Hamburg. Warum Eltern von Frühgeborenen eine aktive Rolle spielen sollten. Hamburger Chefärztin spricht über neue Studien aus Skandinavien.

Es ist eine Szene, wie man sie aus Filmen kennt. Vielleicht aber manchmal auch aus trauriger Erinnerung: Da liegt dieses winzige, zarte Baby allein auf der Frühchen-Station. Mutter und Vater dürfen es ab und zu besuchen, manchmal das kleine Händchen streicheln.

„Diese Zeit, in der Eltern nur Besucher beim eigenen Kind waren, ist zum Glück vorbei“, sagt Dr. Susanne Schmidtke, Chefärztin für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin an den Asklepios Kliniken Barmbek und Nord – Heidberg. In den Anfängen der Neonatologie sei es jedoch vor allem darum gegangen, medizinische Pionierarbeit zu leisten, das Überleben und Gedeihen der Babys, die teils weit vor 37 Schwangerschaftswochen auf die Welt kommen, sicherzustellen.

Krankenhaus Hamburg: Frühchen – Licht und Lärm belasten sie stark

„Heute haben wir dieses Handwerkszeug, für das Generationen von Medizinerinnen und Medizinern geforscht und gekämpft haben, und können nun auf dieses Wissen aufsetzen und eben auch auf andere Einflüsse verstärkt achten“, sagt Dr. Schmidtke.

Frühchen-Expertin: Dr. Susanne Schmidtke ist Chefärztin für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin an den Asklepios Kliniken Barmbek und Nord – Heidberg.
Frühchen-Expertin: Dr. Susanne Schmidtke ist Chefärztin für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin an den Asklepios Kliniken Barmbek und Nord – Heidberg. © Funke Foto Services | Michael Rauhe

Heißt zum Beispiel: kein grelles Licht auf den Stationen, möglichst wenig Lärm, keine zusätzliche Belastung für die Neugeborenen, die mit dem zu frühen Eintritt in die Welt ohnehin genug Stress haben. „Außerdem wissen wir heute, dass die Familie, vor allem aber naturgemäß die Mutter, in der Frühphase am allerwichtigsten ist“, sagt die engagierte Medizinerin, die selbst dreifache Mutter ist.

Frühchen – Hamburger Chefärztin setzt auf „Rooming-in“

Mit ihrem berufsgruppenübergreifenden Team setzt die Chefärztin in ihren Abteilungen deshalb auf Konzepte wie das sogenannte „Rooming-in“: „Die Babys sind von der ersten Minute an bei der Mutter, sind mit der Familie auf einem Zimmer.“

Wenn sie Berichte über andere Kliniken lese, in denen es heiße: „Schon nach 48 Stunden darf das Frühchen zu seiner Mutter ...“, dann schüttele es sie innerlich ein bisschen. „Bestimmt wollen die Kollegen auch das Beste, aber 48 Stunden sind eigentlich 48 Stunden zu spät.“

Krankenhaus Hamburg: Känguru-Methode kann Brutkasten ersetzen

Auch von der Känguru-Methode (engl. Kangarooing), die den Brutkasten teils überflüssig macht, weil das Frühgeborene eng auf dem Körper von Mutter oder Vater liegt und auf diese Weise warm gehalten wird, hält die Medizinerin, die in Münster studiert und längere Zeit am UKE gearbeitet hat, sehr viel: „Es gibt Evidenz, dass diese Methode hilft, weil sie den Trennungsschock, der mit einer Isolation im Brutkasten häufig einhergeht, verhindert.“

Für die gesamte Entwicklung eines Kindes sei es entscheidend, die Eltern frühzeitig aktiv einzubinden: „Es macht etwas mit Eltern, wenn sie natürlich in großer Sorge um das eigene Baby sind, aber gleichzeitig das Gefühl haben, nichts tun zu können.“ Diese Passivität und Unsicherheit präge und ziehe sich womöglich durch die ganze Erziehung des Kindes.

Frühchen – Eltern von Anfang an aktiv einbinden

„Ich vertraue den Müttern und Vätern. Wenn ich morgens bei der Visite in das Gesicht einer strahlenden Mutter sehe, dann weiß ich: Alles ist gut“, sagt Dr. Schmidtke. „Wir hören auch darauf, wenn eine Mutter sagt: Ach, die Windel ist noch gut. Oder wenn sie sagt, das Kind brauche vielleicht doch jetzt schon etwas Muttermilch.“

Wichtig sei, dass ihre Patienten nicht im engeren Sinne krank seien. „Ja, sie sind sehr winzig und leicht. Aber nicht alle sind erkrankt. Unsere Hauptaufgabe ist es also, Komplikationen zu vermeiden und die richtigen Weichen für ein gesundes Leben zu stellen.“ Klinge banal, sei aber schwierig. „Denn was richtig ist, erweist sich manchmal erst Jahre später“, so die Chefärztin. So gehe es schon in den ersten Wochen darum, das Risiko eines späteren metabolischen Syndroms (Übergewicht, Bluthochdruck, Zuckerkrankheit) zu senken.

Krankenhaus Hamburg: Bakterien wichtig für die Entwicklung eines Kindes

„Wir wissen, dass das sogenannte Mikrobiom extrem wichtig ist. Im Klartext: Es müssen sich Bakterien ansiedeln. Geht ein Baby zwei Tage nach der Geburt nach Hause, geschieht das durch den Besuch von Oma, Tanten, Freunden und den Kontakt mit dem Hausdackel quasi automatisch.“ Für ein Frühchen, das teils bis zu drei Monate im Krankenhaus bleibe, sei das schwieriger: „Umso wichtiger sind die Mutter und die Muttermilch.“

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Grundsätzlich müsse man sich bei einem Frühchen immer überlegen, ob ein Eingriff wirklich notwendig sei. Dr. Schmidtke: „Muss ich wirklich Blut abnehmen? Muss ich einen Beatmungsschlauch legen? Ist der Katheter sinnvoll? Denn all das ist für ein reifes Baby oder einen Erwachsenen teils ja schon belastend.“

Hamburger Chefärztin: Arbeit mit Frühchen der „schönste Beruf der Welt“

Sehr spannend und überraschend sei eine aktuelle Studie aus Skandinavien, wonach der Schulabschluss der Mutter einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung eines Frühchens habe. „Klar, jetzt kann man die PISA-Studie zitieren und sagen, dass das in Deutschland grundsätzlich leider so ist, dass die Bildung der Eltern nach wie vor den Lebensweg der Kinder prägt“, sagt Dr. Susanne Schmidtke.

Bei Frühchen sei es jedoch in anderen Ländern, zum Beispiel in Finnland, ganz anders. Es gebe mehr Chancengleichheit. „Da gilt es herauszufinden, was dort anders läuft.“

Ihren Beruf empfindet die Chefärztin als den „schönsten der Welt“: „Wir helfen, wir arbeiten im Team. Und ja, es gibt harte Momente, lebensbedrohliche Szenarien. Aber es gibt auch ganz viel Dankbarkeit.“