Hamburg. Großartiger Lärm mit The Jesus and Mary Chain – ein Konzert wie ein halb schlecht gelauntes, halb trotziges „Mir doch egal“.

„Vor 40 Jahren habe ich die Band hier schon einmal gehört“, erzählt der weißhaarige Herr vor der Markthalle. „Damals hing ein Zettel an der Tür: ,The Jesus and Mary Chain geben sich die Ehre, ein 20-minütiges Set zu spielen!‘ Und dann kamen sie auf die Bühne, setzten sich auf ihre Verstärker, drehten die bis zum Anschlag auf, 20 Minuten Rückkoppeln, dann gingen sie wieder.“ Die schottischen Punklegenden The Jesus and Mary Chain waren schon 1984 ganz große Meister der Verweigerung.

Die im Vergleich zu einst heute ein verhältnismäßig zugängliches Konzert spielen. Mit „Glasgow Eyes“ ist vor zwei Wochen eine neue Platte erschienen, die gerade mal achte in 40 Jahren, und die klingt gar nicht schlecht. Den Auftritt in der Markthalle eröffnet das neue „jamcod“, das den typischen Jesus-and-Mary-Chain-Sound mit metallischen Beats und flirrenden Gitarren erweitert, das (mehrheitlich mit der Band gealterte) Publikum ist angetan, aber Sänger Jim Reid weiß, dass die meisten nicht wegen „jamcod“ hier sind. „Ihr habt vielleicht gehört, dass wir eine neue Platte draußen haben“, nuschelt er, „wir spielen da was draus, aber wir spielen auch ein paar Songs, die euch vertrauter sind.“

Markthalle: Punklegenden nölen liebevolle Hass-Songs

„Head on“, „Some Candy Talking“, „Just Like Honey“, im Grunde erweist sich der Abend als Best-of-Konzert, bei dem zwischendurch vereinzelt neue Nummern ausprobiert werden, die freilich nicht im Zentrum stehen.

Reid gibt dem Publikum, was es will. Das war nicht immer so – die Band, die im Kern aus Jim und seinem Bruder William Reid besteht, war lange Jahre berüchtigt dafür, ihre Mainstreamtauglichkeit dem Geschwisterzwist, den Drogenexzessen und der eigenen Exaltiertheit unterzuordnen. Prügeleien der Brüder auf offener Bühne, abgesagte Konzerte, Weltverachtung sorgten über Jahrzehnte dafür, dass The Jesus and Mary Chain der ganz große Erfolg verwehrt blieb. Der durchaus möglich gewesen wäre – die Reid-Brüder schrieben nämlich immer wieder wunderschöne Popmelodien, die sie dann mit krachenden Gitarren und Punk-Gestus zerhackten. Das hätte Hits ergeben können, aber tatsächlich ergab es eine Band, die über 40 Jahre als große Hithoffnung galt. Was ja auch seinen Wert hat.

The Jesus and Mary Chain: Zwischendurch wird es elegisch

In der Markthalle also spielen sie sich durch diese Hoffnungsmusik, laut, liebevoll, die Brüder im respektvollen (oder vorsichtigen) Abstand zueinander, sodass sich gar keine Aggressionen entladen können. Zwischendurch wird es elegisch, beim Drogensong „Chemical Animal“, beim wirklich schlimmen Dad-Rock „The Eagles and the Beatles“, auch bei „I Love Rock’n’Roll“. Und als Zugabe gibt es dann „I Hate Rock’n’Roll“, dann passt es wieder.

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Überhaupt sind die Hass-Songs dann doch das eigentliche Metier der Band, „Sidewalking“, „Blues From a Gun“, „Darklands“, alles Stücke, bei denen Reid gelangweilt über ganz großartigen Lärm hinwegnölt. Was er da nölt, sollte man dabei nicht so genau analysieren: „I’m addicted to love / So we can fuck on the table“, nuschelt der 62-Jährige im neuen „Venal Joy“ – einen Preis für besonders scharfsinnige Texte bekommen The Jesus and Mary Chain wohl nicht mehr. Wollen sie auch nicht. In seinen besten Momenten ist dieses Konzert ein halb schlecht gelauntes, halb trotziges „Mir doch egal“, und das ist nicht die schlechteste Haltung nach 40 Jahren.