Die Staatsanwaltschaft Hamburg legt Revision gegen die milde Jugendstrafe für Onur K. aus Wilhelmsburg ein. Er ist vorerst auf freiem Fuß.

Harburg. "Ermordet!", heißt es auf DIN-A4-Blättern, die seit wenigen Tagen am Tunnelausgang des Harburger S-Bahnhofs in Richtung des Marktkauf-Centers am Seeveplatz kleben. Unter diesem aufmerksam machenden Signalwort ist das schwarzweiß kopierte Foto eines Mannes zu sehen. Dabei handelt es sich um Thomas M. Der Dachdecker aus Winsen wurde vor dem Tunnel unter der Moorstraßenbrücke am 12. Juni 2009 von zwei Jugendlichen angegriffen. Da sie den damals 44-Jährigen zunächst provozierend um Kleingeld angeschnorrt hatten, wurde die Gewalttat in der Presse auch als "20-Cent-Fall" bekannt.

Anders als der Aushang der anonymen Plakatierer vermuten lässt, sah das zuständige Landgericht Hamburg bei seiner Urteilsverkündung vor einem Jahr keine Tötungsabsicht der Täter aus Wilhelmsburg. Es sei klar, dass der 44-Jährige nach einem heftigen Faustschlag des damals 17 Jahre alten Onur K. zu Boden ging. Dabei schlug er mit dem Hinterkopf auf den harten Boden. Diese Verletzung führte wenige Tage später zum Tod des Mannes. Dass der damals 16 Jahre alte Berhan I. das am Boden liegende Opfer danach mehrfach gegen den Kopf und den Oberkörper getreten habe, sei nach Angaben der Gerichtsmediziner nicht für den Tod ursächlich gewesen.

+++ Kriminologe verteidigt das 20-Cent-Urteil +++

+++ Empörung über Bewährung für "20-Cent-Schläger" +++

Für die Körperverletzung mit Todesfolge erhielten die beiden Täter Haftstrafen nach dem Jugendstrafrecht: Der mehrfach als Gewalttäter aufgefallene Berhan I. wurde zu drei Jahren und zehn Monaten Jugendhaft verurteilt. Auch eine zwischenzeitliche Entlassung aus der Untersuchungshaft aufgrund von Schwierigkeiten im Prozessablauf soll der türkische Staatsbürger genutzt haben, um eine 17-Jährige auf dem Pausenhof ihrer Berufsschule in Wilhelmsburg brutal zu verprügeln. Mit einem Tritt habe er ihr ein Wadenbein gebrochen. Nach seiner Festnahme kam er wieder in Haft.

Mittäter Onur K. erhielt eine Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten. Doch dieses Urteil des Landgerichts Hamburg wurde vor wenigen Wochen vom Bundesgerichthof aufgehoben, nachdem der Angeklagte Revision eingelegt hatte. Die Karlsruher Richter bestätigten den Schuldspruch, kamen allerdings zu der Auffassung, dass das Urteil gegen den damals 17-Jährigen zu hart ausgefallen sei. Den Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts habe die Hamburger Kammer nicht genügend beachtet. Daher verhandelte die Große Strafkammer 4 vor drei Wochen ein zweites Mal über das Strafmaß für den 19-jährigen Deutschen.

Statt zu einer Jugendhaftstrafe verurteilte das Gericht Onur K. Anfang des Monats zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Zudem machte das Gericht ihm die Auflage, an einem sozialen Training teilzunehmen. Gegen dieses milde Strafmaß für den überführten Schläger hat die Staatsanwaltschaft Hamburg Revision eingelegt. "Es ist unser Ziel, eine höhere Strafe zu erwirken", sagt Peter Bunners, Leitender Oberstaatsanwalt auf Nachfrage der Harburger Rundschau. "Wir rechnen uns gute Chancen aus, dass wir damit Erfolg haben." Die Staatsanwaltschaft hatte bei der Revision zwei Jahre und acht Monate Jugendhaft gefordert.

Vorerst ist Onur K. auf freiem Fuß. Bis die Staatsanwaltschaft Hamburg Rechtsfehler in dem Urteil von Anfang Dezember für eine neue Verhandlung aufgreifen kann, muss sie das schriftliche Urteil abwarten. Das Landgericht muss es sieben Wochen nach der mündlichen Urteilsverkündung zustellen. Anschließend hat die Staatsanwaltschaft einen Monat lang Zeit, ihre Revision juristisch zu begründen. Mit einer Verurteilung wegen Mordes, wie es die Macher der "Ermordet!"-Plakate zu fordern scheinen, ist aber auch bei einer Revision der Strafe nicht zu rechnen.