Auf der Elbinsel entwickelt sich eine Fashion-Szene. Junge Kreative arbeiten in winzigen Ateliers. Oder gern auch mal im eigenen Wohnzimmer.

Wilhelmsburg. Schneidereien, Strickereien und kleine T-Shirt-Boutiquen wie im Hamburger Karolinenviertel oder in Berlin-Neukölln reihen sich in Wilhelmsburg zwar noch nicht aneinander. Aber es gibt sie: Junge Modeschöpfer, die auf der Elbinsel in winzigen Ateliers und in ihren Wohnungen eigene Kollektionen entwerfen. Man findet sie in virtuellen Läden in Internet - oder auf Märkten im Stadtteil. "Mit Liebe gemacht" ist ein Markt für Handgemachtes in der Honigfabrik, den Eva-Lena Fandree mit Erfolg organisiert. Dort traf das Abendblatt am Sonnabend drei junge Modedesignerinnen, die für das Siegel stehen: "Made in Wilhelmsburg".

16 Quadratmeter ist das Atelier an der Witternstraße in Wilhelmsburg klein. Hier hat das Label "rara" seien Sitz. "Rara", das ist die Diplom-Modedesignerin Raphaela Renner. Die 34-Jährige hat am Modecampus an der Hamburger Armgartstraße studiert und entwirft heute Damenmode. Nicht irgendeine, sondern "conscious couture", wie es auf ihrer Visitenkarte steht. Das bedeutet wörtlich übersetzt bewusste Schneiderei.

"Conscious couture" ist kein Modestil, sondern eine Philosophie. Es ist Raphaela Renners Statement gegen menschenunwürdige Produktionsbedingungen in der Modebranche, gegen Kinderarbeit, gegen giftige Farben. Die Bekleidungsindustrie, sagt die unabhängige Designerin, sei eine der menschenverachtendsten Branchen überhaupt. Raphaela Renner verarbeitet deshalb Bio-Stoffe nach dem Global Organic Textile Standard.

Mit den ökologischen und sozialen Anforderungen sind modische Abstriche verbunden. Ein tiefes Schwarz gebe es noch nicht, sagt sie, aber es sei in der Entwicklung. Raphaela Renners Kleider sind von eleganter Schlichtheit mit verspielten Details. "Viel Drapiertes, Avantgarde", beschreibt sie ihren Stil. Doch nicht alles, was Raphaela Renner produziert, ist Bio. Up-Cycling nennt sie das, wenn sie Restposten aufkauft und Neues daraus schafft. Etwa mit der Knopfsammlung einer alten Dame, die sie erworben hat.

Der Markt für selbst entworfene Mode gilt als sehr begrenzt. Kreative mit Mini-Labels müssen kämpfen. Raphaela Renner verdient noch Geld dazu, indem sie am Wochenende an der Kasse des Bucerius Kunstforums am Rathausmarkt jobbt.

Bis vor Kurzem hat Anne Waterkamp, 39, noch Kindermode in ihrer Wohnung entworfen. Im gemeinsamen Arbeitszimmer, das sie mit ihren Mann teilt. Jetzt ist sie in ein 17 Quadratmeter kleines Atelier an der Witternstraße gezogen, die neue Heimat ihres Labels "Feynstoff". Die Mutter einer vier Jahre alten Tochter und eines sieben Jahre alten Sohnes ist Autodidaktin. Sie habe schon als Kind ihre Puppen selbst genäht, sagt sie. Bunt ist ihre Kindermode mit aufgenähten Sternen und Fischen. "Kinder sollten Farbe tragen", meint Anne Waterkamp.

Ihre beiden Kinder tragen Prototypen ihrer Entwürfe - so wird ihre Mode im Viertel bekannt. Wie viele kleine Kreative bewirbt Anne Waterkamp ihre Kollektion im Internet-Portal DaWanda, einem Marktplatz für handgemachte Ware. Märkte wie "Mit Liebe gemacht" in der Honigfabrik sind enorm wichtig für ihr kleines Label, um bekannt zu werden. Funktioniert das überhaupt, sich mit selbst geschneiderten Unikaten gegen Textilketten wie Kik oder C&A zu behaupten? "Ja", sagt Anne Waterkamp, "ich habe eine ganz andere Kundschaft. Die Kunden dort kaufen nicht bei mir."

Anne Waterkamp ist vor zehn Jahren aus St. Pauli nach Wilhelmsburg gezogen. Den Wandel in dem Stadtteil, der mit gewaltigen Baumaßnahmen aufgewertet werden soll, nimmt sie wahr: "Heute eine neue Mietwohnung zu finden, dürfte schwierig sein."

Weil sie "ans Meer" wollte und die Mieten damals in Wilhelmsburg noch günstig gewesen seien, ist die Modedesignerin Nina Göckel, 27, vor fünfeinhalb Jahren aus Düsseldorf auf die Elbinsel gezogen. Sie sieht den Wandel in dem Stadtteil kritisch: "Viele Leute gehen weg, weil sie es sich nicht mehr leisten können", hat sie beobachtet. Wohl wissend, dass die Neuhinzugezogenen die Klientel ist, die Designermode erwirbt.

"Subculture Fashion" nennt Nina Göckel ihr Label. Ihre Wohnung ist auch ihre Werkstatt. Die junge Kreative entwirft Damenmode. Kleider, Röcke, Shirts, Mützen - alles Unikate made in Wilhelmsburg. "Ich mische verschiedene Subkulturen", beschreibt sie ihren Stil. Ein besonderer Trumpf ihrer Kollektion ist die Stoffsammlung ihrer Oma, die Schneiderin gewesen ist.

Wie üblich in der jungen unabhängigen Modeszene, macht Nina Göckel auf Märkten im Stadtteil und über das Internet auf sich aufmerksam. Ein eigenes Ladengeschäft zu betreiben, sei nicht ihr Ziel, sagt die Modedesignerin. Sie möchte sich nicht mit einem Laden festlegen.

In einer Branche, in der Glitzer und Glamour zu Hause sind, ist die Modeschöpferin von der Elbinsel erfrischend bescheiden. "So richtig viel Geld brauche ich gar nicht", sagt Nina Göckel. "Die Hauptsache ist, ich kann davon leben."