Sie sammeln Milliarden von Daten, geben aber nur ungern etwas über sich selbst preis: Besuch in der Deutschland-Zentrale am Rödingsmarkt.

Hamburg. Nina hat heute ihren Beziehungsstatus auf „Single“ verändert, Marion postet ein Foto ihres Neugeborenen, Moritz hat mit dem „Gefällt mir“-Button seine Sympathie für den Sportartikelhersteller Adidas bekundet. 19 Millionen Deutsche sind täglich auf Facebook unterwegs. Sie berichten über ihre Freundschaften, über politische Vorlieben, über ihren Alltag. Sie machen sich zum gläsernen Menschen und erlauben dem Unternehmen Facebook so viele Informationen über ihr Leben zu sammeln, wie sie sonst nur den Eltern oder den besten Freunden verraten würden. Facebook selber geht den umgekehrten Weg.

Das Unternehmen sammelt Daten über weltweit 700 Millionen Nutzer, gibt von sich selber aber möglichst nichts preis. Die Adresse der Deutschland-Zentrale in Hamburg erscheint weder auf der E-Mail-Signatur, noch steht der Firmenname auf dem Klingelschild am Sitz beim Rödingsmarkt. Der Chef hat nur kurz Zeit für das Gespräch, für das Bild muss sich der Fotograf auf das Eingangsfoyer beschränken und darf nicht in die Büros. Selbst die Frage, auf welche Aufgaben die Deutschland-Zentrale in Hamburg spezialisiert ist und was vom Europa-Hauptquartier in Irland gemanagt wird, quittiert die PR-Frau mit einem Schulterzucken. Gleich zwei PR-Expertinnen, also Fachleute für den Auftritt eines Unternehmens in den Medien, nehmen an dem Gespräch mit dem Abendblatt teil.

Hier wird nichts dem Zufall überlassen. Das Profil der Firma Facebook ist das Werk von Menschen, die genau darauf achten, welche Informationen über den US-Konzern nach außen dringen. Die Millionen Profile der Mitglieder auf Facebook bilden dagegen einen gigantischen Datenpool, aus dem sich Facebook und Tausende Firmen mit Blick auf wertvolle Kundeninfos jederzeit bedienen können. Und diese wertvollen Daten werden täglich mehr.

Die Vermarktung dieser Informationen über Kunden und deren Ansprache durch gezielte Werbung ist Hauptaufgabe der gut 30 Mitarbeiter von Facebook in Hamburg. Die für manche Mitglieder beunruhigende Transparenz ist für Werbetreibende bares Geld wert. Für den Döner-Imbiss um die Ecke genauso wie für Marken wie Mercedes oder McDonald’s. „Wir sind Ansprechpartner für große und kleine Firmen mit ihren Marketingabteilungen oder Social-Media-Experten, aber auch für Werbeagenturen“, sagt Deutschland-Chef F. Scott Woods, der im US-Bundesstaat New Jersey geboren wurde, in einem Internat in St. Peter-Ording aufwuchs und mit einer Ausbildung zum Verlagskaufmann bei Axel Springer den Grundstein für den Einstieg in die Medienwelt legte. Vor zehn Jahren startete Facebook in Deutschland, vor vier Jahren eröffnete die Deutschland-Zentrale in Hamburg. Die Großraumbüros mit langen Reihen von Computern, die mit „Gefällt mir“-Fußmatten, Pappfiguren mit dem Konterfei von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Sinnsprüchen in Bilderrahmen etwas Wohnlichkeit bekommen, sind etwas größer geworden. Zu den Konferenzräumen mit den Namen Fix und Foxi sind Besprechungszimmer namens Heidi Kabel und Heinz Erhardt hinzugekommen.

Außerdem schafft Facebook auch außerhalb seiner Büros in der Hansestadt Arbeitsplätze: „Um Facebook herum baut sich ein ganzes Ökosystem auf“, beschreibt Woods die Anziehungskraft der Hamburger Facebook-Zentrale für andere Firmen, die von der Mund-zu-Mund-Propaganda auf der Plattform profitieren wollen. Zu den Neuansiedlungen an der Elbe gehören etwa Nodes aus Dänemark oder TBG digital aus London.

Die Büroräume von Facebook in Hamburg haben sich in den vergangenen Jahren nur leicht verändert, aber die Entwicklung, die Woods bei der Verbreitung von Facebook erlebt hat, ist atemberaubend: Von 2009 bis 2013 verzehnfachte sich die Zahl der Nutzer. Heute nutzen über 25 Millionen Menschen Facebook , „das ist fast die Hälfte aller deutschen Internetnutzer“, sagt Woods. Mit noch größerer Verwunderung stand Facebook dem Boom gegenüber, den die Plattform zuletzt mit der Verbreitung von Smartphones erlebt hat, „und das, obwohl unser Headquarter im Silicon Valley sitzt“, sagt Woods mit Blick auf den Nabel der Welt in Sachen digitales Hightech. Mobil sind in Deutschland mehr als 13 Millionen Nutzer jeden Tag auf Facebook aktiv. Die internetfähigen Handys sorgen auch dafür, dass Facebook-Mitglieder im Schnitt schon 14-mal am Tag die Seite nutzen. Daheim, auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeit, im Fußballstadion oder beim Shoppen.

Das Thema gläserner Mensch bekommt eine neue Dimension. Konnte Facebook bisher sehen, ob die Nutzer männlich oder weiblich sind, sammelte Daten zu ihrem Alter, zum Freundeskreis, der Bildung und ihren Interessen wie Badminton oder Fernreisen, weiß Facebook heute auch, wo sich die Menschen aufhalten. Facebook musste sich bei diesem Thema schon oft um Schadensbegrenzung bemühen, und gerade in einem Land wie Deutschland, wo die Menschen es mit ihrer Privatsphäre sehr genau nehmen, stößt der Konzern auf großes Misstrauen.

Für die Firmen ebnet die Transparenz aber den Weg zu den Verbrauchern: Ein Pizzadienst in der Innenstadt kann einem Menschen eine Werbung auf das Handy schicken, wenn der gerade aus der U-Bahn am Jungfernstieg ausgestiegen ist, ein Friseur kann sich bei denjenigen Kunden durch Werbung in Erinnerung bringen, die schon einmal dort eingecheckt haben. Derzeit nutzen bereits drei Prozent aller deutschen mobilen Websurfer einmal im Monat ortsbezogene Dienste. Die Ortung ist möglich über GPS, wobei eine Genauigkeit von zehn Metern möglich ist, aber auch über Ortsdaten der Mobilfunkmasten.

Woods ist sich der Bedenken vieler Facebook-Nutzer angesichts der immer weiter gehenden Einblicke in ihr persönliches Leben bewusst. Schließlich sind auch Fragen von Freunden zu diesen Themen für ihn nichts Besonderes, aber er versichert, dass die Sicherheit der Nutzer für Facebook „oberste Priorität“ habe. Zur Organisation von Facebook gehört es allerdings, dass nicht Woods selber als Deutschland-Chef dafür verantwortlich ist. Mit rechtlichen Fragen zur Privatsphäre beschäftigen sich Spezialisten im Berliner Büro von Facebook, die auch immer wieder Einfluss auf die Politik in Sachen Datenschutz zu nehmen versuchen.

Um die neuen Technologien besser ausnutzen zu können und die Firmen über ihre Möglichkeiten aufzuklären, will Facebook in Hamburg weitere Mitarbeiter einstellen. Ein Dutzend Spezialisten sucht das Unternehmen derzeit, um Firmen für Werbung auf Facebook zu gewinnen, aber beispielsweise auch Prominenten den Kontakt zu ihren Fans zu erleichtern. „Facebook ist mit seinen Millionen Nutzern ein Massenmedium, es erlaubt aber anders als etwa das Fernsehen, punktgenau und individuell meine Zielgruppe zu erreichen und damit gezielter Geld für Werbung auszugeben“, sagt Woods. Weltweit nutzen inzwischen eine Million Firmen das Netzwerk. Für Facebook, das den Mitgliedern seine Plattform kostenlos zur Verfügung stellt, bildet die Werbung von Unternehmen eine wichtige Einkommensquelle, und diese wird immer mehr ausgeschöpft: Denn in den USA geht die maßgeschneiderte Ansprache sogar noch weiter als in Deutschland. Die Gesichtserkennung etwa ist in den USA erlaubt, wurde in Europa nach massiven Protesten von Datenschützern aber zunächst unterbunden.

Der Umgang mit den privaten Daten ist umstritten, doch die Transparenz hat weltweit auch schon Gutes bewirkt: Hilfsaktionen bei Naturkatastrophen wurden über Facebook koordiniert oder die Demokratiebewegung in diktatorischen Regimen befördert. Woods hat selber gerade erlebt, wie Facebook Menschen zusammenbringen kann: Ein früherer Mitschüler, der in Asien arbeitet, hat die alten Freunde über Facebook zu einem Wiedersehen eingeladen. Im Mai trifft sich die ganze Klasse in St. Peter-Ording.