Die junge Frau war im S-Bahnhof Harburg-Rathaus geschlagen worden. Der Verdächtige schweigt zur Tat.

Harburg. Die Bundespolizeiinspektion Hamburg kann offenbar einen großen Erfolg verbuchen: Fünf Ermittler der Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit (MKÜ) haben jenen Mann festgenommen, der dringend verdächtigt wird, am 16. Februar 2009 im S-Bahnhof Harburg-Rathaus die 17 Jahre alte Handelsschülerin Özlem mit der Faust blutig geschlagen zu haben (die Harburger Rundschau berichtete).

Der mutmaßliche Täter ist ein 24 Jahre alter, kräftiger Deutscher, der in der Türkei zur Welt kam. Er wohnt in Wilhelmsburg und arbeitet nach Informationen der Harburger Rundschau in der Nähe des S-Bahnhofes Harburg-Rathaus. Fünf Zivilfahnder der MKÜ haben ihn am 2. Juni gegen 5.20 Uhr am S-Bahnhof Wilhelmsburg vorläufig festgenommen.

Mitten am Tag, gegen 15 Uhr, wurde Özlem damals Opfer einer Gewalttat. Kurz vor dem Aufgang Neue Straße schlug ihr der Mann mit voller Wucht ins Gesicht. Voll auf die Nase. "Die Nasenpyramide ist leicht nach rechts deviiert", heißt es im ärztlichen Bericht der Asklepios Klinik Harburg - sprich: die Harburgerin hat nach dem heftigen Boxschlag eine "leichte Schiefnase".

Das besonders Prekäre an dem Vorfall damals: Unzählige Menschen, darunter viele Männer, standen nicht mal einen Meter von Özlem entfernt, als der Unbekannte sie belästigte und bedrängte. Aber kein einziger hat ihr geholfen, hat eingegriffen, geschweige denn sie betreut, als sie nach dem Schlag stark blutete.

Es war schließlich die Harburgerin Cornelia K. (37), die sich mit einer Frau Özlems annahm und zu ihrem Vater brachte. Und Cornelia K. war es, die der Fall seit Februar nie losgelassen hat. "Wie kann einer jungen Hamburgerin so ein Unrecht am helllichten Tag geschehen?", sagte sie sich immer wieder. "Aber ich werde diesem Schurken sicherlich noch mal begegnen."

Eigentlich hätte der Fall Özlem schon viel früher aufgeklärt werden können. Denn natürlich nahmen zahlreiche Kameras die Missetat damals auf. Aber dann passierte eine große Panne: Die Landespolizei spielte der Bundespolizei Bilder von falschen Orten zu - also kein Material von der Tat. Opfer und Zeugin bestätigten der Harburger Rundschau: "Uns wurde das aufgenommene Material von Gleis 1 gezeigt. Wir sind aber mit dem Täter auf Gleis 2 in Harburg-Rathaus angekommen."

Der Fall schien also schon negativ abgeschlossen, da nahm er eine erstaunliche Wendung: Cornelia K. fuhr am 31. März wieder einmal mit der S 31 in Richtung Neugraben. In Wilhelmsburg stieg ein Mann ein, setzte sich neben sie. "Ich döste und schaute ab und zu mal aus dem Fenster", sagt Cornelia K. "Der Mann neben mir hat mit einem Feuerzeug geschnipst." Kurz vor Harburg-Rathaus ging der Mann 14.57 Uhr zur S-Bahn-Tür. Cornelia K. folgte ihm. Dann der Hammer: "Ich habe mir den Mann angeguckt. Sofort war mir klar: Das ist der Mann, der Özlem blutig geschlagen hat."

Cornelia K. blieb hinter dem Mann, fuhr hinter ihm die Rolltreppen hoch.

Einen Tag später informierte sie die Bundespolizei und die Harburger Rundschau. Und die Bundespolizei nahm den Fall ernst. "Wir haben die Bänder von 22 Kameras am S-Bahnhof Harburg-Rathaus ausgewertet", sagt Pressesprecher Rüdiger Carstens (42).

Cornelia K. bekam die Bänder zu sehen. Ganz klar erkannte sie den mutmaßlichen Täter. In der S-Bahn ist er neben ihr stehend zu sehen. Und auf der Rolltreppe fährt Cornelia K. genau hinter ihm hoch, wie das Bild zeigt, das wir heute veröffentlichen.

Den mutmaßlichen Schläger aus Wilhelmsburg haben Beamte der Bundespolizei auf der Dienststelle am Klosterwall 25 Minuten lang vernommen. "Er ist nicht geständig und gibt keine weiteren Auskünfte", sagt Rüdiger Carstens. Haftgründe liegen nicht vor, so die Bundespolizei. Der Mann ist also wieder auf freiem Fuß.

Jetzt bekommen Özlem und Cornelia K. eine "Wahllichtbildmappe" mit mehreren Bildern vorgelegt. Auf einem Bild wird der mutmaßliche Täter zu sehen sein, den es zu identifizieren gilt. "Danach", so Rüdiger Carstens, "wird die Akte an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Cornelia K. ist diejenige, mit deren Hilfe wir die Fahndung aktivieren konnten."

Özlem schilderte den Vorfall nach der Tat so: "Kurz vor der ersten Rolltreppe stand der Mann vor mir und sagte, ,Willst du 'ne Zigarette?' Ich habe ihn ignoriert. Dann zeigte er mir auf der Rolltreppe sein Feuerzeug und sagte ,Soll ich Deine Haare verbrennen?' Er kam mit der Flamme bis wenige Zentimeter vor meine Haare. Ich habe mit meinem rechten Arm seine Hand weggeschubst."

Die Bundespolizei hat "bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Hinweise darauf, dass der mutmaßliche Täter psychische Störungen hat". 2008 wurden bei der Bundespolizei in Hamburg 1081 Körperverletzungsdelikte angezeigt, im Jahr zuvor waren es 966. Die Bundespolizei hat 55 Bahnhöfe und 275 Bahnkilometer in der Hansestadt unter ihrer Kontrolle.