Alteingesessene, inhabergeführte Harburger Traditionsgeschäfte: Mimi Kirchner ist als Fachgeschäft längst eine Institution südlich der Elbe.

Harburg. Alteingesessene, inhabergeführte Geschäfte - es gibt sie noch in Harburg. Oft sind es Familienbetriebe mit einer jahrzehntelangen Tradition. Sie erzählen Geschichten von Kaufleuten, die ihre Kunden noch persönlich kennen, vom Glauben an eine besondere Idee, von der Liebe zum Detail. Aber auch vom schleichenden Niedergang einer Verkaufskultur, die sich im Zeitalter der Shopping-Center und Großmärkte immer schwerer behaupten kann.

Bevor die Geschäfte am Küchgarten ihre Pforten öffnen, weht schon der markante Duft von Räucherfisch durch die kleine Straße in Harburgs Zentrum. Wer der Quelle auf den Grund geht, landet geradewegs in der Räucherei des Fischfachgeschäfts Mimi Kirchner. Dessen dicker Schornstein gut zwanzig Meter gen Himmel ragt.

Dort, wo er seinen Anfang nimmt, hängen ordentlich in Reih und Glied Lachs, Forelle, Aal, Makrele oder Heilbutt aufgespießt. Gerade hat Frank Detlefsen feuchte Buchenspäne auf die Glut geschüttet. Die haben einen exzellenten Brennwert und entwickeln jenen Rauch, der den Fischstücken nicht nur den typischen Geschmack verleihen, auch die satt goldene Farbe.

"Im Zeitalter der industriellen Fischverarbeitung haben viele Firmen auf computergesteuerte Anlagen umgestellt", weiß der 46-Jährige. Nicht so bei Mimi Kirchner in der Räucherei, die Ende des 19. Jahrhunderts noch eine Pferdestation für Fernreisende war. "Bei uns ist alles noch handgeräuchert, wie vor 100 Jahren. In echten Altonaer Öfen aus dem Jahr 1936. Mit gemauerten Kammern, offenem Feuer und Heißrauch von 70 bis 80 Grad. Das riecht man, und das schmeckt man auch."

Beinahe täglich zwischen sechs und zehn Uhr wacht Detlefsen über das dampfende Feuer. Und findet es zuweilen ziemlich kurios, dass ihn die Liebe vom Brandbekämpfer zum Feuerschürer gemacht hat. Denn bevor er seiner Frau Andrea zuliebe vor 24 Jahren ins Fischgeschäft wechselte, war der gelernte Klempner viele Jahre bei der Werksfeuerwehr von Blohm + Voss.

Bereut habe er seinen Umstieg nie, wie Detlefsen versichert. Schließlich habe er ja in ein ehrbares Familien-Unternehmen mit langer Tradition eingeheiratet. Gattin Andrea ist die Enkelin der nachgerade berühmten Firmengründerin Mimi Kirchner, die 84-jährig noch fast täglich in ihrem Laden stand.

Das erste Geschäft hat sie bereits 1919 an der Heimfelder Paulus-Kirche eröffnet, da ist sie gerade 19 Jahre alt. Doch der Laden läuft eher schlecht als recht, weshalb sich Mimi frühzeitig ganz auf den Wochenmarkt konzentriert. Dort findet man sie an der Seite ihres Bruders Johann "Johnny" Benecke, bis sie es in den 50er-Jahren wieder mit einem Laden, diesmal in der Wilstorfer Straße probiert. Als 1969 die Südfront des Sand neu bebaut wird, zieht Mimi in jenen Laden, in dem das Geschäft noch heute zu finden ist.

Auf 70 Quadratmetern bieten Andrea Detlefsen (45), die das Geschäft 1985 von ihrer Mutter Elke Heins übernommen hat, und ihre neun Mitarbeiter nicht nur bis zu 40 Sorten Fisch an, auch 25 verschiedene Salate aus eigener Produktion. Die beliebten Kartoffelsalate gibt es mit Mayo, Speck oder - für die Kalorienbewussten - mit Joghurt. Der Fisch kommt frisch, filetiert, geräuchert, mariniert oder gebraten daher, Heringe zum Beispiel als "Bismarck", Rollmops, Matjes oder Brathering.

Chefeinkäufer ist Schwager Andreas Tietze. Der Mann ihrer Schwester Martina, die seit November 2010 das Fischrestaurant "Meergut" im Küchgarten betreibt, ordert auf dem Fischgroßmarkt in der Großen Elbstraße bei jeder Tour 300 bis 400 Kilogramm Fisch. "Größere Posten im Dezember stellen wegen Weihnachten und Silvester Karpfen, Lachsfilet und Forelle", sagt Andrea Detlefsen. Typische Saisonfische seien überdies Stint im Frühjahr, Scholle im Mai und Matjes im Juni, "sowie im Sommer Krabben und Garnelen, die gern auf dem Grill landen".

Lautete früher eine beliebte Binse "Schlechtes Wetter ist Fischwetter", so heißt es heute "Schlechtes Wetter ist Center-Wetter". In Tagen wie diesen, mit viel Regen und Wind, sei vor zehn, zwanzig Jahren tatsächlich noch deutlich mehr Fisch gekauft worden, so Andrea Detlefsen. Heute würden die Leute bei "Schietwetter" lieber ins nahe Phoenix-Center Shoppen gehen und sich dort an den zahlreichen Schnellimbissen versorgen. Unterdessen ist Fisch in den vergangenen Jahren auch deutlich teurer geworden. So stieg der Preis für 100 Gramm Räucheraal innerhalb von zwölf Monaten um einen Euro auf aktuell 5,50 Euro.

Seit französische und spanische Fischereiflotten in der Sargassosee, dem typischen Laichrevier europäischer und amerikanischer Aale südlich der Bermuda-Inseln, in großem Stile Jungtiere (Glasaale) für den asiatischen Markt weggefischt haben, gehört der Schlangenfisch sogar zu den vom Aussterben bedrohten Tierarten.

"Ein weiteres Problem ist die zunehmende Zahl von Single-Haushalten, in denen einfach nicht mehr so häufig gekocht wird", sagt Andrea Detlefsen, die selbst am liebsten Rotbarschfilet für ihre Familie in die Pfanne haut. Zudem hätten Tiefkühlkost und Fertiggerichte Einzug in die Küchen gehalten. Dem könne man nur mit absolutem Qualitätsbewusstsein begegnen: "Frische Ware aus eigener Herstellung lautet deshalb das oberste Gebot. Die Rezepte unserer Salate sind alle selbst entwickelt und es werden ausschließlich natürliche Inhaltsstoffe verarbeitet."

Mit dieser Strategie plant die Chefin auch die nächsten Jahre. "Bis 2019 wollen wir auf jeden Fall kommen, um dann mit einem großen Fest das Firmenjubiläum 100 Jahre Mimi Kirchner feiern zu können", sagt Andrea Detlefsen. Dann hätte sie auch nichts dagegen, wenn Tochter Sabrina (20) den Familienbetrieb übernimmt. Die hat zwar beim Elektronikdiscounter Media Markt Einzelhandelskauffrau gelernt, steht aber inzwischen auch hinterm Tresen am Sand 25. Ein Leben ohne Fische - für die Erbinnen Mimi Kirchners offenbar unvorstellbar.