1986 pflanzten die Schwiegers eine Eiche an der Mengestraße. Jetzt muss der Baum weg und mit ihm 338 weitere. Grund: der Bebauungsplans Wilhelmsburg 89.

Wilhelmsburg. Dies ist eine Geschichte, in der es um ein großes Thema geht: "Liebe oder Geld?" Es geht um die Liebe, weil es hier um einen Mann und eine Frau geht, die sich wirklich lieben. Sie haben am 23. Mai 1986 im Harburger Standesamt geheiratet und sind kurz darauf mit der Hochzeitsschar nach Wilhelmsburg gefahren. Dort warteten Freunde auf einer Wiese an der Ecke Mengestraße/Dratelnstraße. Sie schenkten dem Brautpaar, Henning und Anne Schwieger, geborene Ganter, eine Eiche. Eine Hochzeitseiche.

Ein Baum der Liebe. Ein Lebensbeweis. Ein Liebesbeweis.

Der Baum hatte 500 Mark gekostet, womit wir beim Thema Geld wären. 500 Mark gaben Sabine Clasen (46), Annes Freundin, und ihre Freunde für den Baum aus. Der Baum sollte alt und stark werden. Er sollte so schön werden wie die Liebe der Schwiegers. Und er sollte den Winden über Wilhelmsburg trotzen, wie Anne (47) und Henning (49) den Stürmen der Liebe und des Lebens trotzen würden.

Der Baum hatte einen Umfang von 15 Zentimetern, als Anne und Henning ihn pflanzten; der damalige Wilhelmsburger Ortsamtsleiter Bernhard Dey stand Pate. Heute misst der Baum 105 Zentimeter im Umfang. "So eine Eiche", sagt das Liebespaar, "holzt man nicht einfach ab."

Aber der schöne Baum soll trotzdem einfach weg. Weg mit elf anderen Eichen - von elf anderen Brautpaaren. Denn da gibt es den Bebauungsplan Wilhelmsburg 89. Der sieht vor, dass die Eichen gefällt werden. Plus weitere 338 Bäume: "Durch den Bebauungsplan sollen insbesondere (...) die baulichen Maßnahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der Internationalen Gartenschau (igs) bauplanungsrechtlich vorbereitet werden."

Weg mit den Bäumen der Liebe. Häuser her. Und Geld her. Viel Geld. Viel mehr Geld als die zwölf Hochzeitseichen, die 500 Mark gekostet hatten.

Wilhelmsburg 89 schließt den Bau mehrerer Bürogebäude ein - sie können eine Höhe von 13 bis 54 Meter erreichen. Das bedeutet Arbeit für viele Menschen. Das bedeutet Arbeitsplätze nach dem Bau für viele Menschen. Das bedeutet viel, viel Geld.

Der Pressesprecher des Bezirksamtes Hamburg-Mitte versucht den Ball flach zu halten: "Der Bebauungsplan liegt noch bis zum 15. Juli 2009 öffentlich aus", sagt Lars Schmidt (30). "Es können also noch Bedenken, Anregungen oder Einwände von jedermann geäußert werden. Das gilt sowohl für die Hochzeitseiche als auch für die geplanten Gebäude. Nach der öffentlichen Auslegung werden alle Einwände geprüft und erst dann abschließend entschieden, was gefällt oder gebaut werden soll."

IBA und igs werden von der Stadt bezahlt. Ihre Projekte öffnen 2013 ihre Pforten. Bis dahin soll viel gebaut und gepflanzt werden. Und bis dahin kommt auch Annes und Hennings Eiche weg, glauben Anne und Henning. "Es verschwindet ein Zeichen aus einer Zeit, als Wilhelmsburg noch anders, noch ärmer, noch schöner in vielem war. Es verschwindet ein Zeichen aus einer Zeit vor der Aufwertung der größten Flussinsel Europas."

Wenn es sein muss, würde Henning Schwieger die Eiche persönlich fällen, mit seiner Motorsäge. Dann wird er daraus eine Bank bauen, sein Vater war Tischler. Dann wird er die Bank unter eine Linde in seinem Garten stellen und mit seiner Frau in die Lindenkrone schauen. In eine Lindenkrone in Oelstorf im Landkreis Harburg.