hatte er ja in Mannheim noch mal einige Semester studiert. Er bleibt Lehrer bis 1996, auch während seiner ersten Jahre als GAL-Fraktionsvorsitzender.

Bei der GAL ist Maier wortgewaltiger Teilnehmer an der Debatte, was das denn für eine Partei werden soll. "Ich bin da mit links-universalistischen Ideen reingegangen, dachte aber bald: Eine solche Partei muss doch Einfluss nehmen wollen auf das Gemeinwesen und die Regierung." In den 80er-Jahren tritt er aus der Partei aus, als er mit den Hamburger Grünen nicht einverstanden ist. Doch das Daneben-Stehen mag er noch weniger als das Ärgern über diesen oder jenen Unsinn. Er kehrt zurück. "Ich liebe große Versammlungen, ich mag es auch, mich auseinanderzusetzen und zu streiten. In einem Leben, wo das ganz fehlt, dieses öffentliche Agieren, fehlt eine wesentliche Seite des Menschseins."

Sein Credo: "Politisches Handeln ist eigentlich selbst die Form, mit anderen zusammen die Freiheit zu erfahren." Er philosophiert: "Der Sinn von Politik ist Freiheit, wie Hannah Arendt sagt. Freiheit ist nicht das Ziel, sondern das Agieren selbst ist Freiheit, das Handeln. Und das ist immer eine Sache, wo man hervortreten muss, eine Initiative ergreifen, versuchen muss, andere zu gewinnen."

Das führt ihn 1993 in die Bürgerschaft. "Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass Parteiversammlungen ganz schön sind, dass die wirkliche Argumentationsbühne aber doch das Parlament ist. Das ist ja eine eigene Qualität, wenn man auch zu Leuten redet, die ganz anderer Meinung sind, die aus ganz anderen Milieus stammen - und wenn man die wiederum anhören muss. Das ist etwas anderes, als zweckhaft ein Ziel zu verfolgen. Manche nörgeln und sagen: Die Politiker reden und reden und reden, und es kommt nichts dabei heraus. Aber genau das Reden ist die Art und Weise, wie die Republik beieinander bleibt. Wenn ein Feldherr sagt: Da ist die Richtung, und alle marschieren, dann kann man sich alle möglichen Verfassungen vorstellen, aber keine republikanisch freiheitliche."

Seine Frau Eva Hubert hat er 1990 kennengelernt; die heutige Chefin der Filmförderung Hamburg/Schleswig-Holstein saß auch mal in der Bürgerschaft, Frauenfraktion. Das hilft, die zeitlichen Anforderungen der Politik ins Privatleben zu integrieren.

Und dann ist da noch das Laufen. "Und ich bin immer gern lange Strecken gelaufen und mit dem Fahrrad gefahren. Das ist eine Situation, in der ich vor mich hindenken kann. Wenn ich fünf oder zehn Kilometer gelaufen war, dachte ich: Mensch, du hast die dollsten Einfälle gehabt - schnell aufschreiben! Und wenn ich dann aus der Dusche kam und das las, dachte ich: Na ja, ging so ..."

Er nimmt seine Verantwortung im Parlament ernst, ist ab 1994 redegewaltiger GAL-Fraktionsvorsitzender. 1997 bringt neue Perspektiven: Die Wähler entscheiden, dass rot-grün regiert werden kann. Der geläuterte Revolutionär soll Senator für Stadtentwicklung unter Bürgermeister Ortwin Runde werden.

Maier geht in die Verantwortung, erobert sich eine neue Handlungsebene. Und lernt wieder dazu: "Ich merkte, wie die Presse plötzlich eine viel größere Rolle spielt. Das was man als Senator macht und sagt, findet da ein viel schnelleres Echo." Er lernt die Bürger neu kennen bei Debatten, die er rund um das Programm soziale Stadtteilentwicklung führt. Und erfährt die Beharrungskraft der Bürokratie. Er blickt zurück auf Themen wie "Sprung über die Elbe", Olympia-Bewerbung, Masterplanung für die HafenCity, nicht unzufrieden. Ärgert sich aber heute noch über die Fehleinschätzung der Bedeutung, die die Innere Sicherheit für die Wahl 2001 bekam. Der Außenseiter Ronald Schill wird zunächst unterschätzt. Dann steuern Terroristen aus Hamburg am 11. September 2001 Passagier-Jets ins New Yorker World Trade Center. Zehn Tage später wird gewählt, die CDU gewinnt gemeinsam mit FDP und Schill-Partei.

Willfried Maier ist wieder Abgeordneter, wird stellvertretender Fraktionschef und profilierter Sprecher für Haushalts-, Kultur- und Wissenschaftspolitik sowie Vorsitzender des Kulturausschusses der Bürgerschaft. 2008 steigt er aus der aktiven Politik aus. "Ich hab mit 66 nicht mehr kandidiert, weil ich dachte, dass ich da in einem Alter bin, wo der Kopf noch klar ist und wo ich zurück wollte zu meiner alten Neigung zur Philosophie." Die Kultur aber liegt ihm damals wie heute besonders am Herzen. "Kultur ist ja nichts anderes als die ständige Auseinandersetzung um die Interpretation der Welt. Wie ist was zu verstehen? Welche Handlungsmöglichkeiten tauchen neu auf? Was wollen Menschen damit ausdrücken?"

Aktiv ist er trotzdem noch, "ein bisschen bei der Böll-Stiftung in Berlin, da organisieren wir Seminare und Veranstaltungen, einen Austausch zwischen Politikern und Wissenschaftlern". Wenn er selbst nach vorn schaut, bedrücken ihn vor allem zwei Dinge: die Macht, die medienverstärkte Dummheit auf die öffentliche Meinung hat. Und dann, dass das Ökologie- und Klima-Problem immer noch unterschätzt und verdrängt wird. "Da geht es nicht nur um Deichhöhen oder Energiewende, sondern um Grundfragen unserer Lebensführung. Und das könnte sich durchaus irgendwann zuspitzen zur Frage: Kann ein demokratisches Gemeinwesen damit noch fertig werden?" Man spürt förmlich das Kribbeln, das ihn erfasst, wenn er eine öffentliche Debatte vermisst.

Wie alt er sich fühlt? "Och, eigentlich so, wie ich auch bin. Wir werden alle im Schnitt älter als die Generation vor uns und fühlen uns jünger." Er sucht einen Moment nach der richtigen Formulierung. "Ich würde schon sagen, ich bin ein älterer Mann." Und steht am Ende heiter zur Klarheit: "Also, ein alter Mann. Wann soll man denn alt sein, wenn nicht mit 70?"

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbild gelten. Willfried Maier bekam den Faden von Albert Wiederspiel und gibt ihn an Jörn Walter weiter