Kontrollierter Rückbau statt unkontrollierter Einsturz: Denkmalgeschützte Häuser Frommestraße 4 und 5 im Senkungsgebiet werden abgerissen.

Lüneburg. Einsturzgefahr: Ein Gründerzeitensemble in Lüneburg steht vor dem Abriss. Zwei denkmalgeschützte Gebäude von Anfang des 20. Jahrhunderts sollen noch in diesem Jahr abgetragen werden. Eines der beiden Häuser hat die Stadtverwaltung bereits im Juni geräumt, die Mieter des Nachbarhauses sollen bis zum 1. Dezember ausziehen.

Die Adresse der Häuser lautet Frommestraße 4 und 5, seit zwei Jahren ist die Straße im Senkungsgebiet das Sorgenkind der Stadt. Dort, nahe dem unterirdischen Salzstock, haben die Lüneburger 1000 Jahre lang Sole aus dem Untergrund gepumpt und das Salz teuer verkauft. Heute zahlt die Stadt dafür: Zuletzt 18 Zentimeter in 15 Monaten ist der Boden an der Frommestraße abgesackt.

Wenige Hundert Meter Luftlinie vom Rathaus entfernt, reihen sich dort vier mehrstöckige Gründerzeit-Bauten aneinander, links rot verklinkert, rechts weiß verputzt. Ende des Jahres werden die beiden hellen Häuser fehlen. Bis zum nächsten Haus in der Bastionstraße wird eine Lücke klaffen.

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Die Lage ist verzwickt: Die zwischen Nummer 6 (rot) und Nummer 4 (weiß) stehende, unbewohnte Nummer 5 (weiß) ist laut Statikgutachten nur noch drei Monate lang standsicher, dann herrscht Einsturzgefahr. Doch ohne den linken Nachbarn wäre auch die dann allein stehende Nummer 4 nicht mehr ohne teure Sicherungsmaßnahmen zu halten.

Da der Eigentümer von Nummer 5 nicht auffindbar ist, hat die Verwaltung an seiner statt gehandelt: Sie hat das Gebäude räumen lassen und provisorische Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet. Insgesamt rund 200 000 Euro hat die Stadt bislang in das Haus des verschollenen Privateigentümers gesteckt - Geld, das der Steuerzahler vermutlich niemals wiedersehen wird. In Nummer 4 leben derzeit noch ungefähr ein Dutzend Mieter, die gegen die Kündigung ihrer Verträge durch den Eigentümer klagen. Doch sie werden ihr Heim eher verlassen müssen, als sie bislang gedacht haben. "Zielpunkt ist der 1. Dezember", sagt Oberbürgermeister Ulrich Mädge (SPD). Es gebe keine Chance, dass die Häuser zukünftig wieder bewohnbar sein werden. "Außer, sie werden abgerissen und neu aufgebaut." In Erinnerung an Haus Nummer 5, in dem einige Mieter bis zur letzten Minute vor der Räumung durch Polizei und Ordnungsamt geblieben waren, appellierte Mädge jetzt an die Mieter, ihre Verträge aufzulösen.

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Wenn Nachbar Nummer 5 fehle, bedeute das eine "Gefährdung für Mensch und Leben in Nummer 4", erklärt der Verwaltungschef. Das Haus müsste für geschätzte 100 000 Euro abgesichert werden, eine Sicherung beider Gebäude für ein weiteres Jahr würde bis zu 200 000 Euro kosten, rechnet er vor. Ein Abriss von Nummer 5 koste die Stadtkasse rund 100 000 Euro. Aber, so Mädge: "Ein kontrollierter Rückbau ist besser, als wenn wir es unkontrolliert einfallen lassen."

Der Eigentümer der Nummer 4, ein Lüneburger Investor, hatte bereits vor Monaten eine Abrissgenehmigung wegen Unwirtschaftlichkeit gestellt, und die werde kommende Woche erteilt, kündigt der Oberbürgermeister an. Ziel sei, beide Häuser bis auf die Keller zurückzubauen - und die Grundstücke zu einem späteren Zeitpunkt, "wenn es der Untergrund zulässt", neu zu bebauen.

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Die Pläne mit Häusern im Lüneburger Senkungsgebiet sind so eine Sache. "Wir waren vor einem halben Jahr hoffnungsvoller als jetzt", gibt der Verwaltungschef zu. "Der Untergrund hat uns hier eingeholt." Auch der Plan des Eigentümers von Nummer 4, auf dem benachbarten Grundstück der Nummer 3 einen Neubau aus Glas-Metall-Kuben hochzuziehen, war letztlich nicht an den Bürgerprotesten gescheitert, sondern an den Senkungen, die während der Planungsphase stark zugenommen hatten.

Proteste hagelte es, weil die Neubauten edel und teuer werden sollten - ganz im Gegensatz zu den günstigen Mieten nebenan. Den Geist der Gentrifizierung will Lüneburgs Verwaltungschef sich aber nicht vorwerfen lassen. "Es war nicht unser Ziel, dem Eigentümer Unwirtschaftlichkeit zu testieren." Ziel sei vielmehr Milieuschutz. "Das ist mehr als ein Knacken in den Balken. Hier sind Menschenleben in Gefahr."

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In den nächsten Tagen wird Stadtbaurätin Heike Gundermann mit den Mietern sprechen und ihnen ein Angebot für alternativen Wohnraum machen. Die Idee: Das Unternehmen Campus Management, das auch die Studentenwohnheime in Lüneburg betreibt, verwandelt derzeit ein ehemaliges Altenwohnheim zu einem Haus mit zahlreichen Einzimmer-Wohnungen. Dort könnten auch ehemalige Mieter aus der geräumten Frommestraße 5 einziehen - junge Frauen und Männer, die ihre Vorstellungen von generationenübergreifendem Wohnen umsetzen möchten. Ob die Mieter von Nummer 4 das Angebot annehmen werden, wissen sie noch nicht. "Wir müssen uns erst intern beraten", so ein Betroffener im Gespräch mit dem Abendblatt.

Auch für die weiteren Nachbarhäuser, Nummer 6 und 7, hat die Lüneburger Stadtverwaltung mittlerweile Statikgutachten beauftragt. Was aus den roten nach Abriss ihrer weißen Nachbarn wird, ist offen. Denn eines ist laut Statiker Christian Mädge - mit dem Oberbürgermeister nicht verwandt - klar: "Die Bewegung im Untergrund ist weiterhin vorhanden."

Wer sich einen Eindruck vom Inneren der Frommestraße 5 machen möchte, kann auf der Internetseite der Stadtverwaltung ( www.lueneburg.de ) ein entsprechendes Video ansehen.