Dem Sinti-Mädchen und seiner Familie droht die Abschiebung. 389 Mitschüler und Lehrer wollen das verhindern

Hanstedt . Die Hauptschülerinnen und -schüler der Klasse 6 aH an der Oberschule Hanstedt sind irritiert: "Darf Gamze bleiben?", fragt Endira, 12, die Schulsozialarbeiterin Friederike Fürchtenicht, 28. "Da gibt es leider noch Fragezeichen", antwortet die Sozialpädagogin. "Wir sagen euch Bescheid, wenn wir Klarheit haben."

Gamze ist ein 12 Jahre altes Sinti-Mädchen aus Kocani in Mazedonien. Im Herbst vergangenen Jahres kam sie mit ihrem Vater Tahir Ademov, 39, ihrer Mutter Gjulten, 33, und ihrem Bruder Sahin, 2, nach Hanstedt in den Landkreis Harburg. Jetzt besucht Gamze die sechste Hauptschulklasse in der Oberschule. Wenn sie etwas nicht versteht, übersetzt ihr Mitschüler Dzenan, 13, auf Serbisch. Deutsch zu sprechen, fällt Gamze noch schwer, aber sie versteht schon ganz gut. Dafür spricht sie fließend Serbisch, Mazedonisch, Türkisch und Roma.

"Wir möchten, dass unsere Mitschülerin Gamze bei uns bleibt!", haben die Schüler der 6 aH in großen bunten Buchstaben aufgeschrieben. Denn Gamzes Familie ist von der Abschiebung bedroht. Ihr Asylantrag wurde bereits im November abgelehnt - ihre Klage hat das Verwaltungsgericht Lüneburg am 16. April zurückgewiesen. Jetzt ist Gamzes Familie nur noch "geduldet" im Landkreis Harburg. Im Dokument von Tahir Ademov steht: "Aussetzung der Abschiebung (Duldung). Kein Aufenthaltstitel! Der Inhaber ist ausreisepflichtig! Der Aufenthalt ist beschränkt auf den Landkreis Harburg."

So einen Fall hat Rektorin Susanne Graßhoff, 57, seit 21 Jahren an der Schule, noch nicht erlebt: Eine Schülerin könnte abgeschoben werden. Droht Gamze der Verlust ihrer neuen Schulfreunde und ihres neuen Umfeldes? Gamze leidet nach Übergriffen durch den Sohn des ehemaligen Vermieters in Mazedonien an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Deshalb ist sie seit ihrer Ankunft in Hanstedt in intensiver psychiatrischer Behandlung.

"Gamze ist ein liebes, freundliches, unauffälliges, aber aufgeschlossenes Mädchen, das trotz seiner fehlenden Deutschkenntnisse versucht, sich in den Pausen in Spiele seiner Mitschüler zu integrieren", sagt die Schulleiterin. "Ich habe sie als wissbegieriges Kind kennengelernt, das wir gerne weiter fördern möchten. Uns liegt am Herzen, dass Gamze durch die Therapien und ärztlichen Behandlungen wieder gesund wird und ein ganz normales Leben führen kann. Dafür wäre ein dauerhaftes Bleiberecht erforderlich."

Gamzes Mitschüler, Lehrer und Eltern zeigen sich solidarisch: 389 Unterschriften haben sie für das Mädchen gesammelt: "Tahir, Gjulten, Gamze und Sahin müssen in Hanstedt bleiben!" Die Unterschriften hat Erk Jessen, Integrationsberater der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Harburg-Land, einer Eingabe an die Härtefallkommission beim niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport beigefügt - sie soll die drohende Abschiebung der Familie Ademov verhindern.

Erk Jessen ist zuversichtlich, dass eine akute Abschiebegefahr für Familie Ademov jetzt erst einmal abgewendet ist: "Die Härtefallkommission wird umstrukturiert", sagt der Diplom-Sozialarbeiter. "Dadurch sollen mehr Flüchtlinge als früher eine Chance bekommen, ein Bleiberecht zu erhalten. Zahlreiche Nichtannahme- und Ausschlussgründe werden gestrichen."

Erk Jessen hat der Härtefallkommission nur Positives über die Familie Ademov geschrieben: "Nach nunmehr mehr als 20-jähriger Erfahrung als Integrationsberater glaube ich einschätzen zu können, bei wem mit einer positiven Integrationsprognose zu rechnen ist. Bei Familie Ademov bin ich mir sicher, dass sie einen wertvollen Beitrag für unser Gemeinwesen leisten wird. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn der Familie die rechtlichen Voraussetzungen zur Verfügung gestellt werden."

Familie Ademov wohnt derzeit in einer Zweizimmer-Obdachlosenwohnung in einer heruntergekommenen Flüchtlingsunterkunft an der Winsener Straße in Hanstedt.

Tahir Ademov hat das Grundstück gereinigt und aufgeräumt. Er hat mehrere Anhänger des Bauhofes mit Abfällen beladen. Das berichtet der Hanstedter Fachbereichsleiter für Ordnung und Soziales, Hans-Heinrich Schwanemann. Am Ende seines Berichts über die Familie hebt er hervor: "Nie zuvor habe ich erlebt, dass sich ein muslimischer Vater mit so viel Engagement und Liebe für seine kranke Tochter, für ein Mädchen, einsetzt."

Besonders bemerkenswert: Tahir Ademov ist der erste Beschäftigte seit mehr als einem Jahrzehnt, der gemeinnützig 20 Stunden pro Woche für den Hanstedter Bauhof arbeitet. Die Genehmigung erteilte der Landkreis Harburg. Tahir Ademov erhält dafür zusätzlich zu den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 1,05 Euro pro Stunde. "Sollte Herr Ademov eine Arbeitserlaubnis erhalten, hätte er sicherlich gute Chancen, in einem der örtlichen Garten- und Landschaftsbaubetriebe eine Beschäftigung zu finden", schreibt Hans-Heinrich Schwanemann.

"Ich möchte gerne in Hanstedt bleiben", sagt Tahir Ademov, der schon gut Deutsch spricht. "Hanstedt ist ein Dorf, ich will Arbeit finden und Geld verdienen. Ich möchte lernen, Deutsch zu lesen und zu schreiben. Meine Eltern sind tot, mein Bruder wohnt in Hamburg."

Der Landkreis Harburg gibt sich derweil diplomatisch und zurückhaltend: "Die Familie Ademov ist nach Ablehnung ihrer Asylanträge und der Zurückweisung der Klagen grundsätzlich ausreisepflichtig", sagte Sprecher Bernhard Frosdorfer dem Hamburger Abendblatt auf Anfrage. "Die Abschiebung der Familie droht zur Zeit aber konkret nicht. Wir warten die Entscheidung der Härtefallkommission ab und werden derzeit nichts unternehmen. Familie Ademov ist im Landkreis Harburg weiterhin geduldet."