Hamburg. Die Bluttaten von Werner Pinzner haben Hamburg geschockt. Sie enden mit einem grausamen Showdown im Polizeipräsidium.

Ein Schuss hallt durch den Raum. Dann ein zweiter und dritter. Ein durchdringender Knall jedes Mal – ein Geräusch, das sich in das Gedächtnis derer einbrennt, die es miterlebt haben. Die Folgen der Schüsse sind verheerend: Drei Menschen sterben an diesem Tag in Hamburg. Es sind Verbrechen, deren Nachwirkungen sich wie Schockwellen ausbreiten, weit über die Hansestadt und weit über diesen Julitag hinaus. Diese Morde haben Hamburg erschüttert.

Denn die Kugeln werden im „Allerheiligsten“ der Polizei Hamburg abgefeuert, im Hochsicherheitstrakt des Präsidiums, einem Bereich, der als besonders geschützt gilt. Mit den tödlichen Schüssen wird die Institution Polizei bis ins Mark getroffen. Zwei Senatoren werden später zurücktreten, und eine Verbrechensserie ist aufzuarbeiten.

St. Pauli-Killer: „Ich bin der Eliminator. Alle haben Angst vor mir“

Im Zentrum dieser katastrophalen Ereignisse vom Sommer 1986 steht ein Mann, der über Leichen geht. Es ist St. Pauli-Killer Werner „Mucki“ Pinzner. „Ich bin der Eliminator. Alle haben Angst vor mir“, hat der Hamburger getönt. Für ihn ist sein Dasein als Auftragsmörder „ein Job wie jeder andere. Das Arbeitsamt hatte ja doch nichts für mich“, schrieb er einst. Menschenverachtender geht es kaum.

Mit dieser Skrupellosigkeit ist er über die Jahre zu einem Kerl avanciert, den Bosse auf dem Kiez als Mann fürs Grobe anheuern – wenn ein unliebsamer Konkurrent aus dem Weg geräumt werden soll.

Wie der „St.-Pauli-Killer“ die Polizei ins Mark traf

Pinzner selber nennt sich auch den „Killer der Nation“, einer, der für Geld tötet. Die blutige Spur, die Pinzner hinter sich herzieht, führt in der Zeit zwischen Juli 1984 bis April 1985 von Kiel bis München, einmal durch ganz Deutschland. 30.000 Mark, so heißt es, werden durchschnittlich für seine mörderischen Dienste gezahlt.

Verbrechen Hamburg: 30.000 Mark werden für die Auftragsmorde gezahlt

Er scheint regelrecht berauscht von der Macht, die ihm seine Schusswaffe in die Hand gibt. Sein steter Begleiter ist ein Arminius-Revolver vom Kaliber 38 spezial. Wohl kaum ein anderer Profikiller hätte dieselbe Waffe mehr als einmal verwendet, denn die abgefeuerten Projektile sind beinahe so charakteristisch wie ein Fingerabdruck. Pinzner dagegen hinterlegt an jedem Tatort gleichsam seine „Visitenkarte“.

Offenbar hält er sich für unbezwingbar – und rechnet demzufolge auch nicht damit, dass die Polizei ihm auf die Spur kommen würde. Als er dann am 15. April 1986 durch ein Mobiles Einsatzkommando in seiner Wohnung festgenommen wird, liegt auf dem Sofa des Killers eben jener Revolver, der in mehreren Mordfällen als Tatwaffe ermittelt wurde.

Polizei Hamburg: MEK nimmt den St. Pauli-Killer fest – ein großer Coup

Dass der Mann, der als Serienkiller gilt, nun hinter Gitter kommt, ist für die Polizei ein großer Coup – und für Pinzner ein Supergau. Nicht nur, dass ihm klar sein muss, dass ihm sehr viele Jahre Haft drohen. Sondern auch, dass dieser unfreiwillig öffentliche Auftritt so gar nicht zu seiner Selbstwahrnehmung passt. Da hätte er sicher gern als derjenige dagestanden, der das Sagen hat, gern mit zum „Victory-Zeichen“ erhobener Hand oder noch besser in Heldenpose.

Mit dieser Schusswaffe, einer Smith and Wesson .38 spezial, hat Werner Pinzner bei einer Vernehmung im Juli 1986 im Hamburger Polizeipräsidium den Staatsanwalt, seine Frau und danach sich selbst erschossen.
Mit dieser Schusswaffe, einer Smith and Wesson .38 spezial, hat Werner Pinzner bei einer Vernehmung im Juli 1986 im Hamburger Polizeipräsidium den Staatsanwalt, seine Frau und danach sich selbst erschossen. © picture alliance / Michael Probst | Michael Probst

Stattdessen gehen später Fotos um die Welt, die einen derangierten Mann zeigen, von der Hüfte abwärts in eine Decke gehüllt, mit nacktem Oberkörper und verwirrtem Blick. Seine Arme haben ihm die Polizisten auf dem Rücken fixiert, die Hand eines Ermittlers liegt schwer auf Pinzners Nacken. Das wird jemand mit seinem Ego als Demütigung empfunden haben.

Pinzner: „Ich habe acht Menschen umgebracht. Ich bin es!“

Und trotzdem hat er sehr schnell wieder Oberwasser. „Das könnt ihr alles wegschmeißen“, sagt er noch am selben Abend zu einem Staatsanwalt und deutet auf eine Kiste Ermittlungsakten. „Ich kann euch alles erzählen. Ich habe acht Menschen umgebracht. Ich bin es!“ Später behauptet er, es seien sogar elf Morde gewesen.

Die Aussage eines solchen Mannes, ausgestattet mit Insiderwissen und einem offenbar grenzenlosen Mitteilungsbedürfnis, wäre von unschätzbarem Wert für die Polizei. Denn es herrscht seit Längerem reichlich Gewalt auf dem Kiez, die es einzudämmen gilt.

Polizei Hamburg geht gezielt gegen die Organisierte Kriminalität vor

Die Polizei hat nach mehreren Morden im St.-Pauli-Milieu mit der Einrichtung einer Soko reagiert. Außerdem ist in dieser Zeit eine völlig neue Dienststelle ins Leben gerufen worden, die gezielt gegen Organisierte Kriminalität in Hamburg vorgeht. Und nun ist da also jemand in Haft, der augenscheinlich mit den Strukturen im Milieu bestens vertraut ist, der sich zu mehreren Morden bekennt – und offenbar sogar die Namen von Auftraggebern preisgeben will.

Tatsächlich löst Pinzners Verhaftung viel Unruhe auf dem Kiez aus. So manch einer könnte dem 39-Jährigen nach dem Leben trachten, um einen Mitwisser für alle Zeiten (mund)-tot zu machen. Gerüchteweise ist zu hören, dass ein Kopfgeld von 300.000 Mark auf den St. Pauli-Killer ausgesetzt sei. Es hat eine besondere Form von Zynismus, dass der Tod eines Mannes, der für ein Entgelt von durchschnittlich 30.000 Mark gemordet hat, nun das Zehnfache wert sein soll – damit er nicht auspackt.

300.000 Mark Kopfgeld sind angeblich auf Pinzner ausgesetzt

Infolgedessen wird vonseiten der Polizei und der Staatsanwaltschaft dafür gesorgt, dass die Bewachung, wenn Pinzner zu Befragungen ins Polizeihochhaus gebracht wird, sehr eng ist. Niemand soll Gelegenheit bekommen, auf diesen wertvollen Zeugen, der sich mehrerer Auftragsmorde rühmt, ein Attentat zu verüben.

Dass die tödliche Gefahr nicht von außen, sondern von innen droht, ahnt wohl niemand. Pinzner hat selber seinen Abgang geplant. Drei weitere brutale Todesfälle werden an diesem Tag auf das Konto des Serienmörders gehen. Es soll ein Showdown werden, den niemand so leicht vergessen wird.

Pinzner plant einen Showdown, den niemand so leicht vergessen wird

Wie ist Pinzner zum gewissenlosen Killer geworden? Der Hamburger hat schon früh gemerkt, dass rohe Gewalt für ihn besser funktioniert als Argumente. Das beginnt bereits im Elternhaus. Seinen Vater ohrfeigt er bei einem Streit, und die Mutter bedroht er mit dem Messer. Weitere Taten kommen hinzu. Und schließlich wird Pinzner nach einem Überfall auf einen Supermarkt, bei dem der Geschäftsführer erschossen wird, im September 1975 zu einer zehnjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Im Knast beginnt er mit dem Konsum von Drogen, insbesondere Kokain, aber auch Heroin und Crack, und baut Kontakte zur Rauschgiftszene und zum Rotlichtmilieu von Hamburg-St. Pauli auf. Vor allem: Er behauptet steif und fest, bei dem Raubüberfall nicht geschossen zu haben. „Ich saß neun Jahre im Zuchthaus und bin jeden Tag gestorben“, hat der Mehrfachmörder später in einer Vernehmung über seine Zeit hinter Gittern gesagt.

Kiez: GMBH und Nutella-Bande kämpfen um die Vorherrschaft

Und auch, dass der Staat durch die Haft aus ihm erst ein Monster gemacht habe. „Durch diese jahrelange Unterstellung bin ich so weit gekommen, dass ich mir gesagt habe: Da kannst es auch wirklich machen.“ Mit dieser skrupellosen Einstellung kommt Pinzner gut an in gewissen Kreisen auf dem Kiez. Es ist die Zeit, in der mehrere Gruppen von Zuhältern um Einfluss ringen.

Da ist zum einen eine etablierte Gruppe von Zuhältern mit dem Namen GMBH, deren vier Manager rund 120 weitere Mitarbeiter beschäftigen. Mit ihrem Imperium aus Hunderten Prostituierten erwirtschaftet die GMBH mehr als 200.000 Mark monatlich.

Bei ihren Geschäften stehen sie in direktem Wettbewerb zur Nutella-Bande, die zunehmend an Einfluss gewinnt. Und dann sind da noch die Geldeintreiber der Hells Angels. Jede dieser Gruppen will sich möglichst viel vom Kuchen abschneiden, vom großen Geld, das mit Prostitution und Drogen zu verdienen ist. Es entsteht ein erbitterter Machtkampf.

Pinzner empfiehlt sich als der Mann fürs Grobe – „Es ging nur ums Geld“

Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Und im Fall der rivalisierenden Zuhälterbanden ist es vor allem Werner Pinzner, der von dem Ringen um die lukrativsten Deals profitiert. Eigentlich will er bei den „Großen“ mitspielen, dazugehören, das ganz große Rad drehen. Als Teilhaber scheint er allerdings den Einflussreichen und Mächtigen nicht adäquat. Vielleicht halten sie ihn für zu plump, zu sprunghaft, zu unberechenbar.

Doch er hat andere Qualitäten: Er ist skrupellos, kaltblütig, ohne Gewissensbisse. Damit empfiehlt er sich nach und nach als Mann fürs Grobe. Jemand ist einem Konkurrenten im Weg? Das Problem kann er lösen, gnadenlos. Es geht ihm um Anerkennung, und es geht ihm vor allem um eine großzügige Bezahlung.

Bei den Morden sei es nichts Persönliches gewesen, erzählt er später. „Es war mein Geld, was mich da motiviert hat. Einzig und allein mein Geld.“ Für 20.000 bis 40.000 Mark geht er zum Äußersten.

Für 20.000 bis 40.000 Mark geht der Auftragskiller zum Äußersten

Seinen ersten Auftrag erhält der Mann im Juli 1984, als er offiziell noch Häftling ist, aber als Freigänger schon einen recht großen Wirkungsradius hat. Nun soll er einem ehemaligen Bordellbesitzer, der sich auf dem Kiez Feinde gemacht hat, eine „beipulen“. Eigentlich ist damit gemeint, jemand solle eingeschüchtert werden, etwa mit einem Schlag auf den Kopf oder indem ihm ein Finger abgehackt wird.

Doch das ist Pinzner zu subtil. „Ich geh hoch“, sagt er, „und knall ihn weg.“ Und so fährt er während eines Freigangs aus dem Gefängnis in Begleitung eines Komplizen nach Norden.

„Grauenhafte, tierische Schreie“, so erzählt es später eine Zeugin, habe das Opfer ausgestoßen, als die beiden Täter ihn in seiner Wohnung zu Boden stoßen, sich über ihn hocken, den Mann mit den Händen am Boden fixieren und die Waffe an seinen Schädel drücken. Immer wieder kreischt er: „Nein, nein, nein!“ Es nützt ihm nichts. Der Mann stirbt durch eine Kugel in den Hinterkopf.

Vom Opfer kommen „grauenhafte, tierische Schreie“, bevor er erschossen wird

Die kriminaltechnische Untersuchung des sichergestellten Projektils ergibt, dass es sich um das Kaliber .38 spl handelt. Als Tatwaffe kommt ein Revolver der Marke Arminius der Firma Weihrauch in Betracht. Der Lauf des Revolvers hat „zehn Züge mit Rechtsdrall“.

Werner „Mucki“ Pinzner auf einem undatierten Polizeifoto.
Werner „Mucki“ Pinzner auf einem undatierten Polizeifoto. © ullstein bild | ullstein bild

Offenbar hat Pinzner seine Mission zur Zufriedenheit seines Auftraggebers erledigt. Nach seinem Verständnis ist das solides Handwerk, und so etwas zahlt sich aus. Das empfiehlt ihn für weitere Taten.

Zwei Monate später, im September 1984, ist es soweit. Erneut wird Pinzner beauftragt, einen zunehmend unbequemen Bordellbesitzer zu beseitigen. Diesem Mann nähert sich der Auftragskiller mit einer Legende. Er behauptet, mit ihm ein größeres Rauschgiftgeschäft abwickeln zu wollen.

Die ersten Morde begeht Pinzner im Zwei-Monats-Rhythmus

Zu diesem Zweck müssten sie an einen ruhigen Ort. Als sie in der Garage ankommen, in der der Deal angeblich über die Bühne gehen soll, tötet Pinzner den Bordellbesitzer mit einem Kopfschuss. Als die Leiche gefunden wird, läuft das Autoradio noch. Bei der Obduktion wird wiederum ein Kopfschuss festgestellt, erneut von hinten. Das Projektil steckt noch im Schädel.

Ein weiteres Mal nur zwei Monate nach dem jüngsten Mord ist Pinzner erneut auf tödlicher Mission. Diesmal führt ihn sein Auftrag, den er jetzt mit einem Komplizen ausführen soll, im November 1984 in die Nähe von München. Sie sind auf einen Zuhälter angesetzt, der im Milieu den Beinamen „Lackschuh“ trägt. Diesmal sitzt Pinzners Komplize am Steuer.

Pinzner: „Von hinten habe ich ihm das Ding an die Birne gehalten“

Während einer Autofahrt mit „Lackschuh“, der glaubt, mit denen beiden Männern einen Drogendeal abschließen zu können, täuschen die beiden gedungenen Mörder eine Autopanne vor, um anhalten und aussteigen zu können. „Lackschuh“ steht ahnungslos neben der Beifahrertür, als er plötzlich von Pinzer niedergeschossen wird.

„Von hinten hab ich ihm das Ding an die Birne gehalten“, erklärt Pinzner ganz trocken später in einer Vernehmung dazu. Am Boden liegend stöhnt das Opfer noch auf. Daraufhin setzt Pinzner die Waffe ein zweites Mal an der rechten Schläfe an und schießt dem am Boden liegenden Mann erneut in den Kopf.

Das Markenzeichen des Auftragskillers ist sein Revolver, „zehn Züge rechts“

Der Schuss ist laut einem späteren Gutachten aus einer Entfernung von fünf bis 20 Zentimeter abgegeben worden. Es handelt sich um ein Projektil vom Kaliber .38 spezial, verschossen aus einem Revolver Arminius „mit zehn Zügen rechts“. Pinzner bleibt weiter umtriebig. Diesmal vergehen allerdings fünf Monate, bis er seinen nächsten Auftrag erhält.

Zusammen mit seinem Komplizen T. sucht er im April 1985 zwei Zuhälter in Hamburg-Schnelsen auf. Die Stimmung ist gereizt. Man macht sich gegenseitig Vorwürfe, auch weil einmal wieder Reifen zerstochen wurden. Pinzner hat wie immer seinen Arminius-Revolver dabei. Aber: Die Schüsse erfolgen diesmal aus einer Smith and Wesson, .38 spezial. Pinzner schildert später die eigentliche Tat in seiner unnachahmlichen Direktheit: „Bumbumbumbumbum. Da gab’s 5 aus 38.“

St.-Pauli-Killer: Seine Ehefrau ist bei der Vernehmung dabei

Einer der Zuhälter wird mit drei, danach der andere mit zwei weiteren Schüssen niedergestreckt. Die Untersuchung der Projektile ergibt zwei Webcutter-Geschosse, zwei Vollmantelgeschosse und ein Teilmantelgeschoss des Kaliber .38.spl., diesmal keine „zehn Züge rechts“. Trotzdem reklamiert Pinzner auch diese Morde für sich.

Vielleicht will er den Ermittlern etwas Besonderes bieten. Je mehr Verbrechen, desto besser und interessanter? Ist das sein Kalkül? Eine Vernehmung ist für den 29. Juli 1986 vorgesehen. Werner Pinzner wird an diesem warmen Sommertag morgens um neun Uhr in der Untersuchungshaftanstalt abgeholt.

Zuständig für seine Vernehmung ist der Leiter der Sonderkommission, ein Oberstaatsanwalt. Im Vernehmungszimmer 418 des Polizeihochhauses treffen alle zusammen. Mit dabei sind, auf ausdrücklichen Wunsch Pinzners, seine Anwältin sowie seine Ehefrau. Diese darf seit Mitte Juni bei seinen Vernehmungen dabei sein.

Polizei Hamburg: Jutta Pinzner schmuggelt einen Revolver ins Präsidium

Eine Protokollführerin notiert an diesem Morgen noch, dass Jutta Pinzner als „Beistand“ für ihren Mann gekommen sei. Tatsächlich steckt ein perfider Plan dahinter. Denn Pinzners Ehefrau hat in ihrer Unterwäsche einen Revolver Smith Wesson in das eigentlich hoch gesicherte Polizeigebäude eingeschmuggelt.

Geholfen hat ihr dabei die Anwältin des St. Pauli-Killers. Auf der Toilette packt Jutta Pinzner die Schusswaffe in ihre Handtasche um. Als sie wieder zurück in das Vernehmungszimmer kommt, stellt sie die Tasche mit dem Revolver auf einem Stuhl ab, so dass sie für ihren Mann ohne große Mühe zu erreichen ist. Jetzt ist er bereit für einen Abgang. Es soll ein „Exitus triumphalis“ nach Art des Profikillers werden.

„Nun schießen Sie mal los“ – und der Auftragsmörder schießt

Zu Beginn der Vernehmung fordert der Staatsanwalt Pinzner auf: „Nun schießen Sie mal los.“ Der Jurist hat das selbstverständlich nicht wörtlich gemeint. Doch in der Rückschau bekommt diese spezielle Formulierung eine fatale Bedeutung: Pinzner schießt los, im wahrsten Sinne.

Plötzlich hat der Mehrfachmörder einen Revolver in der Hand. Er sagt: „Meine Herren, dies ist eine Geiselnahme. Wir haben drei Stunden Zeit. Ihr geht raus.“ Dann schießt er auf den Staatsanwalt. Ein Projektil durchschlägt den Ringfinger der linken Hand, die der Jurist reflexartig zur Abwehr vor das Gesicht gehoben hat. Außerdem wird der 40-Jährige am Kopf getroffen.

Geiselnahme im Polizeipräsidium: „Ich dachte, mein Leben ist jetzt zu Ende“

Pinzner schießt auch in Richtung der Polizeibeamten, die geduckt aus dem Zimmer rennen. „Die Frauen sind meine Geiseln“, brüllt Pinzner den Beamten hinterher. Die Protokollführerin sucht Schutz hinter einem Schreibtisch. „Ich dachte, mein Leben ist jetzt zu Ende“, wird die 26-Jähriger später über diese Geschehnisse sagen. Von ihrem Versteck aus hört und beobachtet sie mit wachsendem Entsetzen, was sich nun in diesem Zimmer abspielt.

Rettungskräfte bringen den getroffenen Staatsanwalt per Hubschrauber ins UKE. Doch die Zerstörung, die die von Pinzner abgefeuerte Kugel an seinem Kopf verursacht hat, ist so schwer, dass er einen Tag später seinen Verletzungen erliegt.
Rettungskräfte bringen den getroffenen Staatsanwalt per Hubschrauber ins UKE. Doch die Zerstörung, die die von Pinzner abgefeuerte Kugel an seinem Kopf verursacht hat, ist so schwer, dass er einen Tag später seinen Verletzungen erliegt. © picture alliance / rtn - radio tele nord | rtn, peter wuest

Jutta Pinzner kniet vor ihrem Mann nieder. Sie hebt den Kopf und öffnet den Mund. Der St. Pauli-Killer richtet den Lauf des Revolvers in ihren Mund und drückt ab. Die Verletzung ist verheerend, die Frau bricht sofort zusammen. Nun setzt sich der mehrfache Mörder neben die soeben Getötete und bringt sich selbst ebenfalls durch einen Schuss in den Mund um. Als Einsatzkräfte kurze Zeit später das Büro stürmen, hat der Tote den Revolver Smith and Wesson .38 spezial noch in der Hand.

Mord und Suizid: Das Ehepaar stirbt durch Schüsse in den Mund

Es wird noch versucht, das Leben des Staatsanwalts zu retten. Der Jurist wird mit einem Rettungshubschrauber ins UKE verbracht. Doch die Zerstörung, die die Kugel an seinem Kopf verursacht hat, ist so schwer, dass er einen Tag später seinen schweren Verletzungen erliegt.

Die Schüsse von Pinzner auf seine Frau und sich selber waren indes nahezu unmittelbar tödlich. Bei der Obduktion beider Eheleute wird jeweils ein Kopfdurchschuss von unten nach schräg oben festgestellt, unter anderem mit schwersten Hirnverletzungen und Knochenzertrümmerungen der Schädel.

Der Auftragsmörder hatte Quecksilber im Magen

Dass der 39-Jährige und seine Frau von vornherein einen gemeinsamen Suizid geplant hatten, zeigte das Sektionsergebnis ebenfalls: Beide hatten Quecksilber geschluckt und wiesen in ihrem Mageninhalt zahlreiche Kügelchen dieser hochgiftigen Substanz auf. Bei Pinzner wurden darüber hinaus Benzodiazepine und Kokain nachgewiesen. Er hatte auch noch im Gefängnis und bis zu seinem Ende so ungefähr alle Drogen konsumiert, die damals gedealt wurden.

Die Tragödie im Polizeipräsidium hat ein umfangreiches Nachspiel. Drei St. Pauli-Größen werden später zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Der Anwältin von Pinzner wird nachgewiesen, dass sie Jutta Pinzner beim Einschmuggeln der Waffe ins Polizeipräsidium unterstützt und Pinzner wiederholt mit Drogen im Gefängnis versorgt hat.

Sie wird, nachdem ein zunächst ergangenes Urteil zu fünf Jahren und neun Monaten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Beihilfe zur Tötung auf Verlangen sowie Verstoßes gegen das Waffen- und das Betäubungsmittelgesetz vom Bundesgerichtshof aufgehoben wurde, wegen Beihilfe zum Mord und weiterer Delikte zu einer sechseinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Diese Entscheidung wird rechtskräftig.

Polizei Hamburg: Killer von St. Pauli hinterlässt im Präsidium Abschiedsbrief

Der Fall Pinzner führt auch dazu, dass ein hoher Polizeibeamter in den Ruhestand versetzt wird. Der Innensenator und die Justizsenatorin müssen zurücktreten. Im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen hat die Polizei einen Lernprozess durchgemacht, der zu nachhaltigen Veränderungen und Verbesserungen und zu wesentlichen Fortschritten in der Verbrechensbekämpfung führt.

Sein ganz eigenes Vermächtnis hat Pinzner noch im Polizeihochhaus hinterlegt. In einem braunen Umschlag, den er bei sich hat, sind Zeitungsausschnitte. Darauf hat er geschrieben: „Ich werde nochmal hinlangen. Die Schweine haben mich so geflachst. Viele Grüße Mucki.“