Nur der Lichtkegel der Schreibtischlampe fällt auf das aufgeschlagene Buch vor mir. Ich lehne mich zurück und sehe durch das Fenster den Mond. Er hat sich langsam von links unter dem oberen Fensterrahmen ins Blickfeld geschoben.

Mir fällt sofort das Schlaflied für Kinder ein: "La Le Lu, nur der Mann im Mond schaut zu." Für einen Augenblick komme ich auf den lustigen kindlichen Gedanken, dass der Mann im Mond mal einen neugierigen Blick auf meinen Schreibtisch wirft. Ja, ja, der Mann im Mond. Als Kind hatte er mich genauso intensiv beschäftigt, wie der Weihnachtsmann. Ich konnte ihn zwar dort oben im Mond nicht erkennen. Aber die Erwachsenen behaupteten, dass es ihn gebe. Meine Fragen wurden nie vollständig beantwortet: Wo bleibt der Mann im Mond bei Halbmond oder bei einer noch schmaleren Mondsichel? Versteckt er sich dann irgendwo in der Dunkelheit? Schaut der Mann im Mond auch zu, wenn kein Mond am Himmel zu sehen ist? Kann der Mann im Mond auch mal herausfallen, wenn er sich zu weit vorbeugt? Ist er immer alleine dort oben oder hat er Freunde? Bekommt er nie Besuch? Sieht er es, wenn ich ihm zuwinke? Freut er sich vielleicht darüber? Einige Male winkte ich ihm zu, aber ich hatte nie gesehen, dass er zurückwinkte. Wie gesagt, ich konnte ihn dort oben nie erkennen. Auch heute kann ich ihn nicht erkennen. Aber ich könnte ihm ja noch mal zuwinken. Schließlich hat er mich durch meine Kindheit begleitet. Sieht ja sonst keiner, heute Nacht.