In Nachbarschaftshäusern bieten sie mit ihrer “Muslimischen Frauengruppe“ Kurse für Kinder, Eltern und Senioren an.

Billstedt/Horn. Noitargetni. So liest es sich, wenn man Integration andersherum schreibt. Wie man Integration andersherum lebt, zeigen die Schwestern Safure Soyak, 54, und Fatma Kestel, 52. Die türkischen Powerfrauen aus Billstedt und Horn setzen sich eindrucksvoll dafür ein, die Vorurteile ihrer Mitbürger ihnen und ihresgleichen gegenüber abzubauen. In den Nachbarschaftsräumen am Jenkelweg (Billstedt) und an der Kroogblöcke (Horn) bieten sie mit der von ihnen vor 20 Jahren mitbegründeten "Muslimischen Frauengruppe" ehrenamtlich ein vielfältiges Programm für Frauen und Kinder aller Nationen und Religionen an. Und sie beteiligen sich intensiv am Stadtteilleben.

+++Neue Initiative für Integration+++

+++Das Urteil lautet: Wildwuchs bei der Integration+++

"Unser Ziel ist es, uns bekannt zu machen bei unseren Mitmenschen", sagt Safure Soyak. "Wir wollen erreichen, dass Multikulti auch Gemeinsamkeit und Miteinander bedeutet." Deshalb haben sie jahrelang für die Nachbarschaftszentren gekämpft. Mit Erfolg: 2009 baute die Saga am Jenkelweg (Billstedt) das "Nachbarschaftshaus", im Oktober 2011 überließ die Wohnungsbaugesellschaft ihnen - noch befristet - Räumlichkeiten in der Kroogblöcke (Horn).

Langsam, sagen die Schwestern, hätten sie mit ihren Integrationsbestrebungen Erfolg. Zum Kochkursus etwa, den Safure Soyak wöchentlich im Jenkelweg gibt, kommen mittlerweile zehn Kinder aus unterschiedlichen Ländern, zum Backen und Basteln (einmal im Monat) sogar 20 bis 30. "Die Kinder und ihre Eltern bauen ihre Vorurteile ab. Sie vertrauen uns jetzt, obwohl wir Muslime sind und Kopftücher tragen", sagt Safure Soyak. Das sei gut, denn der Bedarf an Angeboten wie den ihren sei groß in Billstedt und Horn. So hat sich in dem Nachbarschaftstreff an der Kroogblöcke 44, in dem sich Fatma Kestel engagiert, schon ein umfangreiches Programm etabliert: Seniorentreff, Handarbeitsgruppe, Eltern-Kind-Beratung, Sprechstunden des Mietervereins, Frauen- und Mädchengruppe sowie Musik, Basteln und Backen für Kinder. Bereitwillig leisten die Schwestern auch seelsorgerische Hilfe: geben Ratschläge und spenden Trost.

Das Engagement von Safure Soyak und Fatma Kestel ist aber nicht auf die Nachbarschaftsräume begrenzt. Die Schwestern sitzen in den jeweiligen Quartiersbeiräten und mischen bei den verschiedensten Veranstaltungen in Billstedt und Horn mit - sie richten Stromspar- und Mülltrennungsseminare aus, organisieren Hausaufgabenhilfe, Sommer- und Ramadanfeste, kochen mit Behinderten und laden auch mal eine evangelische Pastorin ein, damit sie über christliche Religion und deutsche Kultur referiert. "Es ist doch wichtig für uns Muslime zu erfahren", sagt Fatma Kestel, "ob ein Weihnachtsbaum für Christen ein kulturelles oder ein religiöses Symbol ist."

Als "Türöffner" für ihr vielfältiges Wirken bezeichnen die Schwestern aus Anatolien die Bürgerplattform "ImPuls Mitte" - einen Zusammenschluss verschiedener Institutionen, darunter evangelische und katholische Einrichtungen, Pfadfinder, Sportverein und Fahrradklub. Auch die islamische Centrum Moschee macht dort mit. "An diese Moschee ist unsere Frauengruppe angebunden", sagt Fatma Kestel. "Wir handeln aber frei und selbstbestimmt." Durch die Bürgerplattform konnte die Muslimische Frauengruppe nicht nur Kontakte zu Körber- und BürgerStiftung, zum Erzbistum oder zur Caritas knüpfen, sondern bekam auch die Möglichkeit, sich in größerem Ausmaß zu engagieren - nicht mehr nur innerhalb der muslimischen Gemeinde.

An welchen Festen die Gruppe teilnimmt, welche Veranstaltungen sie unterstützt oder welche Kurse sie anbietet, legen die Musliminnen alle zwei Wochen auf ihren Besprechungen fest. Auch, ob sie dem Abendblatt ein Interview geben sollen, wurde dort diskutiert. "Wir haben eingewilligt, weil wir unsere Arbeit damit bekannter machen können", sagt Fatma Kestel, die die Gruppe nach außen hin repräsentiert.

Die Schwestern wissen, wie wichtig Integration ist. 1969 kamen sie als Gastarbeiterkinder nach Deutschland. Die Mädchen wuchsen mit drei weiteren Schwestern in Veddel, Altona und Billstedt auf, bevor die Familie nach Horn zog. Obwohl sie die deutsche Sprache schnell und gut beherrschten und weder Kopftuch tragen noch beten mussten, hatten sie wenig deutsche Freunde.

"Wir fünf Mädchen waren meistens unter uns", erinnert sich Fatma Kestel. Integration war damals noch ein Fremdwort. "Es gab nichts, um Gastarbeiterkinder zu fördern", ergänzt ihre Schwester. War der Vater in religiösen Angelegenheiten auch locker, wahrte er dennoch gewisse Traditionen. Safure musste gleich nach der Schule als Packerin etwas dazuverdienen - und Fatma durfte zwar eine Ausbildung machen, aber nicht zur Krankenschwester ("mein Vater wollte nicht, dass ich nackte Männer sehe"), sondern zur Schneiderin für Damenoberbekleidung.

Fatma war die Erste aus der Familie, die anfing, sich mit ihrer Religion auseinanderzusetzen und danach zu leben. Als 16-Jährige entschied sie, von nun an Kopftuch zu tragen. Safure folgte ihr etwas später. Beide heirateten die Wunschkandidaten der Eltern - "freiwillig", wie sie betonen - und erzogen ihre Kinder religiös. Safure bekam fünf, Fatma vier Kinder. Die beiden sind stolz darauf, wie weit diese es gebracht haben - eine der Töchter ist Onkologin, die andere Informatikerin, eine weitere Ernährungswissenschaftlerin.

Stolz sind die türkischen Schwestern auch auf das, was sie in Sachen Integration bisher erreicht haben. Als besondere Anerkennung wird Fatma Kestel, übrigens seit Jahren chronisch krank, im September nach Berlin reisen - zu einem Fest, das Bundespräsident Joachim Gauck im Schloss Bellevue für ausgewählte Ehrenamtliche gibt.