Kritik an Bezirk Mitte und Investor. Betroffene fühlen sich alleingelassen mit Problemen. Bislang seien viele Umstände noch ungeklärt, berichten sie.

Hamburg. Vier Tage nach der unvermittelten Räumung der Esso-Häuser am Spielbudenplatz haben zahlreiche Bewohner und die sie vertretenden Interessengruppen scharfe Kritik am Vorgehen des Eigentümers des Gebäudekomplexes, der Gesellschaft Bayerische Hausbau, und des Bezirks Mitte geübt. Auf einer Pressekonferenz im Stadtteilzentrum Kölibri am Hein-Köllisch-Platz beklagten sie eine fehlende Krisenkommunikation und die mangelnde Versorgung der fast 100 Menschen, die ihre Wohnungen am späten Sonnabend in aller Eile verlassen mussten, nachdem Wände in dem baufälligen Komplex in Bewegung geraten waren. Die Gründe dafür sind noch immer unbekannt.

Auf der von der Initiative Esso Häuser und dem Verein Gemeinwesenarbeit (GWA) St. Pauli initiierten Veranstaltung stellten sie ihre Forderungen an Stadt und Investor vor. Dazu gehören ein Rückkehrrecht zu gleichen Konditionen und eine finanzielle Entschädigung für alle Mieter, insbesondere der Gewerbemieter. Zudem forderten sie „eine transparente Offenlegung der statischen Untersuchungen und ihrer Ergebnisse“, sagte der Sprecher der GWA St. Pauli, Steffen Jörg.

„Die letzten Tage waren äußerst turbulent, katastrophale Zustände sind erzeugt worden“, sagte Steffen Jörg. Er beklagte: „Niemand will Verantwortung übernehmen.“ Die Politik verweise darauf, keine Ressourcen zu haben. Die Hauseigentümerin verweise darauf, dass der Voreigentümer Schuld habe. Und nicht zuletzt soll laute Musik für die lebensbedrohliche Situation verantwortlich gewesen sein, sagte Steffen Jörg, „wie aber können Konzerte Häuser zum Beben bringen?“

Ein Großteil der insgesamt 91 gemeldeten Bewohner war nach der Evakuierung der über die Hansestadt hinaus bekannten Esso-Häuser in umliegenden Hotels, aber auch in Pensionen in St. Georg sowie in Wilhelmsburg untergebracht worden, der Rest fand bei seinen Verwandten oder Bekannten Unterschlupf. Die Hotellösung sei ursprünglich nur bis zum gestrigen Mittwochvormittag gedacht gewesen, sagte Christiane Hollander von der Rechtsabteilung des Vereins Mieter helfen Mietern, der allein 30 Esso-Haus-Bewohner vertritt.

Nachdem aber spätestens seit Dienstag klar ist, dass die Mieter aufgrund des katastrophalen Zustands des Wohn- und Gewerbekomplexes nie wieder in ihre Wohnungen zurückdürfen, die Häuser sogar im Januar schon abgerissen werden sollen, wurde die Unterbringung in Hotels bis zum 6. Januar verlängert. Für viele ehemalige Bewohner bedeute dies, dass sie, aus ihrem gewohnten Lebensumfeld herausgerissen, die Weihnachtsfeiertage in einer völlig fremden Umgebung verbringen müssten.

Bislang seien allerdings viele Umstände noch ungeklärt, berichten Betroffene. So gebe es keinen Ort, an dem die Post zentral abgeholt werden könne, die vom Briefträger in den ersten Tagen noch in der Davidwache abgegeben wurde. Wichtige Post, etwa von der Agentur für Arbeit, erreiche so ihre Empfänger nicht. Hilfsbedürftige Menschen seien weitestgehend alleingelassen worden. Die 29-jährige Julia Priani, die selbst bei Freunden untergekommen ist, erklärte etwa, sie sei am Tag nach der Evakuierung von einer Nachbarin, einer alten Dame, angerufen worden, die zusammen mit ihrem Mann in einem Hotel untergebracht worden sei, die aber weder etwas zu essen gehabt habe noch wichtige Medikamente. Priani habe ihr dann den Kontakt zum Hausmeister des Esso-Komplexes vermittelt. „Warum gibt es keinen zentralen Ansprechpartner?“, fragt die 29-Jährige.

In dem Block gibt es Zwei- und Dreizimmerwohnungen, aber auch zahlreiche Alleinstehende lebten bislang in Apartments in den Esso-Häusern, viele von staatlicher Unterstützung abhängig. „Ältere, Kranke oder Erwerbslose brauchen verlässliche Strukturen“, sagte Sabine Stövesand, Professorin für soziale Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), die ebenfalls an der Pressekonferenz teilnahm. „Die aktuelle Situation verlangt eine professionelle Unterstützung der Bewohner.“ Alles Gewohnte breche für diese Menschen weg. Depressionen, Nervenzusammenbrüche könnten die Folge sein, wenn nicht geholfen werde. Eine Möglichkeit sei ein offener Treffpunkt, in dem sich die Betroffenen Rat und Hilfe holen könnten.

„Wir sind innerhalb von drei Tagen zum Sozialfall geworden“, berichtet der Inhaber des ebenfalls in den Esso-Häusern untergebrachten Clubs Planet Pauli, Zlatko Bahtijarevic. Die Not sei groß. Eigentlich sei die Weihnachtszeit die Zeit der Freude und des Schenkens. „Nun ist daraus die Zeit des Nehmens geworden.“ Er und seine 13 Mitarbeiter stehen auf der Straße. „Die Situation bestürzt, macht wütend und sprachlos.“ Allerdings mache die Situation, sagte Bahtijarevic auch, Energien frei: „Es muss jetzt Maßnahmen ausschließlich im Interesse der Vertriebenen geben.“ Die Initiative Esso Häuser geht noch einen Schritt weiter. Sie verlangt von Stadt und Immobilienfirma eine neue Planung für das Gelände und zu 100 Prozent geförderten Wohnraum samt günstiger Gewerbemieten.