Seit vier Jahren sind die Greifvögel ein Paar. Im Naturschutzgebiet Heuckenlock bekamen sie erstmals Nachwuchs. 50 Tierschützer helfen.

Wilhelmsburg. Eine ornithologische Besonderheit bietet in diesem Jahr die Elbinsel Wilhelmsburg. Seit mehr als 100 Jahren zieht in Hamburg erstmals ein Seeadlerpaar Junge auf. Die Familie lebt im Naturschutzgebiet Heuckenlock im Süden der Elbinsel. "Das Seeadlerpaar ist eine Sensation für Hamburg", sagt Maren Jonseck-Ohrt vom Abschnitt Naturschutz im Bezirksamt-Mitte.

Zu verdanken ist der Bruterfolg dem Kirchdorfer Ornithologen Gerhard Brodowski. Er wacht seit Anfang Februar von Sonnenauf- bis -untergang über das Wohl und Wehe des Seeadlerpaares und seines Nachwuchses - bei Wind und Wetter. Er hat vom Bezirksamt Mitte die Genehmigung bekommen, das Heuckenlock mit Zäunen und Holzbarrieren abzusperren. Alle drei Zugänge sind seit Februar nicht mehr passierbar.

"Leider war das Heuckenlock im vergangenen Jahr nicht gesperrt, sonst hätte es wahrscheinlich schon 2011 einen Bruterfolg gegeben", sagt Gerhard Brodowski. "Im vergangenen Jahr gab es zu viele Störungen für das Paar."

Das Adlerpaar gilt als ausgesprochen "großstadtaffin". Es hat seinen Horst direkt an der Elbe gebaut - lediglich rund 300 Meter von der Autobahn 1 entfernt. "Die Vögel kommen immer dichter an die Stadt heran, weil ihnen der Lebensraum genommen wurde", sagt Gerhard Brodowski. "Die Elbe ist eine gute Nahrungsquelle für die Adler."

Die Adler sind gut von der Harburger Seite vom Elbdeich aus zu beobachten, aus rund 200 Meter Entfernung. Gerhard Brodowski sagt zu Eindringlingen in das Heuckenlock: "Ein Naturschutzgebiet ist ein Rückzugsraum für die Tiere und nicht für die Menschen." Rund 50 Helfer aus ganz Deutschland standen ihm bislang zur Seite, um die stolzen Greifvögel zu schützen.

Der Kfz-Meister Brodowski kennt das Hamburger Adlerweibchen seit 2004. "Es flog oft von der Elbinsel zum Spadenland auf die andere Elbseite und saß auf den Feldern zwischen Graugänsen und im Holzhafen in Moorfleet. Auch in der Kormorankolonie in der Nähe des Golfplatzes hat es sich aufgehalten."

In Wilhelmsburg war die Adlerfrau oft an der Rhee und flog gern bis zur Bunthausspitze, wo Norder- und Süderelbe zusammentreffen. 2008 kam der Adlermann. "Seitdem sind sie ein Paar", sagt Gerhard Brodowski. Den ersten Horst hat das Adlerpaar 2009 in Moorwerder gebaut. Es hat ein altes Bussardnest aufgestockt. "Gebrütet haben sie aber nicht, weil es zu viele Störungen gab", sagt Gerhard Brodowski.

In den Wintern ist das Adlerpaar in Hamburg geblieben. "Sie sind standorttreu", sagt der Vogelkenner. Im Herbst 2009 haben die Adler angefangen, in Moorwerder den Horst zu bauen. Im Februar 2010 haben sie weitergebaut. Der Horst wurde seitdem immer wieder repariert und aufgestockt. Er ist 1,5 Meter hoch und zwei Meter breit.

Gerhard Brodowski nennt sich selbst nicht Ornithologe, sondern "Tierbeobachter". "Ich stehe auf dem Deich oder sitze im Auto und habe die Adler und ihre Beute genau im Auge. "Mir geht es darum, das ganze Verhalten der Vögel mitzubekommen."

Das Adlerpaar von Wilhelmsburg führe eine "ausgeglichene Ehe", sagt Gerhard Brodowski. Alles werde geteilt. Das Männchen brütet mehr am Tag, das Weibchen mehr nachts. Anfangs hat das Weibchen mehr gebrütet. Das Männchen füttert seit dem ersten Tag genauso viel wie das Weibchen.

Anfang März haben die Wilhelmsburger Adler angefangen zu brüten. Mitte April sind die Jungen geschlüpft, im Abstand von zwei Tagen. Nach 75 Tagen, Ende Juli, ist der erste Jungadler ausgeflogen, nach 80 Tagen der zweite.

"Die Eltern haben sich seit Februar gepaart. Bis kurz vor der Eiablage haben unsere beiden Adler täglich kopuliert - bis zu fünf Mal am Tag am Stammansitz oder auf dem Nest", berichtet Brodowski. Er hat unglaubliche Bilder von den Wilhelmsburger Adlern gemacht. Er hat beobachtet, wie die beiden Jungadler in der Luft fliegen und sich aneinander krallen, sich gegenseitig festhalten und dann 200 Meter in die Tiefe trudeln bis kurz über den Elbsand.

Noch können die beiden Jungvögel nicht selbstständig jagen. Sie sitzen oft gemeinsam am Strand und tun so, als würden sie es tun, indem sie Steine anfliegen und mit ihnen hochfliegen. Sie nehmen auch Stöcke hoch, sie sind spielerisch veranlagt. "Manchmal fliegen die Adler auch auf mich zu", sagt Gerhard Brodowski. "Ich bleibe immer 200 bis 300 Meter von den Vögeln entfernt. Vor mir haben sie keine Angst mehr."

Gerhard Brodowski hat die Wilhelmsburger Adler schon beim Sonnenbaden beobachtet, dann klappen sie die Flügel auf. Er hat auch schon gesehen, wie sie "Wasserski" auf der Süderelbe laufen: Dann fangen sie einen Fisch, der noch flüchten will und dabei die Greifvögel durchs Wasser zieht. Die Jungvögel spielen am Elbstrand auch mit Kinderschaufeln und Quietscheenten. Sie schlafen auf ihrem Ansitz nebeneinander. Gerhard Brodowski geht davon aus, dass ein Junges ein Weibchen und einer ein Männchen ist.

Die Adlereltern holen sehr viele tote Fische aus der Elbe. Gegessen wird dann mit den Kleinen am Elbufer oder im Baum. Die großen Fische werden gleich am Ufer verspeist. Außer Fisch jagen die Adler Stockenten, Blesshühner, Gänseküken, Entenküken. Manchmal erwischen sie auch eine Krähe oder einen Bussard.

Anfang September wird das Bezirksamt Mitte das Heuckenlock wieder öffnen. Dann können die Adlerjungen schon selbstständig Beute fangen. "Die Leute dürfen die Wege aber nicht verlassen", sagt Brodowski. Die Altvögel, da ist sich der Vogelexperte sicher, werden nächstes Jahr wieder im Heuckenlock in Wilhelmsburg brüten - "weil es in diesem Jahr keine größeren Störungen am Nest gab". Die Jungvögel werden im Winter abwandern, spätestens mit Beginn der Balz im Februar 2013.