Die Organisation Ärzte der Welt steigt als Kooperationspartner in Wilhelmsburg ein. Viele Patienten aus Bulgarien

Die „Migrantenmedizin westend" in Wilhelmsburg wird ihr ehrenamtliches Hilfsangebot für Patienten ohne Krankenversicherung ausbauen. Ab Dezember arbeitet die Migrantenmedizin mit der international tätigen Organisation Ärzte der Welt zusammen. Die Leiterin der Migrantenmedizin, Melanie Stello, geht davon aus, dass in Zukunft auch Deutsche, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht krankenversichert sind, die Sprechstunde aufsuchen werden. Bisher sind es überwiegend Einwanderer aus Bulgarien. Deutlich nehme die Anzahl der Menschen aus Rumänien zu.

In Deutschland betreibt das Netzwerk Ärzte der Welt bisher Gesundheitsprogramme für nicht versicherte Patienten in München und für wohnungslose Menschen in Stuttgart. In Wilhelmsburg probiere Ärzte der Welt eine neue Kooperationsform aus, sagte der Präsident der deutschen Sektion, Heinz-Jochen Zenker, bei einem Empfang im westend. Die Migrantenmedizin ist eine Einrichtung der hoffnungsorte hamburg (früher: Stadtmission). Die internationale Organisation Ärzte der Welt hat im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben 316 Hilfsprojekte in 78 Ländern der Welt durchgeführt.

Ärzte der Welt wird sich an den laufenden Kosten der Migrantenmedizin beteiligen. In den nächsten Monaten nimmt der Ausbau der Hilfsangebotes im westend bereits Gestalt an: Die Migrantenmedizin wird zusätzlich um eine Sprechstunde nur für Frauen, voraussichtlich zweimal im Monat, und um eine Sprechstunde für Kinderpatienten an zwei Tagen im Monat erweitert. Das kündigte Melanie Stello bei dem Empfang zur Bekanntgabe der Zusammenarbeit mit Ärzte der Welt im westend an. Zusätzlich wird mit Susan Weichenthal eine Expertin der Evangelischen Auslandsberatung für die Aufnahme von Osteuropäern in die Krankenversicherung an einem Tag in der Woche in Wilhelmsburg sein.

Zwar ist die gesetzliche Krankenversicherung Teil des deutschen Sozialversicherungssystems und ist für alle Arbeitnehmer verpflichtend. Tatsächlich werde eine ärztliche Basisversorgung für immer mehr Menschen in Deutschland zum Problem. Mehr als 130.000 Menschen in Deutschland leben nach Angaben von Ärzte der Welt offiziell ohne Krankenversicherung. Tatsächlich dürfte die Anzahl deutlich höher sein, weil nicht alle Betroffenen bei den Behörden gemeldet sind.

Selbstständige können sich eine Krankenversicherung nicht mehr leisten und leben in großer Angst, krank zu werden. Unter ihnen sind Unternehmer, die hohe Schulden bei der Krankenkasse nicht mehr zurückzahlen können. „Unser Name Migrantenmedizin ist möglicherweise irreführend“, sagt Melanie Stello, „jeder, der keine Krankenversicherung hat, ist willkommen – natürlich auch jeder Deutsche.“

Der Internist Matthias Plieninger engagiert sich ehrenamtlich in der Migrantenmedizin westend. Von der Malteser Migranten Medizin weiß er, dass dort auch Deutsche im desolaten Gesundheitszustand die Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung aufsuchen würden.

Zurzeit stammen gut 80 Prozent alle Patienten der Migrantenmedizin in Wilhelmsburg aus Bulgarien. Ihnen bleibt oft nichts anderes übrig, als selbstständig oder schwarz zu arbeiten. „Die hier lebenden Bulgaren haben kein regelmäßiges Einkommen und verdienen meist so wenig, dass sie gar nicht erst in die Krankenversicherung gelangen können“, sagt Melanie Stello.

Wolfgang Gresch kennt das Elend der Einwanderer aus Bulgarien. Der Hals-, Nasen- und Ohrenarzt behandelt Patienten ehrenamtlich in der Migrantenmedizin westend. Seine Patienten kommen mit Asthma, Infektionen der oberen Lungenwege oder Ohrentzündungen zu ihm. Die Medikamente und Dolmetscherinnen werden aus Spendengeldern finanziert. Ohne das simultane Übersetzen wäre ein intensives Arztgespräch undenkbar, dennoch dauert die Behandlung deutlich länger als früher in seiner Praxis in Ostfriesland üblich. „Oft 30 Minuten oder länger pro Patient“, sagt Gresch. Bulgaren würden Schmerz oder Unwohlsein anders ausdrücken als deutsche Patienten, erklärt der Arzt. Mimik und Gestik seien bisweilen anders.

Im nächsten Jahr wird es den ehrenamtlichen Ärzten in der Migrantenmedizin westend schwerer gemacht, Menschen ohne Krankenversicherung zu helfen. Der Fonds für nicht versicherte Patienten werde Europäern, und damit den Bulgaren und Rumänen, nicht mehr offen stehen, sagt Melanie Stello. In Zusammenarbeit mit Ärzte der Welt will die Migrantenmedizin westend dokumentieren, dass weit mehr Menschen ohne ärztliche Basisversorgung auskommen müssen, als es die Behörden offenbar glauben. Ärzte der Welt setzt sich politisch für eine allgemein zugängliche Gesundheitsversorgung als Menschenrecht ein.