Am Aschermittwoch war alles vorbei. Helau- und Alaaf-Rufe sind verstummt. Tonnen von Kamellen verzehrt. Das feucht-fröhliche Treiben zu Ende.

Die Passions- und Fastenzeit hat begonnen. 40 Tage dauert sie bis zum Karsamstag. Als Zeit der inneren Vorbereitung auf Ostern. Vorbild für die 40 Tage sind biblische Geschichten. Jesus hat 40 Tage in der Wüste gefastet. Die Wüste, der Ort des Hungers und der Dürre, aber auch der Ort tieferer Erkenntnis. Mose war 40 Tage auf dem Berg in der Wüste Sinai, ehe er die Tafeln mit den zehn Geboten empfing. Das Volk Israel wanderte 40 Jahre durch die Wüste, bis es ins gelobte Land kam.

Die Tradition des Fastens ist alt. Im Mittelalter gab es feste Fastenregeln: kein Fleisch essen, keine Milchprodukte. Die wurden erst 1486 erlaubt. Alkohol nur in der Biersuppe. Es wurde viel mehr gefastet als heute, an 130 Tagen im Jahr. Das hatte auch simple wirtschaftliche Gründe. Denn im Frühjahr und im Advent waren die Lebensmittel knapp. Der religiöse Sinn lag immer in Einkehr, Selbstprüfung und Buße.

In allen Religionen und Kulturen gibt es Fastenzeiten. Herausgehoben aus dem Alltag gelten sie als heilige Zeiten. Die Muslime feiern in diesem Jahr Ramadan vom 28. Juni bis zum 27. Juli. Sie essen nur zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.

Das ist eine starke Herausforderung, wenn Ramadan, das wegen des Mondjahres durchs ganze Jahr wandert, wie in diesem Jahr im Sommer liegt. Denn Fasten bedeutet für sie auch nichts zu trinken.

Fasten ist wieder ein Thema. Weitgehend ist es Teil einer bewussten Ernährung, der Entschlackung des Körpers und einer Wellness-Kur. Verständlich in den Zeiten von steigendem Gesundheitsbewusstsein, von Übergewicht und Diätangeboten. Der Wille, gesünder zu leben, ist das eine Motiv. Das andere ist die Absicht, sich selbst zu unterbrechen im Dauerlauf und vom Karussell des Alltags einmal abzuspringen.

1983 wurde die Idee der Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“ in Hamburg erfunden. An einem Stammtisch für Journalisten. Mein Freund und Kollege Hinrich C.G. Westphal hat sie propagiert. Journalisten griffen sie begeistert auf. „Sieben Wochen ohne“ auf eigentlich Überflüssiges verzichten: auf Schokolade, Alkohol, Rauchen, Fernsehen. Verzicht als Gewinn neuer Erfahrungen und eigener Freiheit. Ohne Vorschriften und Zwang, freiwillig und aus Einsicht. Gut evangelisch als Einladung zum Mitmachen. Als Weg zur Selbstbesinnung. Als Erfahrung, was ich wirklich zum Leben brauche. Sich freiwillig selbst einschränken, um die eigene Freiheit von Überflüssigem und Belastendem zu entdecken.

Die Aktion hat sich weiter entwickelt. Bundesweit nehmen gut drei Millionen Menschen daran teil. Es geht schon lange nicht mehr nur um Süßigkeiten und Bier. Das Motto der diesjährigen Aktion geht in die Richtung von „Sieben Wochen anders leben.“ Es lautet: „Selber denken – ohne falsche Gewissheiten“. Eine Einladung, nachzudenken über sich selbst. Mit Mut, Gewohnheiten und Traditionen in Frage zu stellen. Im Beruf, in der Familie, in der Kirche. Für jede der sieben Wochen gibt es einen Denkanstoß und Texte. Sie lauten: „Selber denken – keine Denkverbote akzeptieren, Freude an Denk-Abenteuern haben. „Selber suchen“ – nicht alles, was man sieht, hört, liest, für bare Münze nehmen. „Selber reden“ – selbstbewusst die eigene Meinung vertreten. „Selber handeln“ – runter von der Zuschauertribüne und etwas auf die Beine stellen. „Sich selber prüfen“ – damit ich morgens nicht vor dem Spiegel erröten muss. „Selber bekennen“ – keine Glaubenssätze schlucken oder nachplappern. „Selber leuchten“ – damit es in mir und anderen nicht dunkel bleibt, sondern heller wird. Dafür gibt es einen Wochenkalender zu den Wochenthemen und drei Fastenbriefe. (Zu bestellen über E-Mail: bestellung@7-Wochen-Ohne.de).

In der evangelisch-lutherischen Nordkirche ist eine eigene Aktion gestartet: „Sieben Wochen mit Produkten aus Fairem Handel und der Region“. In kircheneigenen Häusern und Heimen gibt es schon lange regionale und ökofaire Verpflegung. Zu trinken gibt es statt Orangensaft Apfel- und Johannisbeersaft aus Schleswig-Holstein. Glasflaschen mit Wasser haben Plastikflaschen ersetzt. Biofleisch ist zu teuer für den oft schmalen Wirtschaftsplan. Fleisch wird bei dem ortsnahen Schlachter gekauft. Ohne Kompromisse geht es nicht.

Die diesjährige Fastenaktion des katholischen Hilfswerks „Misereor“ hat als Leitwort „Mut zu geben, wenn alle nehmen.“ Auch ein Denkanstoß, gegen den Strom zu schwimmen. Das kluge Sprichwort sagt: „Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen.“

Und für alle Gestressten, Pausenlosen, alle Dauerläufer ein weiterer Denkanstoß. Auch für alle, die meinen, immer effektiv, erfolgreich, oben, gut und besser sein zu müssen empfehle ich eine Geschichte von einem, der auf der Jagd war. Sie ist über 700 Jahre alt:

„Der große Mönchsvater Antonius lebte mitten in seiner Mönchsgemeinde am Rande der oberägyptischen Wüste. Einmal hatte er seine Mönche um sich versammelt, nicht zum Gebet, nicht zur Buße, nicht zum Gottesdienst, sondern einfach zu einem geselligen Beisammensein, zu einem gemütlichen Plausch. Da kommt ein Jäger vorbei und wundert sich: „Da sieht man es mal wieder, typisch Mönche, stehen faul herum und arbeiten nicht.“ Antonius kommt mit ihm ins Gespräch und fordert ihn auf, einmal seinen Bogen zu spannen. Der Jäger gehorcht. „Viel zu wenig!“ ruft Antonius, „noch mehr spannen!“ Der Jäger folgt einer zweiten und dritten Aufforderung, dann weigert er sich: „Wenn ich noch mehr spanne, zerbricht der Bogen.“ – „Genauso ist es mit dem Menschen“, sagt Antonius, „Wenn er seine Kräfte übermäßig anspannt, dann zerbricht er. Er muss entspannen, um sich anspannen zu können.“

Helge Adolphsen war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 Hauptpastor am Hamburger Michel. Er hatte das Amt 18 Jahre lang inne.