Wie der Schäfer Ast als Heiler berühmt wurde. Ein Film über sein Leben hat am 18. November in Winsen Premiere

Er musste vor Gericht, zahlte Strafen und saß sogar für zwei Monate im Gefängnis, weil er angeblich einen Jungen nicht richtig behandelt hatte. Und doch kamen Tausende von Menschen zu ihm, um sich heilen zu lassen. Sie vertrauen ihm und machten seinen Wohnort Radbruch mit gerade einmal 500 Einwohnern im gesamten Deutschen Reich bekannt. War Philipp Heinrich Ast oder Schäfer Ast, wie er genannt wurde, ein Kräuterkundiger, ein Heiler oder doch ein Scharlatan, als den ihn die Juristen im 19. und frühen 20. Jahrhundert einordneten? Eines ist klar: Er war ein Phänomen.

Diesem Phänomen nachzuspüren, hat sich nun der Asendorfer Filmemacher Jürgen A. Schulz zur Aufgabe gemacht. Er ging auf Spurensuche. Zunächst allein mit ein paar zeitgenössischen Postkarten in der Hand. Doch nach sechs Monaten Arbeit hat Schulz nun eine 48-minütige Produktion über den Mann vorgelegt, der 1873 im Alter von 25 Jahren nach Radbruch kam, dort heilte, reich wurde und bis zu seinem Tod 1921 blieb.

Nach Arbeiten über den Heidepastor Wilhelm Bode, Winsens Herzogin Dorothea und Goethes Freund Eckermann setzt Schulz mit dem Film seine Reihe zur Heimatgeschichte fort. Premiere wird am Dienstag, 18. November, im Winsener Marstall mit Landrat Rainer Rempe sein. Neben dem Kreis, dessen Schulen den Film kostenlos erhalten werden, haben die Stiftung der Sparkasse Harburg-Buxtehude und der Lüneburgische Landschaftsverband das Projekt gefördert.

Mit historischen Bildern und Filmausschnitten lässt Schulz das Leben des Schäfers lebendig werden – erzählt von einem Sprecher im Off und kommentiert von Experten. Zu ihnen gehören die Winsener Museumschefin Ilona Johannsen, der Radbrucher Dorfchronist Günter Schulze oder der Gärtner des Freiluftmuseums Kiekeberg, Matthias Schuh. Die beiden Winsener Juristen Albert Paulisch und Michael Herrmann verlesen als Amtsrichter Schulze sowie als Bürgermeister und Amtsankläger Gustav von Somnitz im Fall Ast gefällte Urteile. Durch ihn und seine Medikamente, so hieß es damals, bestehe eine „Gefahr gesundheitlicher Schäden“, er baue auf die „Leichtgläubigkeit der Menschen“ und sein „Treiben erfülle den Tatbestand des Betrugs“.

Ast stammt aus Gronau an der Leine, wo noch heute eine Straße nach ihm benannt ist. Vater, Großvater und Urgroßvater sind Schäfer. Er beginnt seine Lehre 1862 und vertritt später zwei Schäfer, als sie in den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ziehen. Ein Jahr später geht er nach Lüdersburg, wo sein Onkel Schafmeister beim Baron von Spörcken ist. Es folgt die Hochzeit mit Anna Dorothea Ahlers am 26. Dezember 1873 im Bardowicker Dom. Das Paar lässt sich in Radbruch nieder, wo noch heute mit Jörg Keller und seiner Familie Nachkommen des Schäfers leben.

Schon zu dieser Zeit ist bekannt, dass er Tiere sicher heilen kann. Doch obwohl er zuerst nicht einmal Honorar für seine Dienste nimmt, gibt es erste Neider. Denn der Schäfer spricht kein Radbrucher Platt. Niemand aus dem Dorf will ihm Geld leihen, als sein späteres Wohnhaus Abbauerstelle 58 zum Verkauf steht. Schließlich springt Peter Wilkens aus Stelle ein, für den er zuvor ein wertvolles Pferd kuriert hat. Es ist der Beginn einer langjährigen Freundschaft. Von 1888 bis zu seinem Tod lebt Ast in dem neu erworbenen Haus in Radbruch.

Seine Heilmethode ist einfach. Er schneidet seinen Patienten Haare aus dem Nacken, stellt danach ein Diagnose und verschreibt Medikamente, die aus Kräutern der „Apotheke Gottes“, also aus der Natur, zusammengemischt werden. Bis zu 1000 Patienten am Tag bringen die seit 1848 verkehrenden Züge in den kleinen Heideort. Sogar der deutsche Kaiser Wilhelm I. soll eine seiner Locken zur Analyse geschickt haben.

In Radbruch profitieren die Bewohner von dem Andrang der Patienten. Die Einheimischen vermieten Bänke, Stühle und Betten, wenn die Patienten an einem Tag nicht mehr untersucht werden können und bleiben müssen. In der „Blechkiste“ und in dem heute noch existierenden Gasthaus „Sasse“ spielen die Besucher abends bei Bier und Korn Skat, während ihre Gastgeber die Einnahmen zählen. Der Komponist Karolus Wahlstedt schreibt den Schäfer-Ast-Marsch „Auf nach Radbruch“, der auch bei den geplanten Vorstellungen des Films (siehe Info rechts) zu hören sein wird. Der Schäfer avanciert zum größten Steuerzahler im Landkreis.

Gemeinsam mit dem Apotheker Theodor Meinecke schafft es Ast schließlich, den Juristen ein Schnippchen zu schlagen. Zwar sind die gegen ihn angestrengten Prozesse eine gute Werbung für ihn. Allerdings muss er auch Bußgelder zahlen. Schließlich gibt Ast den Patienten nach der Behandlung nur noch einen Zettel mit einer Nummer mit, die sie bei der Winsener Apotheke abgeben können. Der Apotheker schlägt dann in einem Rezeptbüchlein nach, das Ast von seinem Vater geerbt hat und mischt das jeweils gewünschte Medikament. Das bringt auch Meinecke einen Boom in seinem Geschäft. Abends sitzen er, Wilkens und Ast oft in einem Kellergewölbe der Apotheke zusammen und genießen ihren wachsenden Wohlstand.

Wer in Winsens Innenstadt heute in die Alten Rats-Apotheke kommt, findet dort direkt im Verkaufsraum ein Gemälde vom Schäfer Ast. „Ja“, sagt die Inhaberin Rosemarie Schmidt, „Theodor Meinecke war mein Urgroßvater.“ Noch heute mischt die Apothekerin, die sich auf Homöopathie und Naturheilkunde spezialisiert hat, 19 Sorten von Medikamenten nach der Rezeptur von Ast. Dazu gehören Tropfen, Tees, Salben, Öle und Haarwasser. Zahlreiche örtliche Stammkunden ordern die Mittel, bestellt wird aber auch über das Internet. „Alles, was uns möglich ist, stellen wir her und erklären den Kunden, wie die Mittel angewendet werden können“, sagt Schmidt, die im Film zu sehen ist.

Ast ist Zeit seines Lebens von seiner Heilmethode überzeugt. Schließlich hat er auch ihm untergeschobene Haare von Tieren sofort identifiziert und mit seiner Ausstrahlung und Zuwendung zu den Patienten ihre Symptome zumindest lindern können. Seine Magentropfen wirken. Das hat ein von Filmemacher Schulz in einem Hamburger Labor in Auftrag gegebener Test ergeben. Johann Michael Bossard, einer der Vorfahren des Jesteburger Künstlers, heilte er innerhalb von vier Tagen von einer Bartflechte, unter der Bossard zuvor mehr als ein Jahr gelitten hatte. Ast stirbt in der Nacht zu Montag, dem 15. August 1921, und wird nach der Trauerfeier im Dom auf dem Friedhof von Bardowick beigesetzt. Den Findling dort hat er sich noch selbst ausgesucht.

Das Phänomen Ast, es ist bis heute nicht geklärt. „Aus Haaren lässt sich keine Krankheit herauslesen. Medizinisch ist die Methode nicht haltbar“, versichert der Dermatologe Professor Volker Steinkraus im Film. „Asts Ausstrahlung war aber offenbar stark und er hat sich sehr um seine Patienten bemüht.“ Egal was es war, noch heute sind viele froh, wenn ihnen die Mischungen des Schäfers helfen können.