Im kommenden halben Jahr wird täglich Kulturprogramm geboten: Filme, Lesungen und Konzerte

Vielleicht leben Totgesagte wirklich länger. Zumindest sieht es so aus, als habe das Rialto Kino am Vogelhüttendeich 30 in Wilhelmsburg zu seinem 100. Geburtstag ein zweites Leben geschenkt bekommen. Fast 30 Jahre lang rottete der Lichtspieltempel fest verschlossen vor sich hin, bis Stephan Reifenrath, 45, ein Hamburger Unternehmer mit Hang zu allem was alt, gebraucht aber noch von Wert ist, den maroden Bau Ende vergangenen Jahres vom Erben der früheren Besitzerin kaufen konnte.

Zusammen mit gut 100 freiwilligen Helfern steckte Reifenrath während der vergangenen vier Monate rund 1500 Arbeitsstunden in Gemäuer und Gebälk. Sponsoren spendeten Geld und Sachmittel, von Dachpappe bis Lichtschalter. Und von der Behörde kam die Genehmigung, ein halbes Jahr lang, bis zum 31. Oktober, im Rialto Kulturprogramm bieten zu können: Kino, Konzerte, Theater, Vorlesungen. Das Angebot richtet sich nicht nur an die Bewohner Wilhelmsburgs sondern auch die Besucher der in Wilhelmsburg laufenden Internationalen Bauausstellung "IBA" und der Internationalen Gartenschau "igs". Auch sie sollen nach den Vorstellungen Reifenraths ein Stück lebendig gewordenes altes Wilhelmsburg kennen lernen.

Mit Karacho begann die Wiedereröffnung des Rialto am Wochenende. Der Spielmannszug des SV Wilhelmsburg flötete und paukte "Ja, mir san mit'm Radl da" , als es im Gleichschritt von der Straße durch die Eingangstür in den Kinosaal hineinging. Mit den Worten "Oh, ist das schön", machte Reifenrath seinen Glückgefühlen Luft. Und von allen Seiten erntete er Schulterklopfen. "Habt ihr gut gemacht", hörten Reifenrath und seine vielen Helfer am häufigsten.

Der Kinosaal war mit seinen 241 Sitzplätzen zur Eröffnungsfeier ausgebucht. Fast so alt wie das 1913 gebaute Lichtspielhaus war der Film, der zur Feier des Tages über die Leinwand ging: "Das Cabinet des Dr. Caligari", ein Stummfilm von 1920, natürlich in Schwarz-Weiß. Aber was der Zuschauer nicht ahnte: Die Kinotechnik ist von heute, natürlich digital und wenn es der Film hergegeben hätte auch in 3D. Fast wie damals allerdings gab es zum stummen Film musikalische Begleitung. Stehgeiger Christoph Drave unterstrich die spannenden Momente des 71 Minuten dauernden deutschen Filmklassikers. Anschließend wurde bis Mitternacht gefeiert. Die Band "20vor8" spielte Swing, Balkan, Jazz und Klezmer.

Schon von Kindesbeinen an haben Karin Kasten, sie ist 79 Jahre alt und lebt seit 1966 in Köln, und ihre nach wie vor in Wilhelmsburg lebende 87 Jahre alte Schwester Friedel Rehding das Rialto Kino besucht. Und auf keinen Fall wollten sie sich die Wiedereröffnung des Hauses verpassen. "Ich erinnere mich noch an den Kartenverkäufer von damals", sagt Friedel Rehling. Und sie erinnert sich auch an einige der Filme, die sie im Rialto gesehen hatte, darunter "Die Sünderin" mit Hildegard Knef. Damals ein Skandalfilm, wegen einer kurzen Nacktszene. Karin Kasten ist wegen der Bauausstellung, der Gartenschau und der Kinoeröffnung von Köln zum Besuch der Schwester nach Wilhelmsburg gekommen. "Ins Rialto musste ich früher mit meinem Mann gehen, weil dort hauptsächlich Krimis und Western liefern, die er gerne sehen wollte. Ich mochte viel lieber die leichte Muse, Filme wie Grün ist die Heide. Deshalb ging ich auch ohne meinen Mann in die anderen Wilhelmsburger Kinos, ins Monopol oder in die Filmburg. Es ist wunderbar, dass wenigsten das Rialto die Zeit überstanden hat und ich die alten Räume wieder sehen kann. Es ist alles wie damals, die Stuckdecken, einfach herrlich".

Andreas Thedens aus Lüneburg wollte sich die Eröffnungsfeier nicht entgehen lassen. "Ich bin wegen des Films aber auch wegen des alten Kinos hier. Die Eröffnungsfeier wollte ich mir nicht entgehen lassen", sagt er. 17 Euro zahlte er für das Kombiticket bei Verkäuferin Franziska Sobotta für die Filmvorführung und die anschließende Feier. Katrin Heckmann ist gebürtige Wilhelmsburgerin und wohnt seit sechs Jahren in Uhlenhorst. "Meine Freundin gehört zum Team der freiwilligen Helfer", sagt sie, "nun bin ich auch total begeistert vom Rialto, und ich werde noch häufig herkommen und Freunde mitbringen."

Seit wenigen Jahren wohnen NDR-Techniker André Fellbaum und Kulturbehörden-Mitarbeiterin Kerstin Meyer im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel. Zur Kinoeröffnung war auch ihr Nachbar Daniel Rösler dabei, der bei einer Immobilienfirma in der HafenCity arbeitet und vor zwei Jahren von Berlin nach Wilhelmsburg gezogen war. "Wir wollen so oft wie möglich zu den Kulturveranstaltungen ins Rialto gehen und hoffen sehr, dass das Kino nicht nur das halbe Jahr sondern dauerhaft in Betrieb bleibt", sagt Kerstin Meyer. Alle sind vom Wohnen in Wilhelmsburg begeistert. "Durch die Insellage ist das ein Stadtteil für sich", sagt Fellbaum, das ist ein sehr angenehmes Wohnen für alle Altersgruppen mit einer fast ländlichen Umgebung." Nicht alle kamen zur Feier der Eröffnung ins Kino. Annika Friedrich aus Wilhelmsburg besorgte Karten für den kommenden Mittwoch. Dann wird der Film "Nordsee ist Mordsee" gezeigt. Regisseur Hark Bohm und Hauptdarsteller Uwe Bohm haben ihre Teilnahme angekündigt. "Ich freue mich schon riesig", sagt Annika Friedrich. Eine Karte will sie zum Geburtstag verschenken.

Im Kino gibt es neben der nostalgischen Kassenbude wie früher auch einen Tresen an dem Eis, Süßigkeiten und Getränke zu kaufen sind Programm-Broschüren für das tägliche Geschehen liegen ebenfalls aus. Im Internet sind unter www.rialto-lichtspiele.de jede Menge Informationen zu finden - auch Hinweise für Unterstützer.

Um das Rialto Kino langfristig betreiben zu können müssten nach Einschätzung von Stephan Reifenrath 500.000 bis eine Million Euro in den Bau investiert werden. "Ich hoffe, es findet sich noch jemand, der sich dafür begeistern kann. Selbst habe ich das Geld leider nicht", bedauert er.