Auf die lieb gewonnenen Ausflüge in die Umgebung muss der 71-Jährige trotz seiner schweren Behinderung nicht verzichten.

Harburg. Auch in schlechten Zeiten kann das Leben wunderbare Wendungen nehmen. Hans Wörmer (71) aus Marmstorf hat dies, im wahrsten Sinne des Wortes, am eigenen Leib erlebt. Noch vor drei Jahren kam er nicht ohne fremde Hilfe von seinem Rollstuhl in einen Stuhl und war zu schwach zu schreiben. Heute fährt er mit auf einem Spezialfahrrad mit Spitzentempo 44 den Appelbütteler Weg von Appelbüttel nach Marmstorf herunter - was für ein Gewinn an Freiheit, was für ein Gewinn für Körper und Seele für einen Mann, der bis vor sieben Jahren noch voll im Saft stand und mit seinem Rennrad mit 70 Sachen Berge herunterfuhr!

Im Sommer 2005, auf dem Weg zum Badezimmer, hatte das Leben von Hans Wörmer schlagartig eine andere Richtung genommen: Kein Gefühl mehr, die Beine gelähmt. Der Rechtsanwalt stürzte auf die Badezimmerfliesen. Diagnose: Querschnittslähmung - ein inoperabler Tumor in Höhe der Brustwirbel drückt auf sein Rückenmark. Mit dieser Nachricht fielen die Träume vom aktiven Rentnerleben in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Der Mann, der gemeinsam mit seiner Frau Regine (64) mit dem Rad von Wien nach Berlin gefahren war, der 2004 noch in Hamburg 115 Kilometer bei den "Cyclassics" mitgefahren war - gefesselt an einen Rollstuhl. Aufstehen, waschen, sich anziehen: kein Handgriff war mehr selbstverständlich.

"Im April 2006 kam ich total gelähmt aus dem Unfallkrankenhaus Boberg heraus", sagt Hans Wörmer. "Ich konnte nicht mehr alleine sitzen und wurde vom Bett in den Rollstuhl gesetzt und wieder zurück." Mittlerweile geht es dem Marmstorfer "zunehmend langsam leicht besser". Das hat er zwei Menschen und einer technischen Errungenschaft zu verdanken. Die Menschen sind seine Ehefrau Regine, die mit ihm durch dick und dünn geht, sowie sein Freund und Hausarzt aus Hamburg-Lurup, der ihn mindestens zweimal in der Woche in Marmstorf besucht und mit ihm Übungen macht.

Die technische Errungenschaft ist ein Spezialfahrrad: ein Liegerad mit drei Rädern und Motor, auch "Trike" genannt. Das 1,80 lange und 80 Zentimeter breite Gefährt mit der Bezeichnung "Trike HPVelo Scorpion FX" hat Hans Wörmer für 4351,80 Euro im Liegeradstudio in Hamburg-Ottensen gekauft. "Ich habe diese Investition getätigt, um meine Bein- und Rückenmuskeln zu stärken und mich wieder selbstständig in der Stadt und in der Natur bewegen zu können." Hans Wörmer macht Fortschritte: "Anfangs fuhr ich die Berge mit 3 km/h hoch oder musste geschoben werden. Heute komme ich ohne Motor auf ebenen Strecken auf Tempo 30, mit Motorunterstützung auf Tempo 45."

Den Elektromotor aus der cyclery in Itzehoe, der nur mit Tretunterstützung läuft, hat Hans Wörmer nachträglich montieren lassen - machte noch einmal 2871,52 Euro. Dafür kann der Marmstorfer jetzt auch auf längere Touren gehen: in der Lüneburger Heide, an der Oberelbe und auf Usedom. Dorthin lenkt Ehefrau Regine den Familienwagen, einen Golf Variant, wenn beide mal raus wollen aus ihrem Reihenhaus in Marmstorf. "Wir klappen die Rücksitze zurück und Hans' Trike und mein Klapprad passen gut in das Auto", sagt die ehemalige Lehrerin der Gesamtschule Harburg. Und das sind die Touren, die Hans und Regine Wölmer in der südlichen Metropolregion Hamburg gemeinsam unternehmen; sie sind auch für nicht behinderte Radfahrer sehr empfehlenswert: 1.) Marmstorf - Tötensen - Sieversen - Sottorf - Vahrendorf - Marmstorf. 2.) Marmstorf - Glüsingen - zum Junkernfeld und zurück. 3.) Marmstorf - Neuland - Harburger Binnenhafen mit einem Abstecher zur Alten Harburger Elbbrücke und zurück. Und 4.) Marmstorf - Alte Harburger Elbbrücke - Wilhelmsburg - Veddel - Entenwerder, "zu unserer Freundin, die hat einen Garten an der Bille", und zurück.

Hans Wörmer kann den Elektromotor stufenlos zuschalten, über einen Schaltknopf am rechten Lenkgriff. "Ich kann die Kraft, die ich mit den Beinen einsetzen will, somit gut dosieren. Aber ich muss die Beine immer bewegen, sonst geht der Motor aus." Der Marmstorfer fährt mit einer kombinierten 14-Gang-Narbenschaltung (hinten) und einer zweirädrigen Kettenschaltung (vorne).

"Was ist ihr Ziel?", frage ich Hans Wörmer am Ende unseres Gespräches. "Im Moment kann mein Ziel nur darauf ausgerichtet sein, meine Situation peu à peu zu verbessern", sagt der Marmstorfer. Mit der moralischen Unterstützung seines Hausarztes kann Hans Wörmer jetzt schon ein paar Schritte langsam im Wohnzimmer gehen. Und das ganz ohne fremde Hilfe.