Immer mehr Frauen ziehen als Wandergesellen durch die Welt. Am Kiekeberg arbeiten vier von ihnen über den Sommer

Männer in weiten Schlaghosen und mit breitkrempigem Hut sieht man immer mal wieder auf der Straße. Aber Frauen auf der Walz? Junge Gesellinnen auf Wanderschaft sind immer noch deutlich in der Minderheit. Es kommt selten vor, dass lockige Mähnen unter den traditionellen Hüten hervor gucken. Doch die Zahl der weiblichen Gesellen auf Tippelei nimmt zu.

Pia, 28, aus Minden hat auf ihrer Tour von der Schweiz bis zum Nordkap mehrfach Frauen angetroffen. Auch jetzt, als sie Station im Freilichtmuseum am Kiekeberg macht, ist sie nicht allein. Zwar sind die männlichen „Kameraden“ immer noch deutlich in der Überzahl, aber die Gesellinnen sind immerhin zu viert. Die Bedeutung der Wanderjahre ist für Frauen in den vergangenen Jahren gestiegen. Zurzeit sind etwa 500 Gesellen auf der Walz, davon sind zehn Prozent Frauen. In ihrem Handwerk jedoch nimmt Pia eine Vorreiterrolle ein. Sie ist die einzige Konditorin, die derzeit auf Wanderschaft ist.

Das Freilichtmuseum nimmt Wandergesellen zum ersten Mal auf. Der Impuls kam von zwei Männern auf der Walz. Sie sprachen Urs Büttner an, ob ein Stopp im Museum möglich wäre, als der Bäckermeister im vergangenen Jahr einen Vortrag hielt. Büttner war selbst lange Jahre in den 1990er-Jahren auf der Walz. Klar, dass er den Stopp im Museum einfädelte.

Gegen Kost und Logis unterstützen die Frauen und Männer das Museumsteam im Sommerspaß. Sie testen den Lehmbackofen aus, gießen Zucker, modellieren Marzipan. Auch die Schreiner und Tischler sind eine große Hilfe. Ein Maurer setzt die Natursteinmauer am Hühnerstall wieder auf.

Vor Pia liegen vier Wanderbücher. In jedem Buch muss sie noch eine Seite füllen. Denn einige der Gesellen verlassen das Freilichtmuseum wieder. Sie gehen nicht gerne, bevor nicht ein paar Worte über ihren Stopp im Freilichtmuseum in ihrem Wanderbuch stehen – als Nachweis für ihre erfolgreiche Tippelei. Da Pia das Treffen am Freilichtmuseum organisiert hat, ist sie diejenige, die ein paar nette Worte hineinschreibt. Ihren Nachnamen verrät die Gesellin nicht. Den hat sie für die Zeit ihrer Wanderschaft abgelegt. „Pia, fremde frei reisende Konditorin“, sagt sie, als sie sich mit einem festen Händedruck vorstellt.

Am 4. April 2013 hatte Pia ihren Heimatort Minden verlassen. Ihre Wanderschaft begann sie wie jeder andere Geselle, der auf die Walz geht: Sie kletterte über das Mindener Ortsschild. Ein Brauchtum, um den Abschied von Familie und Freunden zu zelebrieren. Mindestens drei Jahre lang und einen Tag dauert die Wanderschaft. In dieser Zeit darf Pia einen Bannkreis von 50 Kilometern um ihren Heimatort nicht betreten. Das gilt auch an den Weihnachtstagen. Ein schwerer Abschied, besonders für die Familie. Ein Trost aber bleibt: Pia kann ihre Mutter hin und wieder dort besuchen, wo sie Urlaub macht. Bislang hat Pia es quer durch Deutschland, bis in die Schweiz und zurück Richtung Norden nach Skandinavien geschafft.

So eine Wanderschaft ist nichts für Frauen ängstlicher Natur. Die Gesellinnen klopfen an Türen fremder Menschen, sie fragen, ob es einen freien Platz zum Übernachten gibt, da das Wetter das Schlafen im Freien nicht immer zulässt. Sie tummeln sich meistens in Kneipen, weil da die Chance am größten ist, auf Menschen zu treffen, die sie aufnehmen. Pia lernte klar und deutlich zu äußern, was sie möchte und was sie nicht möchte. „Unsere Devise ist: Eine Frage ist keine Klage“, sagt Pia. „Und wenn man kein gutes Gefühl hat, bei einem Fremden im Haus die Augen zuzumachen, geht man einfach.“ Bislang sei sie immer freundlich aufgenommen worden. Bis auf eine Ausnahme. Ein Norweger schien die Frage nach dem Schlafplatz misszuverstehen. Also verließ sie seine Wohnung einfach wieder. Es war kalt, es war mitten in der Nacht in Norwegen. Kaum stand sie wieder auf der Straße, sprach sie ein Pfarrer aus München an und bot ihr einen Schlafplatz an. Glück muss man haben.

Annika, 24, Schneiderin mit Scherenohrring – ihr Handwerkszeichen – drückt es anders aus: „Man wird geführt. Sobald man anfängt, die Dinge zu planen, funktioniert nichts mehr.“ Pia und Annika und die zwei anderen Gesellinnen Jule und Hanna sind Frauen, die starkes Selbstvertrauen ausstrahlen. Frauen, die mit sich selbst im Reinen sind. „Sonst kann man es auch nicht machen“, sagt Annika. Für die Frau aus Tübingen ist das Schlafen im Freien ohnehin am Schönsten. „Ich mag es, nachts von den Sternen zugedeckt zu werden“, sagt sie.

Schon aus Prinzip reisen die Frauen allein. Nur so lernen sie die Menschen und die Umgebung besser kennen. „Wenn wir zu zweit unterwegs sind, haben die Menschen Hemmungen, uns anzusprechen“, sagt Annika. Die Frauen bekommen auf ihrer langen Reise einen ganz anderen Blick auf die Gesellschaft. Meistens treffen sie auf Menschen, die von einem Termin zum anderen wechseln, das Handy fortwährend am Ohr. An einem Tag lernen sie einen Geschäftsführer kennen, am nächsten einen Hartz-IV-Empfänger. Eine Nacht schlafen sie im Bett, in der nächsten auf Steinen. „Größtenteils freuen sich die Menschen, uns zu sehen und an ihrem Leben teilhaben zu lassen“, sagt Annika.

Die Frauen sind Freireisende auf Wanderschaft. Sie gehören also keinem der Schächte, Vereinigungen der Handwerker, an. Die Unterschiede sind ähnlich wie im Fußball. Den kann man auch spielen, ohne einem Verein anzugehören. So ist es auch mit den Freireisenden. Einem Schacht sind sie nicht beigetreten, aber die Regeln auf der Walz gelten für sie genauso.

Nur wer ohne Schulden ist, darf aufbrechen. Die Voraussetzungen sind: Keine Vorstrafe, unverheiratet, kinderlos und jünger als 30. Die 50 Kilometer ihres Bannkreises müssen sie zu Fuß zurücklegen. Danach dürfen sie trampen. Öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn nutzen sie nicht. Die Frauen tragen die traditionelle Handwerkskluft – weite Schlaghose, Weste, Jackett und Hut. Auch der knorrige Wanderstab gehört dazu. Klamotten zum Wechseln verstauen die Wandergesellen im Charlottenburger. Die ersten Monate werden die jungen Reisenden von Gesellen begleitet, die schon mindestens ein Jahr auf der Walz sind. Von ihnen lernen sie, wie sie Arbeit finden, wie sie trampen und wie sie einen Schlafplatz finden.

Die Gesellen bleiben nicht länger als drei Monate an einem Ort und arbeiten, bevor sie weiterziehen. Ein Prinzip dabei ist, nicht unter dem ortsüblichen Lohn zu arbeiten. „Wir sind ja ausgebildete Gesellen und wollen uns nicht unter Wert verkaufen“, sagt Annika. So verhindern die Frauen auch, dass die Schwarzarbeit gefördert und anderen Handwerkern womöglich die Arbeit weggenommen wird. Annika hat in ihrer einjährigen Wanderschaft norwegische Trachten genäht, Lederwesten hergestellt und auch bei einer Modistin gearbeitet. So lernte sie viele Techniken und Betriebsstrukturen kennen.

Meistens steht am Ende der Wanderschaft die Selbstständigkeit. Das erwägen zumindest alle vier Frauen. Pia und Annika genauso wie die Landwirtin Jule, 29, aus Utenbach wie auch Hanna, 23, Schreinerin aus Waldbronn. Es wäre nicht das erste Mal, dass aus Wandergesellen erfolgreiche selbstständige Handwerksmeister werden.