Roma schildern ihr Schicksal: In Mazedonien sind sie nur Menschen zweiter Klasse, in Deutschland Wirtschaftsflüchtlinge.

Harburg. Sie haben große Angst vor den deutschen Behörden. Sie wissen, dass nachts die Polizisten kommen könnten. Dann hätten sie eine halbe Stunde Zeit, um ihre Koffer zu packen, bevor sie wieder in einen Bus nach Mazedonien gesetzt werden. Trotzdem wollen Amando, 35, und seine Frau Ramisa, 30, reden. Sie wollen dem Hamburger Abendblatt ihre Geschichte erzählen. Es ist die Geschichte einer jungen Familie mit vier Kindern im Alter von eins bis zwölf, die in ihrer Heimatstadt Kumanovo in Mazedonien keine Zukunft hat, weil sie Roma sind. Und es ist die Geschichte einer jungen Roma-Familie, die in Deutschland keine Zukunft hat, weil sie nach Ansicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nur Wirtschaftsflüchtlinge sind. Ihre wirklichen Namen wollen sie verständlicherweise nicht nennen.

Ramisa und Amando sitzen auf dem Fußboden in ihrer Asyl-Unterkunft. Der Besuch sitzt auf dem Sofa. Die Kinder spielen leise miteinander. Ramisa starrt ins Leere. Die Angst um ihre Kinder, die Strapazen der vergangenen Wochen und Monate haben die junge Frau gezeichnet. "Ich möchte in Deutschland bleiben. Es ist schön hier. Ich darf hier auch mit den anderen Kindern in die Schule gehen", sagt die zehn Jahre alte Tochter. Und dann erzählt Amando seine Geschichte. Mit zwölf Jahren sei er zum ersten Mal mit seinen Eltern in Deutschland gewesen. Zum ersten Mal habe er hier eine Schule besuchen können. Der Asylantrag seiner Eltern sei abgelehnt worden, die Familie musste zurück nach Mazedonien. Aber damals habe er verstanden: Wenn er seinen Kindern eine lebenswerte Zukunft bieten wolle, dann müsse auch er Mazedonien zu verlassen und in Deutschland sein Glück versuchen.

In Kumanovo hätten sie in einem Zimmer in der Wohnung seines Bruders gelebt. Ramisa, sie sei Analphabetin, habe leere Flaschen gesammelt, um Essen für die Kinder kaufen zu können. Amando sagt, er habe versucht, seine Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. "Wir Roma haben keine Rechte in Mazedonien. Offiziell verbieten die Behörden uns dort zwar nicht, zur Schule zu gehen, aber kein Roma könnte sich die 60 Euro im Jahr für Schulbücher leisten. Also müssen unsere Kinder die Schule wieder verlassen. Den Behörden ist das nur recht. Sie kümmern sich nicht um Roma-Kinder. Man gibt uns nicht die Chance auf Bildung oder auf eine menschenwürdige Arbeit. Wir sind weder versichert, noch könnten wir uns einen Arzt leisten. Die Behörden wollen uns nicht, und die Gesellschaft auch nicht", sagt Amando. "2010 bin ich zum ersten Mal mit meiner Familie nach Hamburg gekommen. Unser Asylantrag wurde abgelehnt. Den Grund haben wir nicht verstanden. Es hat uns auch niemand erklärt."

Um eine Abschiebung zu vermeiden, seien er und seine Familie freiwillig ausgereist. Wer wieder nach Mazedonien abgeschoben werde, laufe Gefahr, von den dortigen Behörden drangsaliert zu werden. Wer in einem Zeitraum von fünf Jahren nach seiner Abschiebung wieder nach Deutschland einreist, muss alle Kosten für die Abschiebung zahlen. In Mazedonien lebt die Familie wieder beim Bruder. Ramisa sammelt wieder Pfandflaschen.

Manchmal hat Amando Glück und verdient ein bisschen Geld damit, dass er bei Umzügen helfen kann. Das Elend geht weiter. 2011 entschließen sich Amando und Ramisa noch einmal zur Ausreise nach Deutschland. Das Fahrgeld stottern sie ab. "Was hätte ich tun sollen, meine Familie und ich haben keine Zukunft in meiner Heimat. Ohne Arbeit kann ich meine Kinder nicht ernähren", sagt Amando. Die Roma-Familie stellt einen zweiten Asylantrag. Ramisa bringt in Hamburg ihr viertes Kind zur Welt, eine Frühgeburt. Der Säugling bleibt zwei Monate im Krankenhaus. "In Kumanovo wäre mein Sohn gestorben, weil er so krank ist", sagt Ramisa. Inzwischen ist der Kleine ein Jahr alt.

Wieder kommt das Bundesamt zu dem Schluss, dass die Roma-Familie in die Rubrik Wirtschaftsflüchtlinge gehöre und deswegen kein Asyl bekomme. Wieder wird Amando vor die Alternative freiwillige Ausreise oder Abschiebung gestellt. Amando und Ramisa reisen freiwillig aus. Mit ihren Kindern und den Koffern besteigen die Eheleute Ende Oktober einen Bus Richtung Mazedonien. Das Geld für die Fahrkarten bekommt Amando vom Hamburger Flüchtlingsrat. "An der Grenze zu Slowenien haben die Zöllner zu uns gesagt, die Papiere des Babys seien nicht in Ordnung. Sie sagten, wir könnten über die Grenze in Richtung Mazedonien, aber wir müssten das Baby zurücklassen. Ich kann doch nicht mein Baby alleinlassen. Dann haben sie den Busfahrer überredet, uns zurück zur österreichischen Grenze zu fahren. Dort warf uns der Busfahrer raus. Wir hatten nicht mal Zeit, unsere Koffer mitzunehmen", erzählt Amando.

Drei Tage hätten sie dort im Schnee auf einem Kinderspielplatz in einer kleinen Parkanlage campiert. "Wir hatten nur die Kleider, die wir trugen. Damit haben wir das Baby warm gehalten. Unseren Reiseproviant haben wir für die Kinder eingeteilt. Ich habe ein paar Cent von jemandem, der vorbeikam, erbettelt. Mit dem Geld habe ich in Hamburg bei Bekannten angerufen. Am dritten Tag kam jemand vom Hamburger Flüchtlingsrat und hat uns abgeholt. Wir alle waren sehr krank. Mein kleiner Sohn musste ins Krankenhaus", sagt der junge Mann, der seitdem unter starken Nierenschmerzen leide. Die Familie habe unter Schock gestanden, als sie zurück in die Unterkunft gekommen sei, erzählt eine Nachbarin, die das Gespräch dolmetscht. Auf die Frage, wie er sich gefühlt habe in diesen drei Tagen, antwortet Amando: "Wir haben schon vieles überlebt." Jetzt dürften sie zwei Monate bleiben, was dann passiere, das wisse er nicht.

Und dann sagt der schmächtige Mann mit den schwarzen, kurzen Haaren etwas, das ihm sichtlich schwerfällt. "Ich würde sogar freiwillig wieder nach Mazedonien gehen, wenn wenigstens meine Kinder hierbleiben könnten. Dann weiß ich, sie werden es besser haben als in Kumanovo. Wir Roma können hart arbeiten, aber in Mazedonien gibt man uns nicht mal die Chance dazu, unsere Familien mit Arbeit zu ernähren. Wir werden diskriminiert, weil wir Roma in den Augen der Behörden Menschen zweiter Klasse sind. Seit dem Kosovo-Krieg ist unsere Situation noch schlimmer, als sie vorher schon war", sagt der vierfache Familienvater.