Beim Musikfest “48 Stunden Wilhelmsburg“ spielten mehr als 500 Musiker zwischen Freitag und Sonnabend an gewöhnlichen und ungewöhnlichen Orten.

Wilhelmsburg/Veddel. Veringstraße, Ecke Mannesallee, Platz an der Bushaltestelle, zweiter Balkon rechts oben. Wer zum Konzert des Trio Quattro will, muss nicht lange suchen. Unmissverständlicher kann der Ort gar nicht beschrieben werden, an dem die Musiker auftreten. Etwa eine halbe Stunde lang bietet das Trio vom Balkon der Wohnung aus, in der Sängerin Karin Kasar und Gitarrist Joaquin Arevalo Iglesias leben, "entschleunigte Klassiker aus Rock und Pop".

Der Auftritt ist einer von 50 Veranstaltungen des Musikfests "48 Stunden Wilhelmsburg", das am vergangenen Wochenende zum mittlerweile dritten Mal die Elbinseln Wilhelmsburg und Veddel in eine einzige große Bühne verwandelt hat.

Mehr als 500 Musiker haben die Organisatoren vom Netzwerk für Musik von den Elbinseln und der Stiftung Bürgerhaus Wilhelmsburg dazu bewegt, zwischen Freitag- und Sonntagabend an den unterschiedlichsten Orten für die Öffentlichkeit zu spielen. In einer Buchhandlung, im Fahrstuhl eines Pflegeheims, in einem Friseursalon, aber auch an klassischeren Konzertorten wie im Freizeithaus Kirchdorf Süd, im Bürgerhaus Wilhelmsburg und in der Soulkitchen-Halle.

Bei so viel Vielfalt musste auch Karin Kasar nicht lange überlegen, ihren Balkon zur Verfügung zu stellen. "Wir machen schon zum zweiten Mal mit, und es ist immer wieder toll", schwärmt die Musikerin, die vor zehn Jahren von Eppendorf auf die Elbinsel gezogen ist. Es gebe so viele Musiker in Wilhelmsburg, da sei das Musikfest eine schöne Gelegenheit, sich untereinander kennenzulernen und zugleich den Bürgern im Stadtteil etwas zu bieten. "So kann jeder sehen, wer überhaupt sein Nachbar ist."

Diese Gelegenheit haben auch Karsten Gandor und Carola Mohrdieck genutzt. Der selbstständige Veranstaltungstechniker und die Altenpflegerin wohnen mit Söhnchen Bill, 2, gleich nebenan und haben sich wie viele andere Zuhörer auf die runde Bank vor dem Haus gesetzt, um den Auftritt in luftiger Höhe zu verfolgen. "Wir haben früher auf der Veddel gewohnt", sagt Carola Mohrdieck. Doch weil es dort in ihren Augen relativ trostlos war, haben sie sich vor einem Jahr für das quirligere Wilhelmsburg entschieden. Den Umzug der Kulturen hätten sie sich ja auch gern angeschaut, sagt sie. "Aber leider muss Bill dann seinen Mittagsschlaf halten."

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Schade, denn die drei verpassen so einen der Höhepunkt der gesamten Veranstaltung. Fabelwesen auf Stelzen, grünblättrige Bäume, Stiere und Kraken ziehen in einer Parade über den Vogelhüttendeich die Veringstraße hinunter zum Bürgerhaus an der Mengestraße. Afrikanische Trommeln erklingen ebenso wie türkische Rhythmen.

Auf einmal horcht auch die zuvor relativ unbeteiligte Menge auf, die auf dem Wochenmarkt am Stübenplatz gar nichts vom Musikfest mitbekommen hat. Junge Mädchen mit Kopftuch zücken ihre Handykameras und machen Fotos von den landestypisch gekleideten Musikern, Frauen mit Einkaufstüten in der Hand bleiben stehen und lächeln, Autofahrer fahren ihren Wagen rechts ran und schauen zu. Aus den Kiosken, Imbissbuden und kleinen Läden strömen die Kunden auf die Veringstraße, um zu erfahren, was dort los ist, während manche Familie nur vorsichtig die Wohnzimmergardine zur Seite schiebt, um sich ein Bild zu machen.

"Mit dem Musikfest gelingt es, die Leute im Stadtteil zusammenzubringen", ist sich Ines Obrul sicher. Die Wilhelmsburgerin ist mit ihren Töchtern Coco, 2, und Betty, 5, unterwegs und begleitet die Parade vom Bürgersteig aus. Die Familie ist im neuen Wohnprojekt Open House der Internationen Bauausstellung an der Dierksstraße, Ecke Vogelhüttendeich, zu Hause. Das Projekt beteiligt sich ebenfalls als Veranstaltungsort an dem Fest.

Auch wenn der Umzug nicht besonders groß sei, sei er ja vor allem für die Kinder eine tolle Sache, meint Ines Obrul. Vielleicht liegt das aber auch ein bisschen an den Bonbons, die im Minutentakt im hohen Bogen vom Umzugswagen in die Menge sausen.