Warum Hamburg bei Vögeln immer beliebter wird und gerade Meisen nicht gerne auf weite Reise gehen, hat Irene Jung herausgefunden.

Hamburg. Bertolt Brecht war, wer hätte das gedacht, ein entschiedener Verfechter des Vogelfütterns. In seinem Gedicht "Die Vögel warten im Winter vor dem Fenster" lässt er sie ihr Sprüchlein aufsagen, den Sperling, den Buntspecht und die Amsel, die alle das Jahr über wichtige Aufgaben im Garten erledigt haben und in der Kälte um eine kleine Spende bitten. Auch Christian Morgenstern und Peter Hacks haben Wintervögel beobachtet und sie liebevoll in Gedichten verewigt.

Wir müssen keine Dichter sein, um auf ihren Spuren zu wandeln, sondern nur dem Aufruf des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) folgen, der gerade an diesem Wochenende wieder zur "Stunde der Wintervögel" aufruft. Bei der bundesweiten Aktion, die 2013 zum dritten Mal stattfindet, beobachten Naturfreunde jeweils eine Stunde lang Vögel an einem geeigneten Ort - am Futterhäuschen, im Garten, im Park oder auf dem Balkon -, zählen sie und teilen die Beobachtungen dem Nabu mit.

2012 beteiligten sich 531 Hamburger und sichteten insgesamt 11.357 Vögel. "Wir hoffen, dass es in diesem Jahr noch viel mehr werden", sagt der Hamburger Nabu-Ornithologe Marco Sommerfeld.

Ziel der Aktion ist, so viel wie möglich über die Vogelarten zu erfahren, die den Winter hier im Siedlungsbereich verbringen. Das ist eine komplizierte Sache. Denn neben den sogenannten Standvögeln, die in ihrem Brutgebiet überwintern, tummeln sich in Hamburg zurzeit auch Zugvögel aus dem Umland, aus Skandinavien oder Osteuropa. "Es gibt nur wenige absolute Standvögel", sagt Sommerfeld. "Bei einigen Arten setzt sich auch ein Teil der Population in wärmere Gefilde ab." Was sich derzeit bei uns tummelt, ist also ein bunt gemischtes Vogel-Völkchen.

Laut Vorjahreszählung sind Kohlmeisen und Amseln mit Platz 1 und 2 Hamburgs häufigste Wintervögel. Sie tauchten in mehr als 90 Prozent der Gärten und Parks auf, dicht gefolgt von der Blaumeise. Kohlmeisen erkennt man an ihrer kohlschwarzen Kappe und leuchtend gelben Unterseite mit schwarzem Mittelstreifen (bei Weibchen etwas blasser), die Blaumeise an ihrer blauen Kappe und blauen Flügel- und Schwanzfedern. Die Meisen-Häufung ist kein Wunder: Blaumeisen sind Allesfresser, die im Winter statt Insekten Samen aus den Fruchtständen von Birken und Erlen picken und an Vogelhäuschen herumturnen. Auch Kohlmeisen, die im Sommer Raupen, Spinnen und Blattläuse von den Zweigen klauben, stellen sich im Winter um auf Körner und Sonnenblumenkerne im Vogelfutter.

Bei den Amseln werden im Winter hauptsächlich die schwarzen Männchen gesichtet - im Januar 2012 insgesamt 1536 in Hamburg -, während die schlicht braungrauen Weibchen bei sinkenden Temperaturen reiselustig nach Süden aufbrechen. "Vor 150 Jahren war die Amsel noch ein reiner Waldvogel, der vor dem Winter nach Italien oder Frankreich zog", sagt Marco Sommerfeld. Inzwischen siedelt sie, wie andere Kulturfolger, in Städten und Dörfern, weil das Nahrungsangebot im Umfeld des Menschen besser ist: Gemähte Rasenflächen bieten ein großes Regenwurm-Aufkommen, im Winter gibt es in Gärten Fallobst, letzte Strauchbeeren, Körnerfutter und Komposthaufen. Auch bei den Buchfinken, bekannt für ihre schmetternden Garten-Arien, überwintern meist die Männchen in Deutschland, während die Weibchen in wärmere Gegenden abziehen. Deshalb heißt der Buchfink im Lateinischen auch "coelebs", der Ehelose. 512 Exemplare wurden in Hamburg gesichtet (Platz 10).

Ob ein Vogel im Winter zieht und wohin, ist genetisch programmiert. Auch Zugvögel in Gefangenschaft zeigen im Herbst eine "Zugunruhe". Und selbst ein Kuckuck, der von einem Standvogel aufgezogen wurde, fliegt im Herbst allein los auf Routen, die für seine Population typisch sind. Aber Zugvögel haben einen Verhaltensspielraum. Sie können je nach Klima und Nahrungsangebot auch ihre Winterquartiere verlegen oder ihr Zugverhalten ändern. Bedingt durch den Klimawandel tun das viele bereits: In den letzten Jahren sind viele heimische Zugvogelarten immer früher in die Brutgebiete zurückgekehrt, wie Ornithologen nachweisen konnten, darunter Grauschnäpper, Amseln und Zilpzalp, die auch in Hamburg "verfrüht" beobachtet wurden. Etliche Weißstörche ziehen nicht mehr nach Afrika, sondern überwintern auf spanischen Müllhalden.

Auch Großstädte wie Hamburg werden beliebte Winterquartiere. Deshalb sind viele der hier überwinternden Meisen, Rotkehlchen, Mönchsgrasmücken, Hausrotschwänze und Mäusebussarde gar keine Hamburger, sondern Wintergäste aus dem Umland, Skandinavien oder Sibirien. Sie besetzen quasi den Platz, den Hamburger Artverwandte freimachen, wenn sie in den Süden ziehen. Typisches Beispiel: das Rotkehlchen, ein Insektenfresser und Liebhaber von Waldboden (409 Exemplare, immerhin Platz 11). Ost- und nordeuropäische Rotkehlchen suchen sich im Winter in der Stadt Reviere, in denen es Beeren, kleine Samen, Fettfutter und dichte Gehölze gibt.

Dass der Spatz (908 Exemplare) mit Platz 4 in Hamburg so gut abschnitt, freut Marco Sommerfeld, denn gerade die Sperlinge finden in sanierten Hauswänden immer weniger Brutmöglichkeiten. "In einem leeren Haselstrauch, / da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch. / Der Erich links und rechts der Franz / und mitten drin der freche Hans ...", dichtete Christian Morgenstern. Vielleicht entdecken Sie die drei ja in Ihrem Garten!