Bei „Velo 54“ wird es auch Freifunk und eine Hundedecke geben. Die Betreiber sehen sich als Teil der Nachbarschaft

Wilhelmsburg. Beinahe jeder hat die Erinnerung aus der Kindheit: Fahrradläden waren Schrauberhöhlen. Gummiduft lag in der Luft. Fahrräder standen und hingen so dicht beieinander, dass man vor lauter Speichen die Fenster nicht mehr sah. Das in Wilhelmsburg neu eröffnete Fahrradgeschäft „Velo 54“ dagegen erinnert eher wie eine Galerie und eine Designer-Boutique – so viel Raum schenken die jungen Betreiber Hannes Leitner, 31, und Andreas Frey, 32, ihrer Ware.

Das einzelne Velo, französisch für Fahrrad, wirkt hier wie ein drapiertes Kunstwerk. Somit ist eine Parallele zu dem Vormieter unverkennbar. In dem denkmalgeschützten Haus der SAGA/GWG mit der auffallend grünen Fassade an der Veringstraße 54 hatte der Künstler Gerhard Bär eine Werkstatt eingerichtet und aus Plastikabfällen wie Shampooflaschen und Nudelverpackungen Möbel gebaut.

Hemmungen, den galerieartigen Fahrradladen zu betreten, braucht niemand zu haben. Die beiden Betreiber leben seit einigen Jahren auf den Elbinseln und verkörpern das Lebensgefühl des Stadtteils – authentisch und ohne Allüren eben. „Wir mögen das Viertel“, sagt Andreas Frey, „ich brauche mir keine Gedanken machen, wenn ich ich morgens in Jogginghose zum Bäcker gehen.“ Es sei alles „etwas echter“ in Wilhelmsburg.

Hannes Leitner und Andreas Frey sind erfahrene Schrauber. Die beiden Freunde haben zuvor in dem Fahrradgeschäft von Dieter Leitner in Ahrensburg das Handwerk gelernt. Hannes ist der Sohn des früheres Radsportlers und dreifachen Deutschen Meisters. Dieter Leitner fuhr bei den Straßenweltmeisterschaften 1967 mit der deutschen Mannschaft auf Rang vier. Auch Sohn Hannes ist Amateur-Radsportler.

Andreas Frey ist in Ostfriesland aufgewachsen und schraubt seit dem Kindesalter an Fahrrädern. Das sei auf dem flachen Land lebenswichtig gewesen, scherzt er: „Ich weiß, was es bedeutet, das Rad sechs bis sieben Kilometer zu schieben, wenn man mal eine Panne hatte.“

Die beiden Existenzgründer lieben es, mit dem Werkzeug Fahrräder wieder in Schuss zu bringen. Niemand brauche ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er ein in Supermärkten oder Warenhäusern gekauftes Rad bei ihnen zur Reparatur bringe. Hannes Leitner geht davon aus, dass der Reparaturservice den größten Anteil am Gesamtumsatz seines Fachhandels haben wird. Dass viele Menschen ihr Fahrrad beim Discounter kaufen und anschließend im Fachhandel reparieren lassen, begreift Hannes Leitner als Chance. „Aldi ist keine Konkurrenz für uns“, sagt er.

Hannes Leitner sieht den kleinen Fahrradfachhandel im Aufwind. Gründe dafür seien das wachsende Gesundheitsbewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung und die Umweltpolitik. In den Großstädten sei das Fahrrad grundsätzlich auf dem Vormarsch, sagt der 31-Jährige.

Wilhelmsburgs neuer Fahrradladen „Velo 54“ liegt inmitten des Reiherstiegviertels. Viele Studierende leben inzwischen hier – eine Klientel, die meist Rad fährt. „Die Leute, die hierher ziehen, kommen aus Stadtteilen, in denen das Fahrrad etabliert ist“, sagt Andreas Frey. Deshalb ist er von der Standortwahl des Fahrradladens überzeugt, der dazu noch direkt an der Veloroute 11 liegt, einen Radwanderweg, der vom Hamburger Rathaus bis nach Harburg führt. Es sei höchste Zeit gewesen, den Fahrradladen in Wilhelmsburg zu eröffnen, sagt Hannes Leitner. Sonst hätten es andere getan.

„Velo 54“ bietet sogenannte Baukasten-Räder an. Das sind individualisiert zusammengesetzte Wunschfahrräder: Schaltung, Lichtmaschine, die Farbe – alles nach dem Geschmack des Kunden. Leitner und Frey setzen auf Leute, die ein zuverlässig funktionierendes Alltagsrad wollen. Zielgruppen sind junge Familien und – bei der Familiengeschichte - natürlich Radsportler. Die Gründer planen auch, Lastenräder anzubieten und Kinderhänger zu verleihen.

Auf den Verkauf von Gebrauchträdern will „Velo 54“ verzichten. Der neue Händler will die beiden existierenden Händlern auf der Elbinsel den Markt nicht streitig machen. „Wir begreifen uns als Teil des Viertels“, sagt Hannes Leitner. Das zeigt sich auch darin, dass „Velo 54“ eine Hundedecke vor der Tür haben und Internet-Freifunk anbieten wird. Und beim Musikfestival „48 h Wilhelmsburg“ wir der Laden auch Bühne für ein Schaufensterkonzert sein. Die jungen Fahrradhändler scheinen eine sensible Antenne für die Nachbarschaft zu haben: 450 Menschen kamen am Eröffnungstag zu Besuch.