Die Arbeitsergebnisse werden im Projekt “Erlebte Geschichte“ verarbeitet und dem Publikum vorgeführt.

Ehestorf. Die neueste geschichtswissenschaftliche Erkenntnis der Forscher am Freilichtmuseum am Kiekeberg: Der Handwerker in der Heide zu Beginn des 19. Jahrhunderts trug bereits englisches Tuch und keinen heimischen Stoff. Hosen aus Manchester, heute besser als Cord-Büx bekannt, waren entgegen der bisherigen Annahme kein Luxusgut, sondern Arbeitskleidung. Das hat Dr. Nils Kagel in Inventarlisten, eine Art Testament für Arme, entdeckt. Der Kiekeberg-Forscher fand heraus, dass eine große Anzahl Häuslinge, also Handwerker, die bei Bauern zur Miete wohnten, die Cordhosen vererbten. Ein Beweis dafür, dass der Import aus England in den "unterbäuerlichen Schichten" weit verbreitet war.

Die Erkenntnis über die Cord-Büx in der Heide um 1808 mag keine Sensation sein. Aber die Forschung am Kiekeberg-Museum tilgt bisher weiße Flecken im Geschichtsbuch. Der modische Schlag an der Cordhose von heute war unseren Vorfahren in der Elbmarsch und Lüneburger Heide übrigens unbekannt. Der Zimmermann trug den englischen Edelstoff als Kniebundhose. Gamaschen schützten das Wadenbein. Das Tuch aus Manchester brachte ein Heer von Kleinhändlern von Hamburg aufs Land. "Damals riefen Kleinhändler an jeder Ecke ihre Waren aus. Das kennt man heute nur noch von Aale-Dieter", sagt Dr. Kagel.

Die Forschung über "Handwerk und Gewerbe im historischen Alltag" ist ein Teil des erfolgreichen Projekts "Gelebte Geschichte" am Freilichtmuseum in Ehestorf. Die Ergebnisse nach eineinhalb Jahren Arbeit stellte das Kiekeberg-Museum jetzt vor. Das Forschungsprojekt läuft noch bis Ende des Jahres. In den nächsten sechs Monaten geht es vor allem darum, wie Darsteller der "Gelebten Geschichte" den Museumsbesuchern die Forschungsergebnisse vermitteln sollen.

Dass Laiendarsteller unter der Anleitung von Wissenschaftlern im Museum in die Rolle von Bauern und Handwerkern um 1808 schlüpfen, ist in der Fachwelt nicht unumstritten. Kritiker warnen, ein verzerrtes Bild der Vergangenheit könnte gezeichnet werden. Das Kiekeberg-Museum dagegen ist davon überzeugt: Geschichte könne als Abenteuer erlebbar gemacht werden - und hat Erfolg damit. Die Wirtschaft belohnt das Konzept. Die VGH-Stiftung fördert das Forschungsprojekt "Gelebte Geschichte" - zuletzt mit 30 000 Euro. Der Landrat des Landkreises Harburg, Joachim Bordt (FDP), vertritt offensiv die Museumsstrategie: "Das Freilichtmuseum wird weiter Vorreiter der erlebnisorientierten Wissensvermittlung sein."

Wie das in der Praxis aussieht, zeigte jetzt Volker Lorenzen bei der Präsentation der Forschungsergebnisse für Förderer und Projektpartner. Der Zimmermeister des Kiekeberg-Museums bearbeitete geschickt mit der Kreuzaxt und einem Breitbeil einen Holzbalken für den Hausbau. Die alten Werkzeuge erfordern Arbeitstechniken, die in keinem Geschichtsbuch stehen. "Wir wussten erst nichts mit dem langen Stil der Axt anzufangen", so Lorenzen. Mit Hilfe einiger weniger Aufzeichnungen von Handwerkern und Abbildungen fanden die Kiekeberg-Forscher auch heraus, wie nur zwei Männer mit Dreibein und Flaschenzug einen 300 Kilo schweren Balken auf ein Dach hieven können.

In keinem Geschichtsbuch dürfte bislang stehen, was unsere Vorfahren in der Lüneburger Heide vor 200 Jahren als Delikatesse ansahen: Honigkuchen, in Würfel geschnitten, mit reichlich hochprozentigem Korn angereichert. Diese Nachspeise gab es nur an Festtagen.