Der Erzählband “Gestern war auch schon ein Tag“ erscheint im Herbst.

Wilhelmsburg. Finn-Ole Heinrich sitzt am Stübenplatz in Wilhelmsburg und sieht ein wenig wie ein Urlauber aus, der gleich den Rucksack umschnallt und auf Wanderschaft geht. Der Bart steht schon mehr als drei Tage, die strubbeligen Haare sind rötlich, von der Sonne ausgeblichen und lose zu einem Zopf zurückgebunden, dazu trägt er Cargohosen und ein ausgeblichenes Shirt.

Während Finn einen Grashalm zwischen den Fingern zerreibt und seine Hände damit grün einfärbt, erzählt er, dass er in der Nacht aus dem Urlaub gekommen ist. Vom Segeln mit Freunden auf dem Ijsselmeer. Das hat Finn sich verdient. Denn gerade ist sein neues Buch fertig geworden, der Erzählband "Gestern war auch schon ein Tag", der im Herbst im Mairisch-Verlag erscheinen wird.

Über Finn, den jungen Autor, schreiben Kritiker Sätze wie: "Für die Literaturszene ist Finn-Ole Heinrich derzeit die wohl größte Nachwuchshoffnung." Finn ist als Autor mittlerweile ziemlich routiniert. Mit Fragen "ob er den Erfolg manchmal auch fassen könne", kann man den Mann mit Geburtsjahr 1982 nicht aus der Reserve locken. Finn ist professionell in einem entspannten Sinne, obwohl er auf den ersten Blick schüchtern und sensibel wirkt. Er war schon auf Lesetour in ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich. "Hundert Lesungen pro Jahr sind es sicher, schätzt Finn auf Nachfrage. Seit dem ersten Erzählband "Die Taschen voll Wasser", der 2005 erschien, waren es rund 500 Termine. Zuletzt war Finn mit seinem Roman "Räuberhände" unterwegs.

Lesen vor Publikum mag er, und dort läuft er zum Unterhalter auf. Nur irgendwann, wenn man immer aus dem gleichen Buch vorlese, werde das am Ende doch hart. Bald kann Finn aus seinem dritten Roman vortragen, der Kritikern zufolge eine neue Stufe seines bildgewaltigen Schreibens erreicht.

Im Literaturbetrieb ist Finn angekommen, das Schreiben im Zug ist normal, allein schon der Zeit wegen. Konzentrationsprobleme? Fehlanzeige. Finn und ich sitzen am Deich in Wilhelmsburg und schauen auf den Spreehafen und die schunkelnden bunt gestrichenen Hausboote. Finn mag diesen Ort. Hier wünscht er sich ein Büro zum Schreiben. Wilhelmsburg ist seit diesem Jahr Finns Wahlheimat. In der Fährstraße im Reiherstiegviertel wohnt er in einer WG mit einem Freund aus der Schulzeit. Freunde sind ihm überhaupt wichtig.

Das Thema spiegelt sich literarisch wider: Der 2007 erschienene Roman Räuberhände erzählt in Finns klarer, schlichter, aber sehr lebendiger Sprache von den unterschiedlichen Freunden Janik und Samuel, deren Beziehung in Istanbul eine harte Zerreißprobe erlebt.

Abgehoben ist Finn angesichts des Erfolges nicht, das ist klar. Aber selbstbewusst und zufrieden ist der 26-Jährige auf eine angenehme Art. Letztes Jahr klappte bei ihm einfach alles. Wie im Märchen. Erst wurde er Stadtschreiber in Erfurt, wo er zusätzlich noch eine Wochenend-Kolumne für die Thüringer Allgemeine verfasste und Beiträge für das Radio schrieb. Er heimste den Niedersächsischen Förderpreis für Literatur ein, das Stipendium Lamspringe, ein Stipendium der Märkischen Kulturkonferenz und eine BKM-Drehbuchförderung. Ob er jetzt nichts vergessen habe, überlegt Finn und schiebt sein besonderes, sehr kleines und sehr sympathisches Grinsen hinterher.

Ach ja, den MDR-Publikumspreis. Finn ist einer jener jungen Leute, denen Dinge gelingen und die wissen, dass sie gut sind, dabei aber entspannt bleiben. Ob vieles autobiografisch in seinen Werken sei? Nein, ihm fallen Szenen, Personen und Geschichten einfach ein: "Ich mache die Augen zu, um eine Szene genauer zu sehen und dann wird sie meist für das Schreiben lebendig." "O Gott, was rede ich hier", schiebt Finn gleich hinterher.

Während die Ameisen über unsere Füße krabbeln, erzählt er wie es mit seinem Verlag, anfing. Eines Tages, als er in Hamburg bei Kaffee.Satz.Lesen, dem Sonntagssalon für neue Literatur, beim Poetry-Slam auf der Bühne stand, habe ihn hinterher in der S-Bahn Daniel Beskos, einer der Gründer des kleinen Mairisch Verlages mit Sitz in Berlin und Hamburg angesprochen. Ob er ihr Autor werden wolle? Inzwischen haben bei Finn große Verlage angeklopft, aber noch ist er glücklich über seinen Verleger, für den jedes Buch eine Herzensangelegenheit ist.

Mit Daniel Beskos ist Finn zur Recherche für Räuberhände nach Istanbul geflogen und hat dort überlegt, was Jakob und Samuel hier wohl gesagt hätten. Dass Finn zum Schriftsteller wurde, war eigentlich nicht abzusehen und nicht geplant. Gelesen habe er nie freiwillig und auch heute zeichne er sich nicht durch überbordende Lektüre aus: "Wenn etwas richtig gut ist, ärgere ich mich, dass ich das nicht geschrieben habe." Doch vor dem elterlichen Buchregal in Cuxhaven gab es in der Schulzeit mal ein Initialerlebnis mit Max Frischs Roman Stiller. Danach war klar: "Ich werde Schriftsteller."

Finn begann zu schreiben und wurde tatsächlich zu zwei Wettbewerben eingeladen. Heute findet er seine ersten Gehversuche zwar nicht erwähnenswert, dass die Resonanz damals so positiv war, sei aber ungemein wichtig gewesen. "Ich brauchte die Förderung als Ermunterung." Eine Herausforderung am Schreiben ist, dass "man sich ernsthaft in fremde Welten stürzen kann, Zeit zum Recherchieren hat." Manche Geschichten lassen sich jedoch nicht mit Worten erzählen.

Deswegen hat Finn in Hannover bis 2008 Film studiert, um mit Bildern zu sprechen. Film liefert ihm das Alibi für mehr Geselligkeit, die Flucht vor dem einsamen Schreibtisch: Mit dem Kurzfilm "Fliegen" war Finn sogar auf der Berlinale. Viele finden, dass er szenisch und visuell schreibt, was wohl an seinem Studium liegt.

Der neue Erzählband handelt von Menschen, die sich abstrampeln müssen, um nicht unterzugehen: "Mich interessiert das Existentielle." Dass das lustig ist bei einem, dem alles in den Schoß fällt, muss Finn mit seinem verdammt netten Grinsen doch zugeben.