Das Amtsgericht in der Kreisstadt hat eine neue Richterin: Dr. Lidia Mumm ersetzt seit November ihren Vorgänger Rolf Fuhlendorf.

Winsen. "Ich kann nicht alle retten, aber wenn es nur einer von 100 ist, hat es sich für mich schon gelohnt", sagt Dr. Lidia Mumm, streicht sich eine braune Strähne aus dem Gesicht. Die Absätze ihrer Stiefel klackern über den jahrhunderte alten Steinboden des Amtsgerichts Winsen im Schloss. Sie schließt die Tür ihres Büros auf, greift sich eine Akte von dem alten Holztisch. Über ihr hängt ein pinkfarbener Plastikkronleuchter. "Amtsdirektor Albert Paulisch hat große Augen gemacht, als er ihn zum ersten Mal gesehen hat", lacht die 35-Jährige. Überhaupt hat sie einiges verändert, seit sie das Büro von ihrem Vorgänger Rolf Fuhlendorf übernommen hat: bunter, heller, weiblicher ist es geworden. Um den Holztisch herum stehen vier mit orangefarbenem Stoff bezogene Stühle und Gäste nehmen jetzt auf einem cremefarbenen Ledersofa Platz.

"Der Ton hat sich mit mir vielleicht geändert - aber nicht die Konsequenz der Urteile", betont die neue Jugendrichterin, Jugendschöffenrichterin, Strafrichterin und Schöffenrichterin am Amtsgericht Winsen.

Richterin werden - das wollte Lidia Mumm schon als kleines Mädchen. Doch nach dem Abitur hatte sie erst mal genug vom Lernen, wollte etwas Praktisches machen. Sie fing eine Ausbildung zur Bankkauffrau an. Ihren Traum hatte sie nicht vergessen. Im Herbst 1996 schrieb sie sich für Jura ein, machte 2001 das erste Staatsexamen. Danach folgten zwei Jahre Referendariat in Hamburg. Nach dem zweiten Staatsexamen arbeitete sie für die Staatsanwaltschaft Lüneburg, dann am Landgericht Lüneburg, seit Dezember 2008 als Jugendrichterin am Amtsgericht Winsen - ihre Probezeit. Die ist jetzt vorbei.

Trunkenheit am Steuer, Ladendiebstahl, Körperverletzung: auf Lidia Mumms Schreibtisch landen viele Fälle. Manche können als "Jugendsünden" verbucht werden, andere sind der Auftakt für eine "kriminelle Karriere". "Mein Ziel ist es, die Jugendlichen wieder auf die richtige Spur zu bringen, ihnen zu helfen, ihr Leben in den Griff zu bekommen", betont die etwa 1,65 Meter große Frau und bindet sich die langen Haare zu einem Zopf zusammen. So sehe sie im Gerichtssaal strenger aus - schmunzelt Lidia Mumm. Ob solche Jugendlichen Respekt vor einer jungen Richterin wie ihr haben? "Auf jeden Fall", sagt sie. Ihre Augen funkeln. "Weil mir jeder einzelne Fall am Herzen liegt und weil ich immer versuche fair zu sein. Das spricht sich unter den Jugendlichen herum." Wem sie mit Jugendarrest droht, bekommt ihn auch. Wer sich gebessert, seinen Schulabschluss geschafft hat, wird gelobt. "Konsequent und berechenbar sein, das ist wichtig." Und etwas, dass die meisten ihrer Jugendlichen von Zuhause nicht kennen.

Manchmal kommt es sogar vor, dass sich ein junger Mann nach zwei Wochen Jugendarrest bei ihr bedankt. Weil er endlich Zeit hatte, über sein Leben und seine Zukunft nachzudenken. "Das freut mich natürlich besonders."

Die öffentliche Diskussion - Jugendliche werden immer brutaler, krimineller - ärgert Lidia Mumm. "Vor allem zu Wahlkampfzeiten werden die angeblich so aggressiven Teenager von vielen Politikern zum Sündenbock gemacht. Dabei belegen Statistiken: Gewalttaten unter und von Jugendlichen hat es immer gegeben, die Zahlen bleiben konstant." Auch die oft geforderten härteren Strafen lehne sie ab: "Je länger ein junger Mensch im Gefängnis sitzt, um so schwieriger wird es, ihn wieder in die Gesellschaft einzugliedern."

Die wichtigsten Eigenschaften einer Jugendrichterin? "Neben Konsequenz - Empathie. Außerdem versuche ich die Sprache der Jugendlichen zu sprechen, kein juristisches Fachchinesisch." Manchmal kauft sie sogar die Jugendzeitschrift Bravo, um zu wissen, was junge Menschen bewegt, gerade angesagt ist.

Nach Feierabend abschalten, das kann Lidia Mumm bei allem Engagement trotzdem gut. Schon während der etwa halbstündigen Autofahrt von Winsen zu ihrem Wohnort, einer kleinen Gemeinde bei Lüneburg, gewinne sie Abstand von ihren Fällen. "Dann höre ich Musik, am liebsten Rap und Hip-Hop, genau wie meine Jugendlichen", sagt sie lachend. Auch mit ihrem Mann spricht Lidia Mumm nicht viel über ihre Arbeit. "In meiner Freizeit beschäftige ich mich lieber mit anderen Dingen."

Zum Beispiel Malen. "Und am Wochenende gehe ich regelmäßig Joggen." Für nächstes Jahr habe sie sich sogar einen Halbmarathon vorgenommen. "Dafür muss ich viel trainieren. Aber das Hin- und Herlaufen zwischen den Gerichtssälen hält auch fit", sagt Lidia Mumm, greift nach einer Akte und ihrer schwarzen Robe.