Die “Hafensafari“, “Flusslicht“ oder “Kreuzwege sind im Büro von Rolf Kellner entstanden. Er sieht Kultur stets am Anfang einer Entwicklung.

Hamburg. Als der Architekt Rolf Kellner mit zwei Kollegen in das markante Gebäude mit dem leuchtenden Stern auf dem Dach einzog, war der Himmel hinter den hohen Fenstern an der Billhorner Brückenstraße schon genauso weit, der Blick schon genauso spektakulär. Und die Stadt zu seinen Füßen schon genauso aufregend. Allerdings gab es jede Menge in den Büroräumen im sechsten Stock zu tun: Ein Podest musste eingezogen werden, damit man überhaupt vom Schreibtisch durch die hohen Fenster schauen konnte.

Und dann standen sie da, die Schreibtische, hinter jedem ein junger fertig studierter Architekt, hinter den Fenstern der Blick auf die Stadt aus 22 Metern Höhe. Doch das Telefon blieb still. Das ist heute - zehn Jahre später - genau umgekehrt: Nimmt Kellner, Geschäftsführer des Planungsbüros überNormalNull einen Moment hinter seinem Schreibtisch Platz, klingelt das Telefon oder das iPhone meldet sich aus der Tasche. Kellner und sein Team gelten als Experten, wenn es um die Oberhafenentwicklung als Kreativquartier geht, außerdem sind sie Initiatoren von temporären Kunstprojekten im öffentlichen Raum wie der "Hafensafari", der Aktion "Flusslicht" mit spektakulären Lichtinstallationen im Hamburger Hafen oder den "Kreuzwegen" zusammen mit der Kirche St. Katharinen. Kultur hilft, einen Ort neu zu sehen, zu entwickeln oder Menschen an unwirkliche Orte zu locken.

Das Besondere am Vorgehen des Architekten ist, Orte mit temporären Kunstaktionen zu erschließen. Kultur steht nicht am Ende einer Entwicklung, sondern am Anfang, quasi als Motor oder Katalysator. "Man kann auch ein Schutzschild durch Interesse rund um einen Ort erschaffen", findet Kellner, sensibilisiert von der Entwicklung in Hamburgs Künstlerquartieren. Schutz also vor rein profitorientierten Investoren.

Natürlich ist das eine zarte, vorsichtig tastende und eher auf Nachhaltigkeit, denn auf "Hauruck-Effekte" setzende "jüngere" Vorgehensweise der Stadtentwicklung: Flächen werden auch mal bewusst freigelassen, Lücken dürfen bleiben. "Kulturelle Sukzession nennen wir das", sagt Kellner, der aus dem Mercedes-Haus auf die Bahntrasse Richtung Hammerbrook blickt. Kultur kann eine "Pionierpflanze" sein. Er fährt den Arm aus und deutet auf überwucherte Brachflächen: "Diese Annäherung entspricht der Natur: Die sucht sich langsam ihren eigenen Weg."

Das Gebiet um den Brandshof, den Oberhafen, die Großmarkthallen und die Norderelbbrücken in Rothenburgsort liegt Kellner unter den Fenstern seines 120 Quadratmeter Büros zu fast allen Himmelsrichtungen zu Füßen. Kellner liebt diesen Ort. Hier ist er seit Jahren aktiv, hat die Potenziale lange erkannt. Schon damals, als dieses Gebiet für viele reines Niemandsland inmitten von Fahrspuren und Verkehrslärm war. Nun spricht es sich langsam bei den Kreativen herum, dass hier ein neues Areal für Künstler und Kulturschaffende entstehen könnte, eine Art Hafencity für Normale mit Atelier-, Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen. Baudirektor Walter sprach sich eigens für die künstlerische Nutzung alter Bahnhallen im Oberhafen aus. Und Kellner, der im Auftrag des Bezirks Mitte ein Gutachten über eine Kreativnutzung des Areals verfasst, erkennt in der Mischung aus "Wasserflächen, Logistikfreiflächen und alten Lagerhallen im Oberhafen" das ideale Potenzial für die Bedürfnisse von Künstlern, Musikern und Galerien. Brachliegende Bahnschuppen im Oberhafen gilt es neu zu bespielen, zu reaktivieren, wodurch die "City Süd" als Kreativort weich an die Hafencity heranwachsen könnte. Kellner schweben "Mehrfachnutzungen" von Flächen vor: "Tagsüber Lagerfläche, abends Ort für eine Kulturveranstaltung". Wasserflächen zu nutzen und mit "Büros auf dem Wasser" neue Formen von Arbeiten und Freizeit zu finden, ist eine Vision, die im Oberhafen möglich wäre.

Kellner zeigt auf den Gebäudekomplex des Brandshofs: "Hier ist zum Beispiel der belgische Künstler Marc van den Broek eingezogen, der zuvor in New York lebte. Hat gleich den Komplex gekauft."

Der international bekannte Künstler ist von den Gegebenheiten in Rothenburgsort begeistert und freut sich über die im Vergleich zu Amerika kurzen Wege: "Der sagt sich, von hier aus bin ich ganz schnell in Berlin oder Bremen", sagt Kellner grinsend über dieses für deutsche Künstler fremde Denken und Entfernungsempfinden. Blickt der Architekt und Kulturprojektinitiator jetzt nach knapp zehn Jahren aus seinem Mercedes-Haus, ist alles so aufregend wie am ersten Tag. "Bei schönem Wetter kann man das Dach besteigen, und der Sonnenuntergang über den Elbbrücken ist phänomenal." Aktuell holt sich Kellner, dessen Erfolg ein großes Netzwerk ist, auch bei Architekturabsolventen aus Cottbus Anregungen.

Am Beispiel Venedigs haben die gezeigt, wie alte Lagerhallen für kulturelle Nutzungen reanimiert werden können (zu sehen bis Freitag bei KuBaSta in der Repsoldstraße 45). "Genau das ist für den Oberhafenkomplex interessant", sagt Kellner, der es schätzt, an Phänomene die richtigen Fragen zu stellen.