Experten meinen, für einen Großteil der Fälle seien verhaltensbedingte Risikofaktoren wie Rauchen und ungesunde Ernährung mitverantwortlich.

Buchholz. Krebs: eine Diagnose, die Ärzte immer öfter stellen. 42 610 Niedersachsen haben sie im Jahr 2009 vernehmen müssen, 22 765 Männer und 19 845 Frauen. Das geht aus dem Jahresbericht des Krebsregisters Niedersachsen hervor, der jetzt erschienen ist und die Situation von vor drei Jahren widerspiegelt. Damit ist die Zahl der Neuerkrankungen seit 2003 - seit jenem Jahr werden die Fälle landesweit statistisch erfasst - um rund zehn Prozent gestiegen. Ein ähnlicher Trend ergibt sich beim Blick über die Landesgrenze nach Hamburg: 10 209 Fällen in 2009 stehen sechs Jahre zuvor 9106 gegenüber.

Dr. Christian Pott, Internist und Krebsspezialist am Krankenhaus Buchholz, spricht ebenfalls von einer steigenden Zahl positiver Befunde. "Aber das ist kein epidemiologischer Trend", sagt er. Es habe vielmehr etwas mit dem demografischen Wandel in der Bevölkerung zu tun: An Krebs erkrankten insbesondere ältere Menschen. Und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung wächst.

Dass die Wahrscheinlichkeit zu erkranken offenbar auch von Region zu Region unterschiedlich groß ist, wie sich aus einer Aufschlüsselung nach Landkreisen (siehe Grafik) ergibt, lässt sich mit diesem Umstand allerdings nicht erklären. Joachim Kieschke, Geschäftsführer des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen (EKN) in Oldenburg: "Die Landkreiszahlen sind altersstandardisiert." Das bedeute, dass die tatsächlichen Werte auf eine einheitliche Standardbevölkerung hoch- beziehungsweise runtergerechnet worden sind. "Das ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit der einzelnen Regionen miteinander", sagt Kieschke. Im Ergebnis erkranken Männer in den Landkreisen Harburg, Stade und Lüneburg etwas seltener an Krebs als im Niedersachsen-Schnitt, Frauen im Landkreis Harburg seltener und im Lüneburgischen häufiger.

"Das sind sehr exakte Zahlen", sagt Dr. Pott in Buchholz, "aber sie sind auch sehr wild interpretierbar." Und mit einem Schmunzeln auf den Lippen fügt er hinzu: "Ist es die gute Luft in der Heide, die Menschen gesünder macht? Oder sterben sie einfach früher an anderen Krankheiten, ehe sie Krebs bekommen?" Sicherlich weder noch. Eine konkrete Interpretation der regionalen Zahlen maßt sich - soweit sie denn überhaupt möglich ist - der Facharzt für Innere Medizin nicht an.

Dass es allerdings einen Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und dem Risiko einer Krebserkrankung geben kann, will der Mediziner nicht ausschließen. Er nennt einige Risikofaktoren: Rauchen. Übergewicht. Zu wenig Bewegung. Ungesunde Ernährung. Alkohol. "Allein durch Bewegung und ausgewogene Ernährung sinkt die Gefahr, an Brust-, Prostata oder Darmkrebs zu erkranken", sagt er. Diese drei sind neben Lungenkrebs die am häufigsten auftretenden Arten. Im Bericht des Krebsregisters heißt es dazu: "Zwei Drittel aller Krebstodesfälle sind auf verhaltensbedingte Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährungsweise, Übergewicht und Bewegungsmangel zurückzuführen." Und: "Tabakkonsum wird für etwa 30 Prozent aller Krebstodesfälle verantwortlich gemacht."

Umweltfaktoren und Risiken am Arbeitsplatz spielten dagegen nach Dr. Potts Worten kaum eine Rolle, wenn es um die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung gehe, eher schon die Frage, ob ein Mensch mit seiner täglichen Arbeit zufrieden und ob er davon ausgefüllt sei; ob er in einem aufstrebenden Landkreis lebe oder in einem mit eher depressiver Stimmung.

So paradox es zunächst klingen mag: Auch Vorsorge führt statistisch gesehen dazu, dass die Zahl der registrierten Neuerkrankungen steigt. Dazu heißt es im aktuellen Bericht: "Es ist bekannt, dass durch den Einsatz von Früherkennungsprogrammen die Diagnosen von Frühstadien und damit die Krebserkrankungen insgesamt zunehmen." Dagegen sei die Sterblichkeitsrate seit Jahren rückläufig. Beispiel Darmkrebs: Starben 2003 in Niedersachsen 2085 Patienten (946 Männer und 1139 Frauen) an der Krankheit, so waren es 2009 mit 1757 (875 Männer, 882 Frauen) deutlich weniger.

Dr. Christian Pott hält insbesondere Darm-, Brust-, Prostata-, Gebärmutterhals- und Hautkrebsvorsorge für sinnvoll, weil sich Diagnosen mit relativ wenig Aufwand stellen ließen. Bei vielen anderen Krebsarten stünden der Aufwand einer Vorsorge und der Nutzen nicht unbedingt in einem sinnvollen Verhältnis, sagt er. Rund 60 Prozent der Erkrankten bekommen seinen Worten zufolge heute eine Strahlentherapie. Außerdem gebe es mittlerweile Chemotherapien, die kaum noch starke Nebenwirkungen nach sich zögen. "Unser Motto ist heute, dass ein Patient dank einer Therapie jeden Tag ein bisschen besser leben kann", sagt Pott.

Dass es inzwischen ein Krebsregister gibt, findet er sinnvoll. "Zuvor war man in großen Teilen Deutschlands relativ blind, nahm Zahlen aus den USA, aus der früheren DDR und aus dem Saarland und rechnete sie hoch."

Das vollständige Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen ist im Internet unter www.krebsregister-niedersachsen.de einsehbar.