Kreisausschuss übt scharfe Kritik an unbesetzten Stellen in der Tostedter Jugendhilfe. Verwaltung will Verantwortung auf freien Träger übertragen.

Tostedt. Den Jugendjargon beherrscht Gülges Müller, 38, perfekt. "Alles schick?", fragt sie, wenn Jugendliche das Jugendzentrum in Tostedt betreten und begrüßt sie per Handschlag. Am Mischpult im Veranstaltungsraum des Tostedter Jugendzentrums kann sie mühelos mit den rappenden Jugendlichen, die sich "Digger" nennen, mitdiskutieren. Die Frau mit gewelltem Haar und Brille weiß, wer die Urversion der Lieder, die aus den Boxen dröhnen, gesungen hat und wann. Wenn die Jungen einen dummen Witz machen, knufft sie sie in die Seite. Sie lacht mit ihnen, plaudert mit ihnen. Beobachtet man sie in ihrem Alltag, dann weiß man, wie nah sie dran ist an den Jugendlichen.

Doch eigentlich sollte sie viel weiter weg sein, ganz im wörtlichen Sinne. Eigentlich sollte sie eine Etage höher sitzen und sich ausschließlich um sechs- bis elfjährige Kinder kümmern. Ihnen etwas zu essen geben, bei den Hausaufgaben helfen und basteln. Diesen so genannten "Pädagogischen Mittagstisch Töster Füchse" zusammen mit ihrer Kollegin Tanja Brant, 52, zu betreiben, war ihre eigentliche Aufgabe. Dafür sind die Frauen vor fünf Jahren angestellt worden. Weil aber die Grundschulkinder zufällig auch im Jugendzentrum betreut werden, sind die Frauen in die Jugendarbeit "hineingerutscht", wie der Erste Samtgemeinderat Stefan Walnsch sagt.

Hinein in eine Lücke, die in der Tostedter Jugendarbeit schon länger klafft. Die vorgesehenen 2,25 Stellen für pädagogische Fachkräfte sind nicht besetzt. Seit April 2010 gibt es keinen Jugendpfleger in Tostedt. Seit Oktober 2012 arbeitet kein hauptamtlicher Pädagoge mehr am Jugendzentrum. Dafür sind Gülges Müller, von Beruf Krankenschwester, und ihre Kollegin Tanja Brant, die in Russland als Lehrerin gearbeitet hat, eingesprungen und haben die kommissarische Leitung des Jugendzentrums übernommen. Die Aufgaben des Jugendpflegers leisten derzeit die Mitarbeiter des Familienservicebüros.

Für diesen Zustand haben Politik und Landkreisverwaltung der Samtgemeinde Tostedt jetzt eine Ohrfeige verpasst. "Tostedt ist die einzige Gemeinde im Landkreis Harburg, die in der Jugendarbeit hinterher hängt, und sie jetzt mit Honorar- und Hilfskräften aufrecht erhält", sagte Kreisjugendpfleger Franz Schaffeld im Kreisjugendhilfeausschuss. "Es wäre vor allem auch vor dem Hintergrund der rechtsextremistischen Erscheinungen sehr wichtig gewesen, dass die vertraglich zugesicherte Stellenbesetzung eingehalten wird. Die Entwicklungen in den ostdeutschen Ländern zeigen deutlich, welche Auswirkungen die Vernachlässigung von offener Jugendarbeit mit sich bringt", heißt es in einem Bericht vom Landkreis Harburg über die Wahrnehmung von Jugendhilfeaufgaben im Jahr 2011, der in dem Ausschuss besprochen wurde.

Auch nachdem der Rechtsextremist Stefan Silar seinen Streetwear-Laden geschlossen hat, gilt Tostedt als ein Ort, in dem sich die rechte Szene konzentriert. "Die rechtsextremistische Klientel in Tostedt hat sich ja nicht aufgelöst. Sie ist noch vorhanden. Die Rechtsextremisten treffen sich jetzt nur privat", sagt Anke Klein, Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Vor diesem Hintergrund übten einige Mitglieder des Jugendhilfeausschusses scharfe Kritik. "Das ist ein Armutszeugnis", sagte Elisabeth Meinhold-Engbers von Bündnis 90/Die Grünen. "Was braucht Tostedt noch, damit es dort endlich funktioniert?"

Die Tostedter Verwaltung begründet die unbesetzten Stellen mit dem andauernden Ausschreibungsverfahren und verweist darauf, dass noch die Angebote freier Träger geprüft werden müssten. Eben diese Übertragung der Jugendhilfe auf einen freien Träger war die jüngste Idee der Verwaltung, um aus dem Dilemma herauszukommen.

Neben der evangelischen Jugendhilfe Friedenshort in Tostedt und dem Sozialwerk Tostedt, die bereits ihre Ideen vorgetragen haben, ist derzeit die Rese-Fabrik mit der Vorbereitung eines Angebots befasst. Pastor Gerald Meier von der Johannesgemeinde Tostedt findet, die Verwaltung stiehlt sich mit der Überlegung, einen freien Träger einzuschalten, aus der Verantwortung. Andererseits verbindet Meier damit auch die Hoffnung, endlich eine positive Wende für die Jugendpflege in Tostedt herbeizuführen. Die Beziehungen zwischen Verwaltungsspitze und den bisherigen Jugendpflegern hat Meier als sehr belastet erlebt. Auch Peter Dörsam von den Grünen spricht von einem zerrütteten Verhältnis zwischen den ehemaligen Jugendpflegern und der Verwaltung.

Einer, der die Zusammenarbeit mit der Verwaltung als problematisch in Erinnerung behält, ist Michael Himmel, 55, Sozialpädagoge und Sozialmanager. Er war Jugendpfleger in Tostedt, fühlte sich aber in seiner Arbeit nicht ernst genommen. "Es wurde immer nur geschaut, wie viele Besucher das Jugendzentrum hat", sagt Himmel.

Vielfach sei der Vergleich mit einem Verein angeführt worden. "Dabei lassen sich einige Jugendliche nicht in die Vereinsarbeit einbinden. Das Prinzip der offenen Jugendarbeit, dass jeder, wann er möchte, ins Zentrum kommen kann, wurde nicht verstanden." Der Erste Samtgemeinderat Stefan Walnsch entgegnet: "Die Jugendarbeit hat einen sehr hohen Stellenwert in der Samtgemeinde Tostedt. Die Verwaltung und die zuständigen Ausschüsse wissen um die sehr große Bedeutung."

Die Krise der Jugendarbeit in Tostedt ist noch lange nicht ausgestanden. Jetzt muss die Verwaltung auf Wunsch der Politik noch selbst ein Konzept zur Jugendarbeit erstellen. "Wir arbeiten mit Nachdruck daran", sagt Walnsch. "Eines ist aber auch klar, wenn man die Jugendarbeit qualitativ aufwerten will, kostet es auch Geld." Bis das Konzept der Verwaltung vorliegt, tun Gülges Müller und Tanja Brant alles, um die Lücke hervorragend zu füllen. Gülges Müller steht im ständigen Austausch mit den Eltern, versucht Schulschwänzer wieder für die Schule zu begeistern. Dass sie zusammen mit Tanja Brant das Jugendzentrum längerfristig leiten könnte, scheint dennoch mehr als fraglich.

"Die beiden leisten sehr gute Arbeit, sind engagiert und motiviert bei der Sache", sagt Stefan Walnsch, Erster Samtgemeinderat, über die Damen.

Der Knackpunkt ist ihre fehlende Ausbildung. Weil sie weder eine sozialpädagogische noch eine psychologische oder jugendhilfespezifische Berufsausbildung mit Praxiserfahrung haben, kommen sie aus seiner Sicht nicht längerfristig für eine Leitungsaufgabe in Frage.

Gülges Müller würde sich am liebsten gar nicht zu dem Thema äußern. Wenn man sie nach ihrer Zukunft am Jugendzentrum fragt, zuckt sie nur mit den Achseln. "Ich hoffe nur, dass endlich nach einer adäquaten Lösung gesucht wird, und dass die Tostedter das Jugendzentrum nicht immer herunterreden. Das verletzt die Jugendlichen sehr."

Sie selbst würde nur mit Politik und Verwaltung im Rücken weitermachen. "Dann ist es auch keine verlorene Liebesmüh." Und diese Liebesmüh leistet sie jetzt Tag für Tag mit ihrer Kollegin Tanja Brant. Sie versucht, den Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen und sie zu akzeptieren, wie sie sind. Wie wichtig das ist, hat sie auch ohne besondere Ausbildung erkannt.