Migranten Elternbund Harburg lädt 250 Muslime und Christen zum gemeinsamen Fastenbrechen ins Bürgerzentrum Feuervogel ein. Der Fastenmonat verlangt in diesem Jahr den Muslimen besonders viel ab.

Harburg. Eigentlich benötigt die Maschinenbaustudentin Sila Gencer gerade jetzt eine erhöhte Energiezufuhr. An der Technischen Universität Hamburg-Harburg stehen die Klausuren an. Die junge Deutsche türkischer Herkunft verzichtet im Fastenmonat Ramadan dennoch von frühmorgens bis spätabends aufs Essen und Trinken. "Ab 18 Uhr beginnt der Magen zu knurren, aber das ist kein Problem", sagt sie und lächelt. Leidend sieht die junge Frau wirklich nicht aus.

Dabei verlangt der Fastenmonat in diesem Jahr den Muslimen besonders viel ab. Bezogen auf die Zeitspanne zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, fällt er nämlich ungünstig. Da sich der islamische Kalender am Mond orientiert, verschiebt sich der Ramadan so, dass in diesem Jahr die Fastentage besonders lang sind. Sie haben am 9. Juli begonnen und enden am 8. August. Und weil beim islamischen Fasten während des Tages nicht einmal Wasser getrunken wird, sind die Temperaturen um die 30 Grad in Hamburg eine besondere Herausforderung.

Niemanden wundert es, dass praktizierende Muslime das Fastenbrechen, so heißt das Essen am Abend, besonders herbeisehnen. Gruppenmahlzeiten sind dabei guter Brauch: Familien laden sich gegenseitig ein. Islamische Gemeinden organisieren Mahlzeiten.

Am Sonnabend, 3. August, kommt es im Phoenix-Viertel im Stadtteil Wilstorf zu einem besonderen Fastenbrechen. 200 bis 250 Menschen erwartet der Migranten Elternbund zu einem interkonfessionellen Mahl im Bürgerzentrum Feuervogel. Harburgs Bezirksamtsleiter Thomas Völsch wird ein Grußwort sprechen. Das Phoenix Center, das Einkaufszentrum in der Nachbarschaft, tritt als Förderer auf und bezahlt die Saalmiete. Türkische Unternehmer aus dem Quartier und der Migranten Elternbund finanzieren das Essen, das für alle Teilnehmer kostenlos ist. Gerade der kleine Verein mit seinen 30 Mitgliedern strapaziert dafür seine Kasse auf das Äußerste.

Organisatorin ist Elisabeth Can, die Vorstandsvorsitzende des Migranten Elternbundes. Die 75-Jährige ist in Harburg geboren, hat zehn Jahre in der Türkei gelebt und ist 1980 wieder in das Phoenix-Viertel in Wilstorf zurückgekehrt. In ihrem Fenster hängt eine deutsche Flagge, auf dessen roten Streifen ein roter Halbmond steht - ein sichtbarer Appell für gelebte Integration.

Im Jahr 2004 hatte der zwei Jahre früher gegründete Migranten Elternbund zum ersten Mal ein öffentliches Fastenbrechen in Harburg veranstaltet - damals noch im Gemeindezentrum der evangelischen St.-Trinitatis-Gemeinde an der Bremer Straße. "Wir Muslime in Deutschland wollten zeigen, dass wir eine andere Religion und andere Feiertage haben", erinnert Elisabeth Can den Gründungsgedanken. Gemeinsame Mahlzeiten am Abend während des Ramadan seien damals geschlossene Gesellschaften gewesen, innerhalb eines Vereins oder einer Familie. "Wir haben das Fastenbrechen in die Öffentlichkeit getragen. Als erste in Harburg", sagt Elisabeth Can.

90 Prozent der Gäste werden Muslime sein, schätzt die Organisatorin. Sie stammen ursprünglich aus der Türkei, Ägypten, Bangladesch oder Tunesien - und sie alle sind im Hunger vereint. Man wird sich kennen, denn die meisten Gäste kommen aus der Nachbarschaft, dem Phoenix-Viertel.

Im Stadtteil Wilstorf leben mehr als 16.000 Menschen, davon haben 5300 einen Migrationshintergrund. In dem Nationenschmelztiegel verbreitet sich die Einladung zu dem großen Fastenbrechen im Bürgerzentrum des Quartiers per Mundpropaganda von Nachbar zu Nachbar. Etwas Kopfzerbrechen bereitet Elisabeth Can lediglich, dass der Fastenmonat in diesem Jahr ausgerechnet in die Urlaubszeit fällt. Viele aus dem Viertel seien in die Türkei gereist und zum Sonnabend möglicherweise noch nicht zurück, sagt sie.

Ab 20.30 Uhr kommen die Menschen im Bürgerzentrum Feuervogel an der Maretstraße zusammen. Das Mahl beginnt erst exakt um 21.21 Uhr. Ein spezieller Kalender legt für den Ramadan fest, wann genau an welchem Ort die Zeit des Fastenbrechens beginnt. Selbst verschiedene Städte in Deutschland haben an demselben Tag unterschiedliche Anfangszeiten. Zwischen Hamburg und München könnten bis zu 20 Minuten Differenz liegen, sagt Elisabeth Can. Der Imam der DITIB Türkisch-Islamischen Gemeinde Harburg wird um 21.21 Uhr ein Gebet sprechen - voraussichtlich auch in deutscher Sprache. Anschließend beginnt das Mahl wie es Tradition ist mit einer Dattel und einem Glas Wasser. Anschließend kommen eine rote Linsensuppe, Salat, Reis und Fleisch auf den Tisch. Als Dessert gibt es eine türkische Süßigkeit oder Wassermelone. Ab 22 Uhr werden sich die gläubigen Muslime zum Gebet in die benachbarte Moschee zurückziehen.

"Das Fastenbrechen ist eine islamische Veranstaltung. Aber jeder darf kommen", sagt Elisabeth Can. Auch den Christen der benachbarten evangelischen Trinitatisgemeinde hat sie eine Einladung ausgesprochen. Im Phoenix-Viertel habe sie den Eindruck, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung kein Interesse an der Integration ihrer ausländischen Nachbarn habe. "Ich musste dafür kämpfen, dass türkische Mütter einen Kindergartenplatz erhalten, auch wenn sie keinen Arbeitsplatz haben", sagt Elisabeth Can. Behörden hätten sich zunächst quergestellt.

Der Bezirk Harburg zollte dem Engagement Anerkennung und verlieh im Jahr 2009 dem Migranten Elterbund den Integrationspreis. Elisabeth Can, sie arbeitete früher als Übersetzerin in der Wirtschaftsbehörde, unterrichtet zehn bis 15 Kinder aus Migrantenfamilien im Phoenix-Viertel in Deutsch und Englisch.

Auch Sila Gencer engagiert sich trotz Studiums ehrenamtlich in ihrem Quartier: Die Maschinenbaustudentin gibt Kindern dort nachmittags Nachhilfe in Mathematik - selbst wenn der Magen knurrt.